Wird auch "Hoffnungsträger" Macron mit seinen Ideen für eine europäische Investitionspolitik an Schäubles kurzer Leine gehen müssen?

08.05.2017 / Axel Troost

Halb Europa atmet auf. Auch wenn die vielen WählerInnen für Le Pen ein weiteres Alarmzeichen sind, konnte eine rechte Präsidentschaft in einem der zentralen Mitgliedsstaaten und damit eine existentielle Bedrohung für den Fortbestand der Europäischen Union noch einmal abgewendet werden. Von dem neugewählten französischen Präsidenten Macron versprechen sich nun viele BürgerInnen und PolitikerInnen neue Impulse für die Europapolitik. Die politische Klasse in Deutschland erwartet einen Neustart in dem deutsch-französischen Motor und in der Folge einen Aufbruch in der Europäischen Union. Jedoch: So einfach dürfte die erhoffte politische Allianz nicht zu realisieren sein.

Macrons Pläne für Frankreich und Europa

Emmanuel Macron ist ein engagierter Europäer. Er setzt sich dafür ein, dass Frankreich wieder eine führende Rolle in Europa übernimmt. Zudem unterstützt er eine Vertiefung der europäischen Währungsunion und setzt sich für eine Investitionsoffensive in Frankreich mit europäischer Unterstützung ein. Er will daher umfangreiche Programme für öffentliche Investitionen auf nationaler wie auch auf EU-Ebene umsetzen, wobei er das Juncker-Programm für notwendig, jedoch unzureichend hält. Für Frankreich will Macron ein 50 Mrd. Euro umfassendes öffentliches Investitionsprogramm einsetzen, unter anderem zugunsten der Ausbildungsförderung (15 Mrd. €), der Energiewende (15 Mrd. €), des Gesundheitswesens (5 Mrd. €) und der Landwirtschaft (5 Mrd. €).

Deshalb wird laut Macron ein Budget der Euro-Zone benötigt, das demokratisch kontrolliert und von einem Wirtschafts- und Finanzminister der Euro-Zone verwaltet wird. Und dieser Etat müsse mit „eigenen“ Ressourcen in der Größenordnung von mehreren hundert Mrd. Euro dotiert werden. Das sei die einzige Chance in der EU Verantwortung und Solidarität miteinander in Einklang zu bringen. Macron will somit einen eigenen Haushalt für die Euro-Zone schaffen – samt Euro-Finanzminister und Parlament für den Währungsraum. Die Verteilung von Finanzmitteln will der Franzose nicht primär an die Einhaltung von Fiskalregeln, sondern an Besteuerung und Sozialpolitik knüpfen. Wie das genau funktionieren soll, lässt sich aus seinem Wahlprogramm jedoch nicht ablesen.

Zugleich betont er die Notwendigkeit struktureller Reformen – vielleicht auch strategisch, um die deutsche Regierung für eine solche Vertiefung überzeugen zu können. Der Kritik, dass er selbst eine neoliberale Wirtschaftspolitik verfolge, setzt Macron entgegen: Ja, man müsse Teilen des französischen Staatsapparates mit Einsparungen von 60 Mrd. Euro bis 2022 begegnen, wolle man die Kontrolle über die öffentlichen Finanzen behalten. Diese Einsparungen seien nicht als absolute Einschnitte gemeint, sondern bezögen sich auf weitere Ausgabenentwicklung und seien daher faktisch Umschichtungen. Die Konzeption einer reinen Sparpolitik führten dagegen nicht zur Sanierung der Ökonomie; diese „budgetären Hyperkonsolidierung“ sei nicht zielführend und begünstige die Populisten von rechts. Es bleibt zu hoffen, dass Macron sich an seine Worte erinnern wird, wenn er später seine neoliberalen „Reformen“ umzusetzen beginnt.

Macron und die EU-Kommission ziehen am gleichen Strang für eine tiefere Integration der EU

Die EU-Kommission will einen gemeinsamen Finanztopf für die Währungsunion vorschlagen und strebt auch an einen hauptamtlichen Vorsitzenden an die Spitze der Eurogruppe zu setzen – quasi als Vorläufer für eine spätere Wirtschaftsregierung. Nach Brüsseler Vorstellungen soll der EU-Wirtschaftskommissar das Amt in Personalunion übernehmen.

Die Befürworter einer Erneuerung der europäischen Architektur haben die aktuelle Krisenkonstellation vor Augen, die mit dem Brexit, aber auch mit den Problemen der südeuropäischen Mitgliedsländer deutlich sichtbar geworden sind. Die EU-Kommission will deshalb in den nächsten Wochen ein Papier mit Vorschlägen zur Vervollständigung der Europäischen Währungsunion vorstellen.

