Reformprozess in Griechenland und die deutsche Politik
Der EU-Ministerrat hat Griechenland offiziell aus dem Defizitverfahren entlassen. Nach acht Jahren liege das Defizit erstmals wieder unter der 3%-Grenze des Maastricht-Vertrages. »Nach vielen Jahren ernster Schwierigkeiten sind Griechenlands Finanzen jetzt in viel besserem Zustand«, sagte der estnische Finanzminister Toomas Tõniste als derzeitiger Ratsvorsitzender.
Und er fügte hinzu: »Wir sind jetzt im letzten Jahr des finanziellen Unterstützungsprogramms und es gibt Fortschritte, um es Griechenland zu ermöglichen, wieder zu nachhaltigen Konditionen Geld auf den Finanzmärkten zu bekommen.«
Der erfolgreiche Abschluss des griechischen Spar- und Reformprogramms (Memorandum) stand daher auch im Zentrum auf der Agenda eines offiziellen Besuchs des Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem. Er hat auch die großen Fortschritte hervorgehoben, die das Land bisher erzielt hat, und setzt sich für einen schnellen Abschluss der Beurteilung der von Athen an den Tag gelegten Spar- und Reformbemühungen durch die internationalen Partner ein. Für ihn sei unstrittig, dass Athen in den vergangenen zwei Jahren insgesamt große Fortschritte erzielt habe, wenn auch noch einige vereinbarte Auflagen umgesetzt werden müssten.
Kein anderes EU-Land wurde derart hart von der Krise getroffen wie Griechenland, nirgends ist die Wirtschaftsleistung derart zusammengesackt, nirgends haben Arbeitslosigkeits- und Armutsquoten derartige Höhen erreicht. Trotz der stark verbesserten Haushaltslage braucht das Land Geld für Investitionen, zur Bekämpfung der massiven Armut und um alte Schulden abzutragen. Erst vor zwei Wochen hatte Ministerpräsident Alexis Tsipras die Krise für beendet erklärt.
Die Proklamation eines neuen Abschnitts stützt sich auf die leichte, aber nachhaltige Belebung der Wirtschaft und die erkämpfte »Normalisierung« gegenüber den Finanzmärkten. Vizepremier Giannis Dragasakis (Syriza) mahnt zu Realismus: » Aber das bedeutet nicht, dass wir die Krise überwunden haben. Wenn wir deren Ausmaß betrachten, ist es, als hätten wir einen Krieg hinter uns. Wir haben ein Viertel unserer Wirtschaftsleistung eingebüßt. Auf dem Höhepunkt lag die Arbeitslosigkeit bei 27%. Das Vermögen unserer Bürger wurde entwertet. Die sozialen Folgen waren gravierend. Es wird sich zeigen müssen, was wir aus der Krise gelernt haben. Ziel kann nicht sein, einfach zu der Zeit von vor der Krise zurückzukehren. Wir müssen unsere Wirtschaft, unseren Staat auf ein neues Fundament stellen.«
Seit 2015 wird die griechische Linksregierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras durch die r Gläubiger-Institutionen gezwungen, ein radikales Kürzungsprogramm umzusetzen – einschließlich empfindlicher Einschnitte bei Renten und Arbeitslosenhilfe sowie Verbrauchssteuererhöhungen. Neue Investitionen und Reformprojekte blieben die Ausnahme. Logischerweise hat die Linksregierung enorm an Zustimmung verloren. eEs wird noch lange dauern, die strukturellen Probleme zu überwinden. Es ist ein riesiger Fortschritt, dass die Arbeitslosigkeit von 27% auf 21% gesunken ist. Aber auch 21% sind nicht akzeptabel.
Ein Rückfall in neoliberale Sparpolitik wäre das Ende des griechischen Reformprozesses. Dragasakis unterstreicht daher zu Recht: » Wenn wir das Hilfsprogramm pünktlich abschließen wollen, müssen wir jetzt mit den Gesprächen anfangen und spätestens Anfang nächsten Jahres zu einer Lösung kommen…. Schon jetzt sind die politischen Kräfte in Deutschland in der Lage, sich folgende Fragen zu stellen: Wollen wir, dass Griechenland das Programm beendet und dass es das letzte für Griechenland war? Ich denke, sie haben die Antworten bereits im Kopf.« Denn: Griechenlands Rekonstruktion konnte erfolgreich sein, weil der Aufwärtstrend in der internationalen und europäischen Konjunktur die Tendenz begünstigte. Eine neue Rezession wäre immer noch gefährlich.
Alle Länder der südlichen Peripherie haben ihre fundamentalen Kreditprobleme noch nicht gelöst. Trotz der klaren Reduktion der Kosten für die Schuldenaufnahme durch die extrem tiefen Zinsen haben die meisten Regierungen die Hinterlassenschaften der Finanzkrise nur partiell bewältigt. Im Fall von Griechenland war dieser Zeitgewinn extrem wichtig. Es bleibt zu hoffen, dass die positiven Rahmenbedingungen noch eine Zeit lang anhalten und Griechenland mit dem Projekt der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rekonstruktion im nächsten Jahr soweit vorankommt, dass eine eigenständige Entwicklung ohne harte Finanzaufsicht durch die Gläubiger wieder möglich wird.
Die griechische »Eurobank« stellt jetzt fest, es gebe zahlreiche Faktoren, die das Land nun attraktiv für Investitionen machten. Darunter seien die stabile und demokratische politische Lage sowie die Tatsache, dass mittlerweile mehr als 85% der BürgerInnen sich für Privatisierungen, und 65% für den Euro als Währung aussprechen. Hinzu kämen die im Vergleich zu der Zeit vor der Krise billigeren Arbeitskräfte. Außerdem hätten mehr als 42% der ArbeitnehmerInnen einen Hochschulabschluss.
