MAKROSKOP: Im Zwielicht neoliberaler Verdächtigungen zur Geldpolitik
Replik Rudolf Hickels zum Verriss seines Beitrags zur EZB-Politik
Am 6.11.2019 ist im MAKROSKOP, der sich dem Leitziel „Kritische Analysen zu Politik und Wirtschaft“ verpflichtet sieht, der Beitrag „geldpolitische Märchenstunde“ von Paul Steinhardt veröffentlicht worden. Es geht um einen Verriss meines Beitrags zur EZB-Politik. Die an wissenschaftlichen Rufmord erinnernde Methode gipfelt in der Aussage: Rudolf Hickel „tischt dazu neoliberale Mythen auf und verteidigt eine autoritäre und neoliberale Institution, die das wahrlich nicht verdient.“ Übrigens kann Paul Steinhardt erste Erfolge seiner Unterstellung Neoliberaler mit Neigung zur autoritären Institution EZB verzeichnen. Allerdings eher nur aus Kreisen der glühenden Verehrer dieses mittlerweile zum „Magazins für Neue Monetäre Ökonomik“ mutierte Projekt ist mir mit hasserfüllten E-Mails dieser durch Steinhardt ersponnene Wechsel zum Neoliberalismus und das auch noch im Gewande einer pseudo-keynesschen Terminologie übelgenommen worden.
Schon bei der Auswahl des Beitrags geht Steinhardt auffällig selektiv vor. Herangezogen wird ein stark komprimierter Text in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ unter dem Titel „Gestern Draghi, heute Lagarde“ im Heft 9/2019. Da musste doch klar sein, dass differenzierte Begründungen nicht ausgeführt werden konnten. Deshalb hat die großartig-aufrechte Redaktion auf die zugrundeliegende Analyse in einer Fußnote hingewiesen. Diese ist jedoch für den vorliegenden Verriss nicht berücksichtigt worden. Dabei ist der Zugriff übrigens kostenlos über meine Homepage und die Internetseite der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik jederzeit möglich.
Bei der Abrechnung mit dem neoliberalen Hickel fallen zwei Muster auf:
Erstens wird mein Beitrag als Erklärung dafür herangezogen, „warum wir (MAKROS-KOP, R.H.) nicht enger mit Ökonomen aus dem Dunstkreis der ´Memorandum-Gruppe` zusammenarbeiten.“ Ich gehe davon aus, dass hier Steinhardt für den gesamten Herausgeberkreis, also auch Heiner Flassbeck, spricht. Diese per Induktionsschluss geschlussfolgerte kollektive Diskriminierung aller Ökonomen und auch durch Steinhardt nicht genannten Ökonominnen in der Memo-Gruppe ist ärgerlich. Mein Verhältnis zur MAKROSKOP-Plattform ist dagegen wissenschaftlich offen. Es gibt viele Beiträge, die ich gerne studiere, aber auch solche, die aus meiner Sicht besserwisserisch und sektiererisch daherkommen. Übrigens werden in der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ die Analysen selbstverständlich berücksichtigt. Jedenfalls tue ich Paul Steinhardt nicht den Gefallen, nach seiner Induktionsmethode diese Ökonomik-kritische Plattform kollektiv abzulehnen.
