"Bei politischem Willen ist immer eine Lösung möglich"
Interview mit Susanna Karawanskij und Michael Leutert
Der Bundestag berät in dieser Woche den Haushaltsentwurf, und nicht oft fällt die Beratung in eine Zeit so hitziger Debatten um öffentliche Gelder und ihre Verteilung wie jetzt in der Frage, wie die Unterbringung der Flüchtlinge zu stemmen ist. Michael Leutert, Berichterstatter der LINKEN für die internationalen Ressorts, und Susanna Karawanskij, Sprecherin der Fraktion für Kommunalfinanzen, nehmen im Interview der Woche den Haushalt der Bundesregierung im Hinblick auf diese Fragen unter die Lupe.
Die Dramen, die sich in den vergangenen Wochen in vielen Kommunen rund um die Registrierung und Unterbringung von Flüchtlingen abgespielt haben, ließen den Ruf nach mehr finanziellem Engagement des Bundes bei der Versorgung von Flüchtlingen laut werden. In dieser Woche berät das Parlament den Bundeshaushalt. Spielt das Thema dabei eine Rolle?
Susanna Karawanskij: Ich habe schon den Eindruck, dass auch die Bundesregierung den Ernst der Lage erkannt hat. Die Bundeskanzlerin spricht von einer nationalen Aufgabe, die flexiblen Lösungen vor allem aber auch den Einsatz von Mitteln in Milliardenhöhe erfordert. Für die Kommunen würde ich mir natürlich wünschen, dass grundsätzlich über ihre Aufgaben nachgedacht wird. DIE LINKE hat mit „Länderfinanzausgleich LINKS gedacht“ ein Konzept mit entsprechender Gegenfinanzierung vorgelegt, wonach die Finanzierungsverantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen auf den Bund übergehen soll, denn es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Kosten hierfür sollte daher auch der Gesamtstaat verantworten.
Michael Leutert, Sie sind im Haushaltsauschuss unter anderem zuständig für das Außenministerium, das Verteidigungsministerium sowie für das BMZ, das Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Das sind sämtliche Internationalen Ressorts. Wenn man sich den Haushaltsentwurf für 2016 anschaut: Tut die Bundesregierung genug, um die Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen?
Michael Leutert: Sie tut etwas, aber sie tut zu wenig, und sie tut es zu spät. Viele Flüchtlinge in Deutschland kommen aus Syrien und dem Irak. Der Bürgerkrieg dort dauert bereits Jahre. In den Nachbarstaaten leben mittlerweile Millionen Flüchtlinge unter katastrophalen Bedingungen in riesigen Lagern. Es fehlt von Trinkwasser und medizinischer Versorgung, über Müllentsorgung bis hin zu Schulen. Jetzt endlich soll zumindest das Entwicklungsministerium deutlich mehr Geld für die Unterstützung vor Ort erhalten. Doch die Bundesregierung bleibt inkonsequent: Krieg, Bürgerkrieg und zerfallende Staaten sind die Fluchtursachen Nummer eins. Dennoch exportiert Deutschland weiterhin Waffen in Krisengebiete und an Staaten, welche die Menschenrechte verletzen. So tragen wir mit zu Konflikten bei, vor denen Menschen dann fliehen müssen. Das muss aufhören.
Die Bundeskanzlerin sagte vergangene Woche, dass Deutschland die grundgesetzliche Verpflichtung habe, Flüchtlinge aufzunehmen und die Asylansprüche zu prüfen. Sie sagen, dass es auch eine völkerrechtliche Verpflichtung sei. Ist eine solche Verpflichtung überhaupt einlösbar?
Susanna Karawanskij: Die Bundesrepublik hat sich aus historischen Gründen ganz bewusst zum Grundrecht auf Asyl bekannt. Zudem gibt es Länder, die wirtschaftlich schlechter dastehen und deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir dürfen bei der ganzen Diskussion auch nicht vergessen, dass es eine Vielzahl von positiven Beispielen gibt, in denen Kommunen oftmals gemeinsam mit Ehrenamtlichen enorme Leistungen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen vollbringen. Entscheidend ist, dass die Bundespolitik die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. Ähnliches ist ja schon mal gelungen, nämlich bei der Aufnahme und Integration von Millionen Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.
Eine bessere Finanzierung für die Kommunen und der Vorschlag der LINKEN für einen Länderfinanzausgleich wurden bereits angesprochen. Was ist international notwendig, um Fluchtursachen wirkungsvoll zu bekämpfen? Beschränken sich die Forderungen der LINKEN auf mehr Geld?
Michael Leutert: Das fordern sogar der Außen- und der Entwicklungsminister, sie haben es nur bisher nicht bekommen. Wenn Deutschland wenigstens seine Selbstverpflichtung einhalten würde, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, wäre viel gewonnen. Seit Jahren sind es nur rund 0,4 Prozent. Dabei ist eine nachhaltige strukturelle Unterstützung nicht nur humanitär notwendig, sie rechnet sich langfristig auch. Doch Geld allein reicht nicht aus. In vielen Ländern, aus denen die Menschen fliehen, gibt es entweder kein oder ein sehr schlecht funktionierendes Staatswesen. Deutschland muss sich deshalb auch für den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, für Korruptionsbekämpfung und für individuelle Sicherheit der Bevölkerung einsetzen.
