Der Grexit ist eine Scheinlösung und keine Abkürzung zu einem solidarischen Europa
Der Streit des Tsipras-Kabinetts mit seinen Gläubigern hat sich in den letzten Wochen wieder verhärtet. Aktuell drängt sich wieder das Bild von der Karotte auf, die an der Angel vor dem Maul eines Reittiers baumelt, die dieses aber nie erreichen kann. Die Karotte sind in diesem Fall die Aussicht auf Schuldenerleichterungen und niedrigere Sparvorgaben für die Jahre nach 2018, die Griechenland einen Weg aus der Schuldenfalle und der Austerität ebnen könnten. Die Eurogruppe hat darüber die Entscheidung aber wieder einmal vertagt. Gleichzeitig lockt sie nicht nur mit der Karotte, sondern zieht Griechenland mit dem Stock neue Reformen über.
Seit Monaten hängt der Abschluss der zweiten Programmüberprüfung an Streitigkeiten, die nicht die griechische Seite zu verantworten hat, sondern im Wesentlichen ein Streit zwischen dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Eurogruppe und der EU Kommission ist. In diesem Streit zählt Logik wenig und Macht sehr viel. Weil der IWF sehr pessimistische Wirtschaftsprognosen hat (die längst durch Daten widerlegt sind), soll die griechische Regierung neue umfangreiche Sparmaßnahmen in den Bereichen Rente und Einkommensteuer beschließen. Werden dadurch die Haushaltsziele übererfüllt, soll Griechenland das überschüssige Geld zwar für expansive, wachstumsfördernde Maßnahmen nutzen können. Doch dieses Zugeständnis ist in Wirklichkeit keins, denn ein Parlament sollte selbstverständlich über überschüssige Gelder frei verfügen können. Der IWF will nun aber sogar noch vorschreiben, dass die eventuellen Spielräume nicht zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, Energie und Medikamente verwendet werden dürfen, wie es Syriza vorschwebt, sondern zur Senkung der Unternehmensteuer und des Spitzensteuersatzes. Während die IWF Grundsatzabteilung die schädlichen Folgen von Ungleichheit auf die Wirtschaftsentwicklung beklagt, macht er vor Ort eine ganz konkrete Politik, die die Reichen reicher und die Armen noch ärmer macht.
Die anderen Gläubiger agieren ebenfalls unwürdig. Eurogruppenchef Dijsselbloem spricht von Wein und Schnaps, für das die Südländer ihr Geld ausgegeben haben. Und Schäuble, der hinter den Kulissen die Strippen zieht, hat sich in das Dilemma hineinmanövriert, dass er den IWF unbedingt als Zuchtmeister dabeihaben will, aber keinesfalls vor der Bundestagswahl zu den vom IWF verlangten Schuldenerleichterungen bereit ist. Nebenbei sehen er und seine Kollegen zu, wie der IWF in Griechenland die Errungenschaften europäischer Arbeitsmarktgesetzgebung schleifen will. Mit eiskalter Berechnung geht das griechische Drama in den nächsten Akt.
Griechenland hat eine andere Politik verdient. Aber wie kann das unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen geschehen? Griechenland ist tief in ein Wirrwarr von vertraglichen und institutionellen Arrangements verstrickt, die wie der legendäre gordische Knoten erscheinen. In der Sage heißt es, viele kluge und starke Männer versuchten sich daran, diesen Knoten zu lösen, aber keinem gelang es. Erst Alexander der Große konnte mit einem einzigen Schwerthieb den Knoten zerteilen. Könnte nicht Alexis Tsipras mit einem Ausstieg aus dem Euro einen ebenso kraftvollen Befreiungsschlag machen?