Zweitens zeugt die Etikettierung meiner wissenschaftlichen Arbeit als Spezialist für „neoliberale Mythen“ von einer ärgerlichen Unkenntnis über das, was Neoliberalismus ist und wie ich mich mit diesem seit Jahrzehnten auseinandergesetzt habe. Steinhardt meint mit neoliberal auch den Monetaristen Hickel. Der Monetarismus à la Milton Friedmann basiert in der Tat auf der Unterstellung eines entfesselten, ultrastabilen Kapitalismus (siehe Milton Friedman „Capitalism and Freedom“). Meine Kritik an diesem neoliberalen Monetarismus, die ich auch mal persönlich bei der „Konstanzer-Summer-University“ Milton Friedman unter heftigem Protest der Mainstream-Clique vortragen konnte, lässt sich nachlesen. Man kann meine keynesianische Makroökonomik allerdings auch mit Bezügen zu Marx und Kalecki falsch finden. Aber der Vorwurf des Neoliberalismus grenzt an wissenschaftlichen Rufmord. Für Paul Steinhardt gilt wohl der Grundsatz: Was in seine bankenreduzierte neu- monetäre Saldenmechanik nicht passt, ist neoliberal. In Wahrheit sind die von mir in meinem Beitrag zur EZB genutzten Kategorien Rationalitäts- und Liquiditätsfalle, Überschussliquidität, Übersparen in Folge der Vermögenskonzentration für den Neoliberalismus Kampfansagen gegen die geforderte Marktentfesselung.
Wenigstens auf die wichtigsten Kritikpunkte von Herrn Steinhardt kurz einzugehen, lohnt sich wohl nur, weil die MAKROSKOP- Studierenden wissen sollten, wie hier alle Regeln des wissenschaftlichen Dialogs zugunsten der Denunziation missachtet werden.
Hier einige Hinweise.
- Niemals habe ich behauptet, die Notenbank sei unabhängig. Welch ein Nonsense! Vielmehr habe ich mehrfach die These von der „Ohnmacht der Notenbank“ beschrieben. Die EZB kommt zwar im Gehabe autoritär daher, wird jedoch in Wahrheit durch die kapitalistisch-systemische Krisenkräfte getrieben.
- Die mir unterstellte Behauptung, mit der Zinspolitik könne „die Wirtschaft gesteuert“ werden, steht im Gegensatz zu dem, was ich vortrage. In dem inkriminierten Artikel zeige ich, warum die Niedrigzinspolitik versagen muss. Steinhardt behauptet, die unternehmerischen Investitionen seien heute nicht mehr zinsabhängig. Richtig, das ist auch meine These – übrigens im Widerspruch zum Neoliberalismus. In der Tat sind es die Nachfrageerwartungen, aber auch die hohen alternativen Renditen auf den Finanzmärkten, die die Expansion von Unternehmenskrediten zur Investitionsfinanzierung durch Niedrigzinsen scheitern lassen. Glaubt jemand ernsthaft, ein Unternehmer investiert per Kreditaufnahme, wenn die Zinsen niedrig sind? Übrigens ein die Argumentation verstärkender Punkt, der in dem Verriss nicht angesprochen wird, ist: Die Nutzung von Bankkrediten zur Finanzierung nimmt auch in Deutschland seit Jahren ab. Offensichtlich bieten sich andere Möglichkeiten der Finanzierung von Investitionen vor allem in der monopolisierten Wirtschaft. Übrigens, auch dies belegt die Ohnmacht der Notenbanken.
- Ich versuche zu zeigen, wie unter dem Regime der Niedrigzinsen die aus Gewinnen gespeiste, überschüssige Liquidität der Wirtschaft auf die Immobilien- und Wertpapiermärkte drängt und sich infolge der Asset-Inflation gefährliche Blasen bilden. Was an dem durch mich immer wieder untersuchten Systembegriff „Kasinokapitalismus“, den Keynes erstmals erschlossen hat und der das Elend der Geldpolitik erklärt, neoliberal sein sollte, ist nicht nachvollziehbar.
- Die Rolle der Banken im Prozess der endogenen Geldschöpfung über die Giralgeldschöpfung (Sichteinlagen) wird von mir trotz gegenteiliger Kritik durch Paul Steinhardt ausreichend belegt. Insoweit sich die Wirtschaft immer das Geld schafft, das sie braucht, ist die Ohnmacht der Notenbanken die Folge.