In den vergangenen Wochen und Monaten gab es überall in Deutschland lautstarke Proteste und auch gewaltsame Ausschreitungen gegen Flüchtlingsunterkünfte und deren Bewohnerinnen und Bewohner. Gibt es Möglichkeiten, darauf auch in den beginnenden Haushaltsverhandlungen für 2016 zu reagieren? Was fordert DIE LINKE?
Michael Leutert: Ganz wichtig ist es, die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Rechts zu stärken. Wenn es um Prävention, um mobile oder um Opferberatung geht, sind es die Projektträger vor Ort, die die Arbeit machen. Als LINKE fordern wir deshalb nicht nur eine Verdopplung der Mittel für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“, aus dem Projekte gegen Rechts finanziert werden, auf 80 Millionen Euro. Entscheidend ist eine institutionelle, langfristig abgesicherte Förderung. Dem dauerhaften Problem Rechtsextremismus müssen wir dauerhafte Strukturen entgegenstellen. Daneben fordern wir, die Zuschüsse für Organisationen, die im Bereich Flüchtlingsbetreuung arbeiten, deutlich anzuheben. Hier sollte zudem geprüft werden, ob die ehrenamtlichen Initiativen, die einen Großteil der Arbeit mit Flüchtlingen schultern, in die Förderung einbezogen werden können.
Noch einmal zurück in die Kommunen. Sie sagen, dass die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die der Bund komplett übernehmen müsste. Viele sagen, dass das schon rein rechtlich nicht geht. Wo liegen die Hürden?
Susanna Karawanskij: Als Schwierigkeit wird immer der Umstand angeführt, dass die Kommune dann formaljuristisch nicht mehr als sie selbst sondern quasi zu einer Bundesbehörde wird. Das Grundgesetz spricht in solchen Fällen von Bundesauftragsverwaltung. Hierzu muss man aber sagen, dass bis zur 17. Wahlperiode die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII ebenfalls eine bundesgesetzliche Aufgabe war, die von den Kommunen ausgeführt wurde. Die schwarzgelbe Regierung hat dann beschlossen, dass diese Aufgabe schrittweise auf den Bund übergehen soll, was mittlerweile abgeschlossen ist. Das zeigt, dass bei entsprechendem politischem Willen immer auch eine Lösung möglich ist.
Eine Ihrer Forderungen ist, Flüchtlinge dezentral unterzubringen statt in zentralen Sammelunterkünften in Gewerbegebieten. Welche Voraussetzungen müssten dafür geschaffen werden?
Susanna Karawanskij: Nach meiner Erfahrung sind die handelnden Akteure vor Ort ganz wichtig. Die Fortschritte, die unsere Landrätinnen bei der dezentralen Unterbringung beispielsweise in Thüringen erzielen konnten, waren möglich, weil sowohl die Einwohnerschaft als auch die politische Ebene frühzeitig in alle Entscheidungen mit einbezogen worden sind. Klar ist aber auch: Die Wohnungen müssen natürlich vorhanden sein. Dort wo derzeit freie Kapazitäten bestehen, müssen die Rückbauprogramme beendet werden. Gleichzeitig muss wieder deutlich mehr in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Hier sind Bund und Länder gleichermaßen gefordert. In vielen Ballungsgebieten herrscht generell ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
In Ihrer beider Heimat-Bundesland Sachsen gab es mit Freital und Heidenau zwei Kommunen, die zu erschütternder Bekanntheit gelangt sind. Glauben Sie, dass die Menschen in Deutschland – denn die beiden Gemeinden stehen ja nur exemplarisch für viele andere überall im Land – bereit sind für eine wirkliche Willkommenskultur?
Susanna Karawanskij: In dieser Frage stehen sich zwei Welten gegenüber. Zum einen ein tief verankerter Rassismus bei erheblichen Teilen der Bevölkerung, verbunden mit Wohlstandschauvinismus und anderen unappetitlichen Denkweisen. Auf der anderen Seite aber eben auch – und das ist ein Unterschied zu den 90er Jahren – sehr viele Menschen mit einem gewachsenen Verständnis für Flüchtlinge. Der Weg zu einer übergreifenden Willkommenskultur ist noch ziemlich weit, aber er ist nicht unmöglich. Wir LINKE stehen in der Verantwortung, dafür die treibende Kraft zu sein.
Michael Leutert: Willkommenskultur ist ein schönes Wort! Doch wenn Sachsens CDU-Innenminister Ulbig Ende 2014 eine Sondereinheit der Polizei gegen kriminelle Asylbewerber vorschlägt und sich Anfang diesen Jahres mit Pegida-Organisatoren trifft, steht das leider für eine Unkultur, die Rassismus legitimiert. Für die CDU in Sachsen steht der Gegner doch seit Jahrzehnten links. Ich sehe wie Susanna das gewachsene Engagement für Flüchtlinge, aber auch die Politik muss klar Stellung beziehen. Wir brauchen ein Ministerium für Migration und Integration auf Bundesebene. Das wird dem Rang der Aufgabe gerecht.
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