Griechenland: Licht am Ende des Tunnels?
Von Axel Troost
Mit mehreren Monaten Verspätung haben die Euro-Finanzminister in der Nacht zum Mittwoch den Weg für die Auszahlung weiterer Milliarden an Griechenland frei gemacht. Das Hilfsprogramm läuft weiter, einen Showdown wie im letzten Jahr gibt es nicht. Griechenland muss weiter sparen, bekommt dafür aber Schuldenerleichterungen in Aussicht gestellt.
Natürlich ist Weitermachen wie bisher angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs in Griechenland kein akzeptables Ergebnis. Doch mit einer plötzlichen Abkehr von der Sparpolitik hat natürlich überhaupt niemand gerechnet. Denn warum sollten die Finanzminister plötzlich aus heiterem Himmel von ihrem Kurs abweichen, den sie im letzten Jahr starrsinnig gegen massive Gegenwehr durchgedrückt haben? Bei nüchterner Betrachtung ist der neue Abschluss ein Ergebnis mit vielen Schatten, aber auch ein wenig Licht am Ende eines einsturzgefährdeten Tunnels.
In den letzten Wochen hat Griechenland unter anderem eine Rentenreform, eine Reform der Einkommensteuer und eine Reform verschiedener Verbrauchsteuern umgesetzt, die Teil der Programmauflagen waren. Insofern war klar, dass die Eurogruppe die Auszahlung weiterer Mittel nicht verweigern konnte. Mit 10,3 Milliarden Euro fällt die zweite Tranche deutlich höher aus als ursprünglich vorgesehen. Mit den neuen Geldern werden einerseits auslaufende Schuldtitel umgeschuldet, aber auch milliardenschweren Zahlungsrückstände des griechischen Staats beglichen, was der griechischen Wirtschaft Impulse gibt.
Zehn Monate Austeritätspolitik von links
Seit Sommer letzten Jahres befindet sich die Syriza-Anel-Regierung in der wenig beneidenswerten Position, die einst heftig bekämpften Sparauflagen umzusetzen. Natürlich kommt sie nicht drum herum, Austeritätspolitik zu betreiben, auch wenn ihr klar ist, dass etwa die jüngst beschlossene Mehrwertsteuererhöhung Gift für die griechische Konjunktur und eine weitere Härte für die griechische Bevölkerung ist. Ähnliches gilt für andere Kröten, die in den letzten Monaten geschluckt werden mussten. Klar ist aber auch, dass die Regierung ihre zwar geringen, aber durchaus vorhandenen Spielräume tatsächlich nutzen will, um die sozialen Kosten der Austeritätspolitik gering zu halten, also besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen zu schützen, die Kosten für Gering- und Normalverdiener zu minimieren und gleichzeitig die Wirtschaft zu stabilisieren und wiederzubeleben.
Der Haushalt für 2016 weist erstmals seit Ausbruch der Krise leichte Mehrausgaben für Krankenhäuser, das Sozialsystem und Beschäftigung auf. Zwei Millionen Unversicherte haben wieder Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen. Ein Sofortprogramm gegen absolute Armut bietet Zugang zu Stromversorgung, zu Lebensmitteln und öffentlichem Nahverkehr. Im Kleinen setzten auch ein Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe, eine Reform des Strafvollzugs und der Staatsbürgerschaft auf einen Wandel zum Besseren. Gleichwohl sind die großen Linien der Politik nach wie vor von außen vorgegeben.
Die umstrittenste Maßnahme der letzten Wochen war die Reform des Rentensystems. Das griechische Rentensystem ist sehr verzweigt, um vielen Sonderinteressen Genüge zu tun – so gab es bisher 900 Berechnungsvarianten, die zu teils unfairen Ergebnissen führten. Zwar hatten etliche Rentenreformen seit 2010 die Renten bereits drastisch gekürzt. Da gleichzeitig aber die Wirtschaft einbrach und die Frühverrentung für viele der einzige Weg der sozialen Absicherung war, hat Griechenland gemessen an seiner Wirtschaftskraft immer noch das teuerste Rentensystem der Eurozone. Die Gläubiger hatten daher weitere Einsparungen von einem Prozent der Wirtschaftsleistung gefordert, die durch eine pauschale Rentenkürzung um 30 Prozent erreicht worden wären.
