Chancen zu einem Politikwechsel?

Die Grünen und die Vermögenssteuer

08.08.2016 / Axel Troost

Über das Steuerkonzept der Grünen wird auf der nächsten Bundesdelegiertenversammlung im Herbst entschieden. Doch aktuell sehen wir bereits eine engagierte Debatte um die Frage, es in Deutschland eine Wiedererhebung der Vermögensteuer geben soll? Dies wird vom linken Parteiflügel um Grünen-Bundeschefin Simone Peter gefordert. Diesem gehört auch der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, an. „Wir brauchen eine gerechtere Besteuerung in Deutschland. Es muss klar sein, dass große Vermögen dazu einen Beitrag leisten“, sagt Hofreiter. „Sonst wird das Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung massiv beschädigt. Dazu gehört aus meiner Sicht eine Steuer auf hohe Vermögen.“ Für den realpolitischen Flügel erklärt Ministerpräsident Kretschmann, er sei gegen die Forderung nach einer Vermögensteuer. Solchen Plänen werde die Landesregierung von Baden-Württemberg nicht folgen.

 

Diese Debatte in der grünen Partei ist die Wiederaufnahme eines lange verdrängten Themas. 2013 hatten die Grünen die Steuerreform zu einem zentralen Wahlkampfthema gemacht und detaillierte Steuermodelle vorgelegt. Bis heute gilt das als Fehler – und Grund für das schlechte Abschneiden in der letzten Bundestagswahl. Bei der Bundestagswahl 2013 waren die Grünen mit ihrem Steuerwahlkampf wenig erfolgreich und sackten auf 8,4 Prozent ab. Kretschmann hatte seine Partei damals im Vorfeld gewarnt, Bürger und Unternehmer mit allzu vielen Steuern belasten zu wollen. Damals konnte er sich nicht durchsetzen. Letztlich stimmte er einem Kompromiss zu – eine Entscheidung, für die er Kritik vor allem aus der Wirtschaft einstecken musste und die er heute als Fehler sieht. „Ich mache den gleichen Fehler nicht zweimal“ unterstreicht Kretschmann. Mehr noch: „Keine Steuerdebatten in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen“, möchte der baden-württembergische Ministerpräsident im Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagswahl führen. Die Zuspitzung auf eine Besteuerung der Vermögen mache für ihn auch keinen politischen Sinn: „Die Vermögensteuer bekommt man nicht hin, ohne dass es auf Kosten unserer Familienbetriebe geht“.

In der Tat macht in der Berliner Republik das aktuelle Steueraufkommen wenig Sorgen. Dennoch folge ich Jürgen Trittin in seiner Argumentation, dass mit dem Steueraufkommen eine dringend notwendige Ausweitung der öffentlichen Investitionen nicht realisiert werden kann. „Unter den G20 hat Deutschland den letzten Platz bei Investitionen in Infrastruktur. Es fehlen laut Städtetag über 100 Mrd. zum Erhalt von Straßen, Schienen, Brücken, Schulen. Gleichzeitig findet über eine ungerechte Besteuerung eine Umverteilung von unten nach oben statt. Ungleichheit befördert Finanzkrisen und erhöht den Wachstumszwang. Mit dem neuen strömungsübergreifenden Steuerkonzept wollen wir Grünen dies stoppen und die Finanzierung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben wie Investitionen in Bildung, Klimaschutz und Infrastruktur gerechter gestalten. Hierzu gehört der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen, die Abschaffung der Abgeltungssteuer und eine stärkere Besteuerung von Vermögen.“(Rhein-Neckar-Zeitung 4.8.2016)

Auch 2015 leistete sich Deutschland eine Des-Investitionspolitik: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren die Abschreibungen auf die bestehenden Anlagen im vergangenen Jahr mit 67,22 Mrd. Euro höher als die Summe der von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen aufgewandten Investitionen, die bei 66,59 Mrd. Euro lag. Vor allem die Kommunen kommen mit der Instandhaltung nicht hinterher. Zwar entfallen auf Städte und Gemeinden mehr als ein Drittel aller öffentlichen Investitionen. Doch seit Jahren übersteigt die Abschreibungssumme die Höhe der von den Kommunen geleisteten Infrastrukturausgaben deutlich. Gab die öffentliche Hand Anfang der 1970er Jahre noch rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Investitionen aus, schrumpfte die Quote bis 2007 auf weniger als 1,5 Prozent des BIP.