- Steinhardts Kritik der Ankäufe von Wertpapieren auf dem Bankenmarkt durch die EZB, die sich im September auf 2,6 Bio. € summierten, offenbart eine ziemlich reaktionär-nationalistische Botschaft. Zu allererst kauft die Notenbank nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Unternehmensanleihen und leider auch ABS-Papiere auf der Basis verpackter Forderungen. Seine Grundthese lautet, die Staatsanleihen würden gekauft, um vor allem hochverschuldete Staaten – selbstverständlich im Süden des Eurolandes – über niedrige Zinsen zu entlasten. Der „Freifahrtschein“ des Europäischen Gerichtshofs zugunsten der Anleihekäufe und damit die geldpolitische Förderung des Schuldenmachens wird durch Steinhardt zum „politischen Skandal“ erklärt. Gauweiler, Lucke und Teile der AFD lassen mit dem Wunsch auf den Ausstieg aus dem EURO grüßen. Von einem ökonomisch ausreichend gebildeten MAKROSK0P-Herausgeber ist doch zu erwarten, dass er zumindest auch die Frage stellt, welche - allerdings erfolglose Rolle - die Ankäufe zur Vermeidung einer Deflation bzw. zur Erreichung der Zielinflation von knapp unter 2 % spielen sollen. Jedenfalls reiht sich Paul Steinhardt damit bei den vielen Verschwörungstheoretikern ein (auch mit seinem Hinweis auf den geldpolitischen Zwang der EZB zur Austeritätspolitik in Griechenland).
- interessant ist jedoch auch, welche zentralen Teile meiner Argumentation in dem Verriss schlichtweg nicht erwähnt werden. Da ist mein Plädoyer für eine expansive Finanzpolitik mit einem Zukunftsinvestitionsprogramm (Bezug zur keynesschen Liquiditätsfalle). Wenn das neoliberal ist, dann hat Hans-Werner Sinn recht: Neoliberalismus ist auch für Steinhardt nur ein denunziatorisch genutzter Kampfbegriff gegen alles, was ihm nicht passt.
- Mit keinem Wort geht Paul Steinhardt auf meinen Versuch ein, die Dilemmata der Geldpolitik unter dem Regime der Niedrigzinspolitik aus der seit Mitte der neunzehnhundertachtziger Jahre Verlagerung zum finanzmarktgetriebenen Kapitalismus zu erklären: Immer weniger werden erwirtschafte Einkommen in volkswirtschaftliche Ausgaben transformiert. Die Folge ist ein Übersparen, das ich schon vor Jahrzehnten beschrieben habe. Die entscheidende Ursache liegt in der wachsenden Einkommens- und Vermögenskonzentration. Dagegen reicht der Staat mit seinen Investitionsprogrammen als „Lückenbüßer“ nicht aus. Erforderlich ist eine grundlegende Dekonzentration der Vermögen. Zu dieser kritischen Analyse, die in die Widersprüche des heutigen Kapitalismus vorstößt, fehlt dem kleinkariert banken-mikroökonomisch fixierten Kritiker die Kraft. Makroökonomik und Verteilungsfragen auch mit der Ableitung einer massiven Besteuerung der Vermögen erreichen den MAKROSKOP-Olymp nicht.
Mein Fazit: Da es immerhin einer der beiden Herausgeber ist, der in seinem Beitrag erklärt, warum „wir nicht enger mit Ökonomen aus dem Dunstkreis der ´Memorandum-Gruppe` zusammenarbeiten“ und dann noch nachtragend mitteilt, dass mein Beitrag niemals auf der Makroskop-Plattform veröffentlicht worden wäre, ist es nur konsequent, meine Replik zu verschweigen. Auch deshalb muss ich meine Kritik über viele Kanäle zum kritischen Dialog zugänglich machen. Am besten wäre es, der MAKROSKOP-Zirkel würde sich für systemkritisch Analysen durchaus in der Tradition von Marx, Keynes, Robinson, Kalecki öffnen.
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