Das Ende von CETA und TTIP kann eine Politikwende einleiten

Von Axel Troost

22.08.2016 / 22.08.2016

Robert Zoellick, ehemaliger Präsident der Weltbank und US-Handelsbeauftragter ist skeptisch, dass sich noch eine Einigung beim umstrittenen TTIP-Abkommen zwischen den USA und der EU erreichen läßt. Zoellick wörtlich: „Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. … Theoretisch reicht die Ermächtigung zum Aushandeln des Abkommens bis ins Jahr 2018. Aber ich fürchte, dass Freihandelsgegner auch unter einer Präsidentin Clinton viele Gründe gegen TTIP finden werden – einfach weil sie den Wettbewerb scheuen.“

Die These von der Ablehnung des Wettbewerbs mag für Freihandels- und Globalisierungsfans überzeugend sein. Es geht in der Sache aber um einen anderen Begründungszusammenhang. Der US-Ökonom Stiglitz argumentiert in Übereinstimmung mit vielen Ökonomen und Politikern zurecht: „Es ist eine Lüge, dass alle von der Globalisierung profitieren. Wir müssen die Regeln des Wirtschaftens ändern. Abkommen wie TTIP sind Schritte in die falsche Richtung.“

In der Tat haben die neuen Freihandels- und Investitionsabkommen politisch kaum mehr eine Chance akzeptiert zu werden. Die beiden Bewerber für den nächsten US-Präsidenten Trump und Clinton haben sich gegen die Annahme dieser Abkommen ausgesprochen. Hillary Clinton machte kein Hehl aus ihrer Einstellung, dass sie die Trans-Pacific Partnership (TPP) ablehnt. Dabei handelt es sich um einen Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten und elf anderen Anrainern des Ozeans, der zu den Prioritäten von Präsident Barack Obama gehört. „Ich bin jetzt dagegen. Ich bin nach der Wahl dagegen, und ich werde als Präsidentin dagegen sein“, beteuerte sie.

Verhinderung der Ratifizierung des ausverhandelten CETA-Abkommens

Politisch ist der nächste Schritt in den kommenden Wochen die Verhinderung der Ratifizierung des ausverhandelten CETA-Abkommens zwischen der EU und Kanada. Letzte Woche vermeldete die Frankfurter Rundschau, dass Gabriel bei CETA „auf Teufel komm raus“ durch die Wand will. Matthias Miersch, der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, hat die 490 Seiten der deutschen CETA-Übersetzung samt ihrer 1.800-seitigen Anhänge studiert und kommt in einer siebenseitigen Bewertung zu dem Schluss: „Aus meiner Sicht kann kein sozialdemokratisches Mitglied des Parlamentes diesem Abkommen in der vorliegenden Fassung zustimmen.“ Das Fazit von Matthias Miersch ist eindeutig: „An zentralen Stellen würden die vom SPD-Parteitag formulierten roten Linien nicht eingehalten.“[1]

Die Sozialdemokratin Herta Däubler-Gmelin packt es noch grundsätzlicher in ihrem Gastbeitrag „Wider die marktkonforme Demokratie“ an: So ist das „Nein zu CETA“ für sie auch ein Nein zu einer Politik, die sich der Merkel`schen „Marktkonformen Demokratie“ verschrieben hat.[2] Inspiriert hat sie auch Arno Luik mit seinem Essay „Die Totengräber Europas“.[3] Eine massive Beteiligung an den 7 dezentralen Demonstrationen des Anti-TTIP-CETA-Bündnisses am 17. September[4] ist eine wichtige Unterstützung für solche Positionen auf dem SPD-Parteikonvent am darauf folgenden 19. September.

Politikwende einleiten

Meinungsumfragen nicht nur in den USA belegen, dass Freihandel und Globalisierung für einen großen Teil der Amerikaner und der Europäer zu den wichtigsten Quellen der Unzufriedenheit und des Protestes gehören. Stiglitz verweist zurecht auf die Gründe: „Großen Bevölkerungssegmenten in den hochentwickelten Ländern geht es nicht gut: In den USA leiden die unteren 90% seit einem Dritteljahrhundert unter stagnierenden Einkommen. Das Medianeinkommen vollzeitbeschäftigter männlicher Arbeitnehmer ist real (inflationsbereinigt) tatsächlich niedriger als vor 42 Jahren. Und ganz unten sind die Reallöhne mit dem Niveau von vor 60 Jahren vergleichbar.“ Und in Europa liegen die Dinge nicht besser.

Der Brexit, der Aufstieg des Rechtspopulismus und auch die Popularität von Donald Trump waren nur möglich, weil das neoliberale Establishment die Nöte der unteren Schichten ignoriert hat. Die Verlierer der Globalisierung sind vor allem die Menschen der unteren Mittelschicht in den alten Industrienationen, also in den Ländern Westeuropas, Nordamerikas und in Australien. Zu den großen Gewinnern gehörten die globalen 1% – die Plutokraten unserer Welt –, aber auch die Mittelschicht in neuen Schwellenländern. Zu den großen Verlierern – die nur geringe oder gar keine Einkommenszuwächse erzielten – gehörten die Armen und die Mittel- und Arbeiterschicht in den hochentwickelten Ländern. Die Globalisierung ist nicht der einzige Grund hierfür, aber sie ist einer der Gründe.