Zwar sinken zukünftige Renten gemäß der jüngst verabschiedeten Rentenreform durchschnittlich um etwa 15 Prozent. Doch die Reform trifft vor allem die obersten 10 Prozent der Bevölkerung. Sie umfasst eine Kürzung der höchsten Rentenbezüge, die Zusammenlegung der zahlreichen Versicherungen, die Anhebung der Rentenbeiträge und die Erhöhung der Steuern auf mittlere und hohe Einkommen. Deutlich belastet werden demnach gut verdienende Freiberufler wie Ärzte, Apotheker, Ingenieure und Rechtsanwälte und damit Berufsfelder, die bisher gut im klientelistischen System verankert waren und in denen Steuerbetrug weit verbreitet ist. Dagegen werden niedrige und mittlere Bestandsrenten vorerst nicht angetastet und nur langfristig an die neuen Rentenbezüge herangeführt. Zukünftig soll außerdem unabhängig von der Lebensarbeitszeit eine Basisrente von 384 Euro monatlich gelten und das Rentenniveau nach 40 Beitragsjahren bei 60 Prozent liegen. Letztlich konnten die Sparvorgaben aber leider nur durch eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre erreicht werden.
Es ist offensichtlich, dass dergleichen Reformen unter einer anderen Regierung ganz anders angelegt worden wären. Die Tsipras-Regierung ist offenkundig kein Erfüllungsgehilfe ihrer Gläubiger, sondern ihr Gegenspieler, dem weitgehend die Hände gebunden sind und trotz der unsozialen und undemokratischen Vorgaben das Beste aus der Situation machen muss. Damit macht sie sich vielfach zur Zielscheibe für Kritik, die eigentlich an die Austeritätsfanatiker außerhalb Griechenlands gerichtet werden müsste. Umso wichtiger ist es, Syriza solidarisch, aber nicht unkritisch zu begleiten.
Offenkundig sind die alten abgewirtschafteten Parteien Neo Demokratia und Pasok und natürlich die Nazis von der Goldenen Morgenröte auch für die griechischen Gläubiger keine attraktiven Alternativen. Es ist daher unbegreiflich, wie leichtfertig Schäuble und seine Kollegen durch ihre beinharte Austeritätspolitik der Syriza-Anel-Regierung in jeder Hinsicht das Leben schwer machen. Dies zeigt sich nicht zuletzt im Kampf um Schuldenerleichterungen.
Der IWF legt sich quer
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in den letzten Wochen deutliche Zweifel am laufenden Programm artikuliert. Der Grund ist seine relativ pessimistische Einschätzung über die Entwicklung der griechischen Finanzen.
Griechenland konnte 2015 zwar sein Haushaltsziel überraschend deutlich übertreffen. Für 2018 setzt das Programm aber einen Primärüberschuss (also Haushaltsüberschuss ohne Berücksichtigung von Zinszahlungen) von 3,5 Prozent des BIP voraus, was gegenüber heute weitere drei Prozentpunkte bedeutet. Aus der pessimistischen Sicht des IWF, den die aktuellen Haushaltsdaten unbeeindruckt ließen, müsste Griechenland über die laut Anpassungsprogramm beschlossenen Maßnahmen hinaus noch zusätzliche Sparmaßnahmen beschließen, um das Ziel zu erreichen. Das bedeutet, auf die auf den Weg gebrachten Sparmaßnahmen von 5,4 Milliarden Euro, die auf deutsche Verhältnisse hochgerechnet einem Sparpaket von 80 Milliarden entsprächen, noch einmal zusätzlich draufzusatteln. Das ist wahnsinnig. Alternativ müssten die Sparvorgaben gelockert werden. Der IWF scheint dazu durchaus bereit, Schäuble und seine Kollegen sind es aber nicht. Dieser Streit ging (leider wenig überraschend) zulasten Griechenlands aus. Der griechische Haushalt wird gemäß einer jüngsten Gesetzesänderung zukünftig quasi-automatisch zusammengekürzt, wenn in jährlicher Überprüfung die kurzfristigen Haushaltsziele verfehlt zu werden drohen. Auch wenn er nicht zum Einsatz kommen sollte – ein solcher Automatismus ist in jeder Hinsicht inakzeptabel.