Der Verweis auf den offenkundigen Investitionsrückstau vor allem im kommunalen und regionalen Bereich ist wichtig, weil es hier um die Verbesserung der Lebensverhältnisse und Zukunftsgestaltung geht. Wir brauchen in Deutschland und in Europa eine Investitionsoffensive in vielen Bereichen der öffentlichen und sozialen Infrastruktur, daher muss das Steueraufkommen erhöht werden.

Es gibt darüber hinaus einen weiteren Grund für eine solche Politik: Für eine steuerpolitische Intervention spricht aber die drückende soziale Ungleichheit. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Ungleichheit deutlich gestiegen. Dies verschärft nicht nur die soziale Spaltung, sondern ist auch fatal mit Blick auf die zukünftige Entwicklung. Ungleichheit bremst das Wirtschaftswachstum, wenn das volkswirtschaftliche Potenzial einer Gesellschaft nicht mehr gehoben wird, etwa weil die unteren sozialen Schichten nicht mehr in der Lage sind, in hinreichendem Maße in die eigene Ausbildung zu investieren oder genügend Nachfrage zu entwickeln. Das Problem wachsender Ungleichheit in ökonomischer, sozialer und politischer Hinsicht ist die Kardinalfrage der Gesellschaftsentwicklung gerade für hochentwickelte Gesellschaften wie Deutschland.

Für mehr als die Hälfte der deutschen Lohnabhängigen – nämlich die Hälfte mit den niedrigsten Löhnen – ist die Kaufkraft ihrer Löhne heute geringer als noch vor 15 Jahren. Ihre Reallöhne sind gesunken. Unter Verweise auf neuere Untersuchung zu den Verteilungsverhältnissen argumentiert Prof. Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates: „Man sieht hier, die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet als es in den bisherigen Statistiken abgebildet wird“. Auch er fordert angesichts dieser Verhältnisse, die Steuern für hohe Einkommen zu erhöhen. „Aus meiner Sicht würde es naheliegen, wieder zu den Steuersätzen zurückzukehren, die wir in den 90er Jahren hatten. Und das war ein Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer von 53 Prozent.“ Eine solche Orientierung verfolgt die Linkspartei seit ihrer Gründung.

Nicht nur die realen Arbeitseinkommen für einen Großteil der Lohnabhängigen sinken. Deutschland liegt auch bei der Verteilung privaten Vermögens weit hinter anderen europäischen Ländern zurück. Viele Ökonomen konzentrieren sich auf die Ungleichheit der Einkommen und vernachlässigen die Vermögen. Dabei hat Deutschland die höchste Vermögensungleichheit in der Eurozone. Den reichsten zehn Prozent gehören fast zwei Drittel des gesamten Privatvermögens. Die unteren 40 Prozent der Bevölkerung verfügen praktisch über kein Nettovermögen – deutlich weniger als in fast allen anderen Ländern der Eurozone. Der Vermögensanteil der unteren 50 Prozent ist von drei Prozent in der 1990er Jahren auf ein Prozent gefallen. Internationale Vergleiche werden gern mit dem Verweis auf die gute soziale Absicherung und die Rentenanwartschaften in Deutschland infrage gestellt. Dies ist jedoch eine Illusion, denn gerade die Menschen mit geringem Einkommen haben im internationalen Vergleich relativ geringe Rentenanwartschaften.