Der griechische Plan X
Solche Überlegungen zum Euro-Ausstieg gibt es seit langem auch in der Linken. Wie hierzulande kaum bekannt ist, hatte die griechische Regierung unter Finanzminister Varoufakis 2015 einen Notfallplan („Plan X“) zum Ausstieg aus dem Euro ausarbeiten lassen, diesen wegen der katastrophalen Konsequenzen aber verworfen. Die vom US- Ökonomen James Galbraith geleitete Arbeitsgruppe arbeitete zwar unter strikter Geheimhaltung, nachträglich wurden die Ergebnisse aber veröffentlicht.[1]
Dieser Plan X hatte es in sich, wie folgende Probleme veranschaulichen:
Die Regierung müsste den Notstand ausrufen, so dass sie per Dekret durchregieren kann. Dies setzt die Kooperation des konservativen Staatspräsidenten voraus, der ein erklärter Grexit-Gegner ist. Da zudem die Bevölkerung mehrheitlich gegen einen Grexit ist, bekäme die Umstellung den Charakter eines Währungs-Staatsstreichs.
Die zur Einführung der Neuen Drachme nötige Übernahme der unabhängigen griechischen Zentralbank stände in Konflikt mit dem EU-Recht, was zu ständigen Störmanövern führen würde.
Die griechischen Banken müssten umgehend verstaatlicht, vorübergehend geschlossen und mit der neuen Währung rekapitalisiert werden. Durch das fehlende Bargeld (denn die neuen Scheine müssten erst gedruckt werden) und das Schließen der Banken wäre der Zahlungsverkehr empfindlich gestört. Auch die Ausgabe von Steuergutschriften als eine Art Parallelwährung könnte Zahlungsengpässe nicht verhindern. Durch die Umstellung auf die neue Währung würden Bankeinlagen und Bargeld faktisch entwertet. Zugleich würden die Vermögenspreise einbrechen, was einerseits Gelder von ausländischen Investoren und reichen Griechen mit hohen Auslandsvermögen zurücklocken würde, andererseits aber auch den Ausverkauf von heimischen Vermögenswerten bedeuten würde. Eine Kontrolle der Außengrenze zur Verhinderung von Bargeldtransfers wurde als nicht durchsetzbar eingeschätzt. Die obligatorischen Kapitalkontrollen könnten somit unterlaufen werden.
Benötigt würde auch eine Totalmobilisierung von Polizei und Militär, um die öffentliche Sicherheit und Versorgung zu schützen. Auch wenn Lebensmittel, Medikamente und Kraftstoffe rationiert würden, wäre mit Versorgungsengpässen, Wucherpreisen und deutlich gestiegener Kriminalität (Diebstahl, Plünderungen…) zu rechnen.
Die Regierung müsste Tarifverträge, welche die Löhne an das Preisniveau koppeln, auf unbestimmte Zeit aussetzen, um eine Lohn-Wechselkurs-Spirale und Hyperinflation zu verhindern.
Parallel müsste die Regierung ausländische Touristen auf allerlei erdenkliche Weise hofieren. Anders als die einheimische Bevölkerung müssten sie möglichst unbeschränkt an Lebensmittel und Kraftstoffe gelangen können und die „Bevölkerung müsse daran erinnert werden, ihnen ein ruhiges, einladendes Umfeld“ zu bieten. Denn die Einnahmen des Tourismussektors wären für die griechische Wirtschaft von eminenter Bedeutung.
Über allem würde das Damoklesschwert der hohen Schuldenlast schweben. Mit der Umstellung auf die neue Währung wäre das Bedienen der Auslandsschulden nochmals erschwert. Die Schulden müssten daher restrukturiert werden mit dem Ziel einer „mühelosen Schuldenlast“, wozu es aber keinerlei Gewähr gibt, dass sich die Gläubiger darauf einlassen würden.
Die griechische Wirtschaft wäre weiterhin in hohem Maß von Importen abhängig, um Energie und andere lebenswichtige Güter wie auch Hochtechnologie bereitstellen zu können. Die wirtschaftliche Erholung würde sabotiert durch eine abgewertete und dauerhaft inflationäre Drachme.