Auch an den Märkten gewinnt das Land wieder Vertrauen. Ende Juli platzierte Griechenland nach dreijähriger Pause eine Anleihe im Volumen von drei Mrd. Euro an den Finanzmärkten. Athen musste für das Papier mit fünfjähriger Laufzeit gerade mal eine Rendite 4,6% bieten. Mitte August erhöhte Fitch das Rating auf B-. Zum ersten Mal seit 2015 ist Griechenland damit nicht mehr mit dem Makel einer Bonität im untersten Notendrittel behaftet.
Der amtierende Finanzminister Euklid Tsakalotos sieht die Chance für ein neues Kapitel in seinem Land. Deutschlands bisheriger Finanzminister Wolfgang Schäuble habe zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich geglaubt, dass es besser für Griechenland wäre, außerhalb der Eurozone zu bleiben, aber nicht außerhalb Europas. Doch Schäubles Vision von Europa habe nicht funktioniert.
In der Linkspartei Syriza wird der zurückliegende Prozess der als Scheitern der Austeritätspolitik verarbeitet. »Was am besten für Griechenland ist, ist auch am besten für Europa und auch am besten für Deutschland. Darauf basiert unsere Politik., Auch wenn anderes behauptet wurde, das war schon das Ziel, als Syriza 2015 die Wahl gewonnen hatte.« Rigorose Sparpolitik ohne Übergang in neue Wachstumsfelder sind weder für Griechenland noch für irgendein anderes Land die richtige Politik .
Seit dem Bekanntwerden des deutschen Wahlergebnisses ist die gute Stimmung an der Ägäis allerdings eingetrübt. »Die erwartete Jamaika-Koalition aus Grünen, FDP und der Union könnte bedeutende Folgen für die Geschwindigkeit und Tiefe der Euro-Integration haben«, sagt Giacomo Barisone von der europäischen Ratingagentur Scope. dDie Bondsmärkte haben bereits reagiert. So sind die Risikoprämien griechischer Anleihen zuletzt wieder deutlich gestiegen. Für zehnjährige Papiere wird ein Aufschlag von 5,21 Prozentpunkten fällig. Im Sommer lag er noch 0,5 Prozentpunkte darunter.
Dass es möglicherweise mit der neuen deutschen Bundesregierung eine neue Phase der Auseinandersetzung geben könnte, möchte die die linksgeführte Regierung in Athen ausschließen. »Die europäischen Institutionen, die deutsche und die griechische Regierung wollen einen erfolgreichen Abschluss des griechischen Kreditprogramms«, betont Dimitri Papadimoulis, Chef der Syriza-Delegation im Europarlament und einer der Vizepräsidenten des Parlaments. Die griechische Wirtschaft sei in eine Wachstumsphase eingetreten, was auch die politische Führung in Deutschland anerkenne. »Ich glaube nicht, dass ein Wechsel im Amt des deutschen Finanzministers bedeutet, dass sich die Politik gegenüber Griechenland ändert.«
Keine Frage: Die mögliche Regierungsbeteiligung der FDP wird in Athen mit Spannung und Unruhe verfolgt. Denn die Äußerungen von FDP-Chef Christian Lindner sind in Griechenland aufmerksam registriert worden. Euro-Rettungspolitik gescheitert, Kehrtwende in der Griechenlandpolitik notwendig, Griechenland zeitlich befristet raus aus der Eurozone, hatte der FDP-Vorsitzende erklärt. "Damit ist das Grexit-Gespenst wieder am politischen Horizont Athens aufgetauccht.
Finanzminister Tsakalotos glaubt trotz aktueller Rückschläge noch an 2% Wachstum dieses Jahr, sein Kollege, der Wirtschaftsminister Dimitri Papadimitriou gar an ein Übertreffen des vereinbarten Primärüberschusses. Im aktuellen »Global Competitiveness Report«, der die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten misst, sackte Griechenland vom Rang 81 auf 86 ab. Zu den größten Kritikpunkten zählen vor allem die nach wie vor überbordende Bürokratie, die politische Unsicherheit und das ineffiziente Steuersystem Griechenlands.
Positiv stimmen die aktuellen Trends: Die Arbeitslosigkeit geht – wenn auch auf hohem Niveau – langsam zurück. Neueinstellungen im verarbeitenden Gewerbe erreichten im August gar das höchste Niveau seit Januar 2000. Ihre nächste Überprüfung der Finanzplanung durch die Kreditgeber will die griechische Regierung im Dezember abschließen. Dann sollte sie auch längst wissen, wer der neue deutsche Finanzminister ist, mit dem sie zu tun haben wird.
Griechenland bleibt weiterhin auf Hilfen angewiesen. Das Land weist nach wie vor eine extrem hohe Gesamtverschuldung aus. Diese betrug zuletzt knapp 180% der Wirtschaftsleistung des Landes. Doch dank der Hilfe der Euro-Partner muss Athen lediglich 2% seiner Wirtschaftsleistung für den Schuldendienst aufbringen. Würde die Subventionierung wegfallen, könnten die Kosten schnell auf 10% nach oben schnellen und wären nicht mehr finanzierbar. Nach Berechnungen des Analysehauses Fathom würde die Schuldenquote in den kommenden acht Jahren dann auf 250% steigen.
Insofern ist Athen auf ein Entgegenkommen der anderen Euro-Staaten weiterhin angewiesen. Doch angesichts der zu erwartenden Regierungskoalition in Berlin ist genau das erheblich schwieriger geworden. Damit sind neue Konflikte zwischen Nord- und Südeuropa zu befürchten, die einem Überwinden der europäischen Krise eher entgegenstehen.
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