Auf der anderen Seite kommt die pessimistische Sicht des IWF auf lange Sicht Griechenland aber teilweise auch zugute. Denn nach Willen der Eurogruppe soll Griechenland den angestrebten Primärüberschuss von 3,5 Prozent auf lange Sicht aufrechterhalten, obwohl es weltweit kaum Staaten gibt, denen das in der Vergangenheit gelungen ist. Für Griechenland würde das zudem bedeuten, Maßnahmen gegen die gravierende Arbeitslosigkeit und verbreitete Armut auf Jahre hinaus nur stark gehemmt betreiben zu können. Hier ist dem IWF klar zuzustimmen, dass die langfristigen Sparvorgaben weder realpolitisch plausibel noch ökonomisch oder sozial wünschenswert sind. Die langfristigen Haushaltsziele müssen daher deutlich abgesenkt werden (der IWF fordert einen Primärüberschuss von 1,5 Prozent des BIP, d.h. zwei Prozentpunkte weniger), was sich in entsprechenden Schuldenerleichterungen niederschlagen müsste. Dafür wäre jetzt der richtige Zeitpunkt: Denn zum einen darf der IWF laut seinen Statuten keinem überschuldeten Staat Geld leihen, soll nach Willen Schäubles ins laufende Programm aber wieder einsteigen. Zum anderen waren mögliche Schuldenerleichterungen nach der ersten Programmüberprüfung einer der wenigen Verhandlungserfolge, den die erpresste griechische Regierung im letzten Jahr durchsetzen konnte.
Kampf um Schuldenerleichterungen
Schon seit langem organisiert Finanzminister Schäuble die Gegenwehr gegen mögliche Schuldenerleichterungen. Die bis lang in die Nacht hineingehende Sitzung der Euro-Finanzminister soll im Wesentlichen von Schäuble, dem Eurogruppen-Vorsitzenden Dijsselbloom und dem IWF-Vertreter Paul Thomsen bestritten worden sein. Zuvor hatte der IWF in einem Papier klar dargelegt, dass er konkrete Maßnahmen – und nicht bloß Absichtserklärungen – zur sofortigen Schuldenerleichterungen für notwendig hält.
Auch wenn sich der IWF nicht vollständig durchsetzen konnte, sind die Aussichten für Schuldenerleichterungen immerhin gewachsen. Alle Verhandlungsparteien stimmen inzwischen darin überein, dass die griechischen Staatsschulden nicht nachhaltig sind. Doch zunächst soll es nur kleinere Änderungen im Schuldenmanagement geben, etwa um den Schuldendienst zu glätten und besser administrierbar zu machen oder um höher verzinste Kredite durch niedriger verzinste abzulösen. Verbindliche Maßnahmen im großen Stil soll es frühestens nach Abschluss des Hilfsprogramms im Sommer 2018 geben. Ein Schuldenschnitt wird ausgeschlossen, dafür könnten dann aber Laufzeiten verlängert und Zinsen weiter gesenkt werden. Eine besondere Frechheit ist dabei, dass auch die milliardenschweren Gewinne, die EZB und nationale Notenbanken mit günstig aufgekauften griechischen Staatsanleihen machen und die lange Zeit an Griechenland zurückgegeben wurden, bis auf weiteres einbehalten werden.
Nach wie vor unklar ist auch, welches die genauen Vorgaben für die Ermittlung der Schuldentragfähigkeit sein werden und ob die überzogenen Vorgaben für den griechischen Primärüberschuss auf ein realistisches Maß abgesenkt werden. Offen ist auch, wie stark Griechenlands Haushalts- und Wirtschaftspolitik auch nach 2018 unter der Fuchtel der Gläubiger stehen soll. Je nachdem entscheidet sich, ob Griechenland in absehbarer Frist eine Chance auf eine eigenständige Entwicklung enthält oder nicht auf Jahre hinaus eine Schuldenkolonie am Rande Europas bleiben wird – eine durchaus reale Gefahr.
Das Vertagen der Schuldenerleichterung ist eine weitere unwürdige Episode im griechischen Drama. Schäuble spart sich damit vor der nächsten Wahl eine für ihn unangenehme Abstimmung im Bundestag und verbaut der griechischen Bevölkerung den Weg in eine lebenswerte Zukunft. Er macht sich so zum Totengräber eines sozialen Europas.
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