Niels Kadritzke fasst diese Aussichten wie folgt zusammen: „Das ganze Szenario fiel am Ende so düster aus, das auch Galbraith zutiefst erschrocken war, wie er nachträglich in Interviews bekannte. Wichtiger ist allerdings die Frage, wie Tsipras auf dieses Gutachten reagiert hat. Die Lektüre muss für den Regierungschef ein Schock gewesen sein. Sollte Tsipras jemals mit dem Grexit geflirtet haben, wird er spätestens in diesem Moment realisiert haben, dass er diesen ‚Giftbecher‘ auf keinen Fall in die Hand nehmen darf (um den Titel von Galbraiths Buch zu zitieren).
Man stelle sich vor: Eine linke Regierung muss den Notstand ausrufen lassen, muss eine Belagerung der Banken durch ‚das Volk‘ verhindern, muss mit Hilfe der Armee für ‚Ruhe und Ordnung‘ sorgen, muss einen Lohnstopp verfügen, um die Inflation zu begrenzen, und hat dennoch keine Chance, die Zirkulation einer Parallelwährung und damit die sukzessive Entwertung der Neuen Drachme zu verhindern. Kurzum: ein Alptraum, der noch viel bedrückender ist als die Zumutung, eine tiefgreifende soziale und ökonomische Krise unter dem Diktat der Gläubiger zu verwalten.“[2]
Für wen ist ein Grexit also eine machtpolitische Option? Für Varoufakis war er ursprünglich konzipiert als Droh-Szenario gegenüber den Gläubigern. Diese sollten ein erneutes Aufflammen der Eurokrise scheuen und deswegen bereit sein, auf Forderungen der griechischen Regierung einzugehen. Er hatte aber den Willen und die Bereitschaft Schäubles und anderer Hardliner unterschätzt, an Griechenland ein Exempel zu statuieren, um anschließend umso besser die Vorstellungen eines deutschen Europas durchsetzen zu können. Schäuble hat schon früher mit dem Grexit geflirtet und tut dies auch weiterhin. Insofern ist in der griechischen Bevölkerung der Grexit stark mit dem Bild der deutschen Erpressung verbunden.
Angesichts der Machtlage ist das Szenario eines kooperativen Euro-Ausstiegs kaum glaubhaft – mit der Vorstellung, dass Deutschland und die anderen Gläubiger Griechenland den Ausstieg durch flankierende Maßnahmen abfedern könnten. Dies würde einerseits die nicht vorhandene Bereitschaft voraussetzen, die griechischen Staatsschulden zu restrukturieren, andererseits über die EZB den griechischen Banken übergangsweise Liquidität zu sichern und den Wechselkurs zu stabilisieren – ganz zu schweigen von neu zu verhandelnden Sonderregelungen, um die griechische Wirtschaft zu entwickeln, ohne ganz aus der EU austreten zu müssen. Wie unrealistisch so eine freundschaftliche Scheidung ist, lässt sich derzeit am Brexit besichtigen.
Der Kampf für ein solidarisches Europa ist ein langer und schwieriger.[3] Der Grexit ist eine Scheinlösung, er bietet dafür keine Abkürzung.
[1] James K. Galbraith, Welcome to the Poisoned Chalice: The Destruction of Greece and the Future of Europe („Willkommen zum vergifteten Kelch – Die Zerstörung Griechenlands und die Zukunft Europas“), New Haven and London (Yale University Press) 2016, Anhang: Der Plan X – eine Zusammenfassung, S.190-199 (eigene Übersetzung) www.axel-troost.de
[2] Niels Kadritzke, Grexit und linke Geisterfahrer. Aus: LMD 13.03.2017 mondediplomatique.de alle Kolumnen unter: Nachdenken über Griechenland. Niels Kadritzke berichtet im LMd-Blog regelmäßig über die gegenwärtigen Entwicklungen in Griechenland www.axel-troost.de
[3] 2016 ist eine Flugschrift mit Vorschlägen zur Neuordnung der EU erschienen: Klaus Busch/Axel Troost/ Gesine Schwan/Frank Bsirske/Joachim Bischoff/Mechthild Schrooten/Harald Wolf: „Europa geht auch solidarisch. Streitschrift für eine andere EU“, VSA-Verlag 2015 www.axel-troost.de
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