Hier geht es um einen sehr ambitiösen Vorschlag, der weit über die Konzeption des deutschen Finanzministers hinausgreifen soll. EU-Kommissar Pierre Moscovici skizziert diese Ideen zur Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion: Erstens gehe es darum, wie die Währungsunion für mehr Wachstum in Europa sorgen kann. Zweitens brauche es wieder mehr Konvergenz zwischen den EU-Ländern. Und drittens gehe es darum, wie die Governance in der Euro-Zone verbessert werden kann. Aus dieser Logik heraus entsteht die Forderung, eine eigene fiskalische Kompetenz für die Euro-Zone – faktisch einen eigenen Finanzhaushalt – zu schaffen. Mit diesem Haushalt sollten Anreize für Investitionen geschaffen und etwas gegen die Arbeitslosigkeit getan werden. Schließlich gehe es auch darum, die Bankenunion zu vervollständigen (also Eigenlagensicherung und gemeinsame Besicherung von Krediten).

Dagegen steht Schäubles Deutschland als Bremsklotz, dessen austeritärer    Würgegriff das europäische Projekt erodieren lässt

Aber für die Pläne Frankreichs und der EU-Kommission zeichnen sich bereits mehrere große Hürden ab: Erstens: Macrons Handlungsparameter sind trotz des Wahlerfolges begrenzt. Es stehen bekanntlich Neuwahlen zum Parlament an. Die Mehrheitsfindung im französischen Parlament wird auch nach diesen Wahlen schwierig bleiben. Zweitens wären für solch weitreichende Reformen auf jeden Fall EU-Vertragsänderungen nötig, die – nicht nur in Frankreich – nur mit einem Referendum realisiert werden könnten. Drittens – und wohl ausschlaggebend für eine düstere Prognose - treffen diese Vorschläge in Berlin – vor allem bei dem zentralen Verfechter einer Austeritätspolitik – auf deutlichen Widerstand.

Denn die Zukunft der Europäischen Währungsunion ist schon jetzt zwischen Brüssel und Berlin strittig – schon vor Macrons (zumindest auf die EU bezogen) durchaus progressiven Ideen. Bundesfinanzminister Schäuble hat nach einer Sitzung der EU-Finanzminister unmissverständlich klargemacht, was er von den Ideen der Brüsseler Behörde zur Weiterentwicklung der Eurozone hält: Nichts.

Schäubles Argumente: Dafür benötige man Änderungen des EU-Vertrags und die seien „derzeit nicht realistisch“. „Das lohnt im Augenblick die Mühe nicht“, sagte der CDU-Politiker. Auch die EU-Mittel sollten nur für Aufgaben verwendet werden, die Europa insgesamt stärken würden. Auch ein europäisches Investitionsprogramm könne es nicht geben. Von EU-Ausgaben müssen alle Mitgliedstaaten profitieren. Aufgaben, von denen nur ein Mitgliedstaat profitiere, solle dieser selbst zahlen. Die Idee der Kommission, Staatsanleihen verschiedener Eurostaaten gebündelt zu verbriefen, lehnt die deutsche Regierung gleichfalls ab. Von EU-Ausgaben müssten alle Mitgliedstaaten profitieren. Schließlich dürfe es – wenn es nach dem Willen des CDU-Politikers geht – auch nach dem Brexit keine Aufstockung des EU-Etats geben. Vor allem soll Deutschland nach dem Austritt Großbritanniens auch nicht mehr Geld an die EU zahlen als bisher, was der Außenminister Gabriel ins Gespräch gebracht hatte.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plädiert auch für eine Stärkung der Euro-Zone, aber anders als Macron will er erst finanzielle Risiken in den EU-Staaten reduzieren, bevor über eine weitere Vertiefung der Gemeinschaftsinstitutionen gesprochen werden kann. Wolfgang Schäuble möchte aus dem Krisenfonds ESM einen Europäischen Währungsfonds machen, was im Wesentlichen auf mehr vorsorgliche Haushaltskontrolle hinausläuft.

Ein Kompromiss zwischen Frankreich/EU-Kommission und einem CDU-Deutsch-land ist kaum möglich

Eine Basis der Verständigung mit der deutschen Regierung könnte sein, dass Macron auch die Bedeutung der Budgetregeln der EU bekräftigt und zugesteht, dass die öffentliche Neuverschuldung von den Mitgliedsländern begrenzt werden müsse.