Der Vermögenszuwachs hat nicht in der breiten Mittelschicht stattgefunden, auch nicht in der oberen Mittelschicht, sondern nur in der Oberschicht der wirklich Vermögenden. Mehr Reichtum und mehr soziale Ungleichheit gehen Hand in Hand. Wenn wir über den Vermögenszuwachs sprechen, der sich über die letzten zwei, drei Jahrzehnte eingestellt hat, dann sprechen nicht über die Mitte der Gesellschaft, sondern über die Reichen. Damit meine ich nicht mal in erster Linie die oberen zehn Prozent, sondern das obere ein Prozent, oder sogar 0,1 Prozent. Wenn man Vermögensungleichheit angehen will, dann muss man an die großen Vermögen herangehen. Richtig ist aber auch der Verweis von Trittin: es gibt bei der Korrektur der massiven Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen in der Berliner Republik kein einfaches Patentrezept. Richtig bleibt: wir müssen den Einstieg in eine Korrektur der Verteilungsverhältnisse durchsetzen. Der linke Flügel der Grünen fordert daher zurecht eine Vermögensteuer im Wahlprogramm 2017. „Die Vermögensteuer muss wieder eingeführt werden“, sagte die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lisa Paus. Dabei würden die Grünen „darauf achten, dass Betriebe in ihrer Substanz dadurch nicht gefährdet werden“. Auch der linke Flügel der SPD will eine solche Steuer für Reiche haben.

Die Wiedererhebung der Vermögensteuer wäre ein Einstieg für einen Politikwechsel. Aber wir brauchen weitere Reformen. Das Steuersystem ist in den letzten 20 Jahren immer ungerechter und defizitärer geworden. Aktuell sehen wir eine beispiellose politische Rangelei um die vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Reform der Erbschaftsteuer. Das Gericht hatte 2014 einige Vorgaben für die Reform der Erbschaftsteuer für Unternehmer gemacht und dabei die Frist für eine Neuregelung bis zum 30. Juni 2016 gesetzt. Die ist verstrichen, ohne dass ein vom Bundestag und Bundesrat verabschiedetes Gesetz vorliegt. Seit Monaten ist die unverzichtbare Reform im parlamentarischen Verfahren aufgerollt und verschleppt worden. Ab zweistelligen Millionenbeträgen sind Erbschaften und Schenkungen nahezu steuerfrei, weil sie als Betriebsvermögen fast immer verschont werden. Über 99 Prozent der Erbschaften mit Betriebsvermögen sind quasi automatisch steuerbefreit. Damit können weiter wie bisher gigantische Vermögen steuerfrei in die nächste Generation übertragen werden. Im Ergebnis wird die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgehen.

Das Bundesverfassungsgericht droht Berlin indirekt damit, eigene Regeln zu fassen, sollte nicht bald die von Karlsruhe geforderte Reform der Besteuerung von Unternehmenserben vorliegen. Jedenfalls könnte das die Folge sein, wenn sich der Erste Senat des Gerichts Ende September trifft, um über das „weitere Vorgehen im Normenkontrollverfahren um das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz“ zu sprechen. Dass der Gesetzentwurf soweit ausgehöhlt worden ist, dass bei Erbschaften bis zu 90 Millionen Euro pro Erben praktisch keine Erbschaftsteuer zu zahlen ist, ist weder vermittelbar noch verfassungsgemäß.

Die steuerpolitische Debatte in der grünen Partei betrifft also einen dringenden Reformbedarf und verdeutlicht, dass nur über einen Politikwechsel eine wirkliche Reform einzuleiten ist. Wenn die Grünen und die Linke in der SPD an der Konzentration von Reichtum und auch sonst gesellschaftlich wirklich etwas ändern wollen, müssen sie sich für ein Projekt einer Gesellschaftsreform einsetzen. Es fehlt bislang ein gemeinsames, parteiübergreifendes linkes Projekt. Was gesellschaftlich auf der Hand liegt, wird nicht konsequent ausgesprochen, geschweige denn kooperativ angegangen: der anstehende, unausweichlich nötige sozial-ökologische Umbau einer über Jahrzehnte hinweg neoliberalisierten und entdemokratisierten Wachstumsgesellschaft mit dem Ziel einer tiefgreifenden Gesellschaftsreform. Es ist höchste Zeit für eine andere Politik. Für eine Finanzpolitik, die nicht auf ungerechte und volkswirtschaftlich widersinnige Rezepte von gestern setzt, sondern die aktiv gestaltet, die Lasten gerecht verteilt und die Geld in die Kassen bringt – auch um damit zusätzliche Beschäftigung zu fairen Bedingungen durch Zukunftsinvestitionen, bessere Bildung und mehr soziale Angebote zu schaffen. Das setzt erstens Kampfbereitschaft für ein gemeinsames Reformprojekt und zweitens Bereitschaft auf Grundlage von Überzeugungen zu einer parteiübergreifenden Kooperation voraus.

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