Die politischen Folgen sind unübersehbar. Die Briten führte es in den Brexit, den Amerikanern bescherte sie Donald Trump, den Franzosen den Front National und den Deutschen die Partei AfD. Zu lange haben die führenden Eliten die Klagen der unteren Einkommensschichten ignoriert. In den USA und vielen europäischen Ländern machte das politische Establishment jahrzehntelang Politik für Reiche. Niemand scherte sich um die Sorgen vor allem der unteren Mittelschicht. Die Globalisierung und die neuen Freihandelsabkommen stoßen auf immer größere Widerstände. Die drei neuen großen Abkommen TPP, CETA und TTIP sind Schritte in die falsche Richtung.

Eine Frage bleibt: wie kommen wir aus den angerichteten Verwüstungen und den sozialen Spaltungen heraus? Wir müssen die Spielregeln in der Globalwirtschaft und dem internationalen Währungssystem ändern. Wir haben die Chance einen Politikwechsel gegen den Neoliberalismus, einen neuen New Deal in den USA und den europäischen Mitgliedsländern, durchzusetzen. Auch Clinton will – unter dem Druck der Bewegung von Berni Sanders – die Politik in diese Richtung verändern. Im Mittelpunkt des Programms der Demokraten soll das „größte staatliche Investitionsprojekt“ seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stehen (über 250 Mrd. Dollar). Es zielt darauf, die marode Infrastruktur des Landes umfassend zu erneuern. Mithilfe einer öffentlichen Investitionsbank sollen dafür neben staatlichen Geldern auch private Mittel aktiviert werden. Clinton spricht davon, dass ihre Politik eine „Renaissance des produzierenden Gewerbes“ auslösen werde, und zitierte Experten, die ihr bescheinigen, auf diese Weise mehr als 10 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Zugleich kündete sie wie schon in früheren Reden eine Vielzahl sozialer Programme an, die von der Bereitstellung von Kindertagesstätten über höhere Löhne bis zu besseren Berufsaussichten reichen.

Auch in Europa und in Deutschland wäre ein Politikwechsel eine notwendige Alternative. Eine Ausweitung der Massenkaufkraft (Arbeits- und Sozialeinkommen) ist ebenso vorstellbar wie der gezielte Einsatz öffentlicher, vor allem kommunaler Investitionen. Über ein verstärktes Wirtschaftswachstum, den entsprechenden Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Sozialaufwendungen lässt sich auch eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen durchsetzen.

Über 45 Jahre hat der letzte Woche verstorbene Herbert Schui zusammen mit anderen HochschullehrerInnen und GewerkschafterInnen für eine alternative Wirtschaftspolitik geforscht, publiziert und gekämpft.[5] Über staatliche Investitionen in Innovationen lässt sich der Globalisierungskurs verändern und die Wirtschaft kann auf einen zukunftsorientierten sozialökologischen Wachstumspfad gebracht werden. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht ausreicht, Innovationen zu fördern, wenn ein Strukturwandel angestrebt wird. Damit Transformationsprozesse erfolgreich sind, müssen auch hemmende Strukturen – z.B. die Finanzialisierung, wodurch Finanzdienstleistungen die dominierende wirtschaftliche, kulturelle und politische Rolle in einer Volkswirtschaft übernehmen – abgebaut werden.

Es geht also um ein Maßnahmenbündel, das eine Veränderung der Verteilungsstrukturen zum Hebel für eine Veränderung des Wertschöpfungsprozesses und eine planmäßige Veränderung der Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft macht:

  • Stopp der Kürzungen bei Sozial- und Arbeitseinkommen,
  • Wiedereinführung der Vermögenssteuer und Einführung einer höheren Besteuerung großer Erbschaften,
  • realistische Immobilienbewertung und Bekämpfung der Steuerhinterziehung.

Mit der so erzielten Verbesserung der öffentlichen Einnahmen können öffentliche Investitionen, vor allem im kommunalen Bereich, finanziert werden.

So ein Maßnahmenbündel ist nicht nur ein rein wirtschaftliches und finanzpolitisches Instrumentarium zur Bekämpfung der weiter wachsenden sozialen Spaltung in Deutschland, sondern in ganz Europa. Mit so einem strategischen Wechsel in der Politik wäre auch der Anfang gemacht, dem anwachsenden Rechtspopulismus mit konkreten Alternativ-Angeboten entgegenzutreten.

Selbst aus der SPD sind zunehmend Töne zu vernehmen, dass – so Siegmar Gabriel zurecht – die Bilanz der Globalisierung zweischneidig sei wegen der „harten Gegensätze zwischen Gewinnern und Verlierern. Gabriel konstatiert: „Wir verlassen eine Epoche, in der einzelne Nationalstaaten immer defensiver für Sicherheit zu sorgen versuchen, während der globale Wirtschafts- und Sozialraum ein Umfeld der Deregulierung, der Destabilisierung und der Absenkung von sozialen Normen und Standards schafft. Es kommt in dem vor uns liegenden Jahrzehnt ganz offenkundig darauf an, eine globale Ordnung zu etablieren, die Bedürfnisse nach Sicherheit und Gerechtigkeit befriedigen kann.“

Die SPD-Führung irrt aber, wenn sie glaubt einen solchen Politikwechsel allein, ohne stabile Basis eines gesellschaftlichen Bündnis aus Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und den Parteien links der Mitte, herbeiführen zu können.

Die Chancen für einen derartigen Politikwechsel sind da. Sie müssen genutzt werden.

[1] matthias-miersch.de

[2] www.kontextwochenzeitung.de

[3] www.kontextwochenzeitung.de

[4] www.ttip-demo.de

[5] Siehe www2.alternative-wirtschaftspolitik.de sowie www.sozialismus.de


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