Angesichts der gegensätzlichen Positionen bleibt jedoch fraglich, ob Schäuble sich zu einem politischen Kompromiss bereitfinden wird. Sein Credo zielt auf die Einhaltung der Stabilitätskriterien, während Macron für eine eher keynesianische Politik wirbt, mit Investitionen für eine Verbesserung in der Eurozone zu sorgen. Dagegen argumentiert der deutsche Finanzminister unverändert neoliberal. „Die Welt spürt immer noch die Auswirkungen der letzten Finanzkrise und wir können die Möglichkeit weiterer Turbulenzen nicht ausschließen.“ Weltweit seien die öffentlichen und die privaten Schulden auf ein historisches Hoch gestiegen. Dagegen müsse etwas unternommen werden, denn die Fähigkeit vieler Länder, auf eine zukünftige Krise zu reagieren, werde durch hohe Schuldenstände stark behindert. „Wir müssen allmählich die Verschuldung reduzieren und aufhören, auf das Wachstum zu setzen, das durch den kreditfinanzierten Konsum angeheizt wird.“ Das erfordere eine wachstumsfreundliche Konsolidierung, eine Bereinigung des Banken-Sektors und weitere Strukturreformen. Die Botschaft ist eindeutig: die negativen Seiten der Austeritätspolitik will der Finanzminister nach wie vor nicht wahr haben.

Deshalb kann nur eine Linkswende in Deutschland die Zukunft der europäischen Union sichern

Wolfgang Schäuble steht mit seiner Haltung für die starre Europa-Politik der großen Koalition, die maßgeblich zu den Divergenzen und Krisenerscheinungen vor allem in den Ländern der südlichen Regionen beigetragen hat und die Zukunft eines gemeinsamen Europa aufs Spiel setzt. So ist es ernst zu nehmen, wenn aus der jüngsten Jugendstudie der TUI/YouGov hervorgeht, dass zwar in keinem Land sich unter den jungen EuropäerInnen eine Mehrheit findet, die für den Austritt des jeweiligen Landes aus der Europäischen Union ist – aber: immerhin jede/r Fünfte befürwortet einen Austritt des eigenen Landes (21 Prozent). Besonders kritisch sind die jungen Menschen in Griechenland (31 Prozent für den Austritt); französische (19 Prozent) und polnische Jugendliche (22 Prozent) bewegen sich im Mittelfeld. In Deutschland und Spanien wird die Mitgliedschaft in der EU dagegen am stärksten befürwortet: Nur zwölf Prozent der Jugendlichen beider Länder würden bei einem Referendum gegen den Verbleib in der EU stimmen.

Der Vorsitzende der TUI-Stiftung, Thomas Ellerbek, stellt fest: „Wenn 53 Prozent der jungen Europäer ‚eher zufrieden‘ oder ‚sehr zufrieden‘ mit der Europäischen Union sind und in allen Ländern eine Mehrheit für einen Verbleib im Staatenverbund votiert, darf das nicht zu Selbstzufriedenheit führen. Denn umgekehrt bedeutet diese Zahl, dass fast die Hälfte der jungen Generation wenig mit Europa anzufangen weiß. Insofern ist die TUI-Jugendstudie ein Auftrag uns zu engagieren und darum zu kämpfen, Europa mit Sinn, Leben und Werten zu füllen.“ Ansonsten stelle sich die Frage, wofür die EU eigentlich steht. Es werde Zeit, dass Europa wieder eine klare Positionierung findet, um die Jugend nicht zu verlieren. Er sieht die Gefahr, „dass sich die Jugend wegen der Orientierungslosigkeit von der EU abwendet, hin zu einem stärkeren Nationalstaat."[1]

Nur in einem Politikwechsel, der sich von der vorliegenden Austerität als Krisenbewältigung verabschiedet, liegt eine Chance für die Überwindung der europäischen Krise. Hier in Deutschland sind SPD und GRÜNE gefordert entsprechende Initiativen zu ergreifen. Ich werbe weiterhin in der LINKEN für einen Entwicklungspfad eines gemeinsamen, solidarischen Europas und stehe gerne für Diskussionen über die von uns geforderten konkreten Maßnahmen zur Verfügung.[2]

[1] www.tui-stiftung.de

[2] 2016 ist eine Flugschrift mit Vorschlägen zur Neuordnung der EU erschienen: Klaus Busch/Axel Troost/ Gesine Schwan/Frank Bsirske/Joachim Bischoff/Mechthild Schrooten/Harald Wolf: „Europa geht auch solidarisch. Streitschrift für eine andere EU“, VSA-Verlag 2016  www.axel-troost.de

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