Schnüffeln für das Sozialamt
Eine neue Doku-Soap zeigt Detektive bei der Suche nach »Hartz IV-Betrügern«
Heute gehen beim Privatsender Sat.1 erstmals zwei Detektive auf die Jagd nach Übeltätern. Im Visier haben sie Hartz IV-Empfänger.
Das finster dreinblickende Paar im dunklen Auto erinnert an eine der zahllosen Feierabend-Krimiserien, mit denen uns nicht nur die Privatsender beglücken. Doch Helge Hofmeister und Helena Fürst sind keine Kriminalbeamten. Sie sind vielmehr die Hauptdarsteller der Sat.1-Dokumentation »Gnadenlos gerecht«. Hofmeister und Fürst arbeiten für das Sozialamt Offenbach und ihre Mission ist die Jagd auf sogenannte Hartz IV-Betrüger, also Menschen, die unberechtigt Erwerbslosenunterstützung beziehen.
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Die hessischen Sozialfahnder scheinen keinen Feierabend zu kennen. »Wir sind nachts genauso aktiv wie tagsüber. Es gibt für uns in diesem Job keine festen Arbeitszeiten, die einzelnen Fälle bestimmen den Zeitrahmen der Arbeitszeit. Wir arbeiten mit sehr vielen Behörden zusammen, es gibt viele Überschneidungen«, so Helena Fürst. Die Arbeit mit dem Fernsehteam bezeichnete sie als willkommene Abwechslung.
Doch die Betroffenen scheinen diese Tätigkeit nicht immer so lustig zu finden. So sei das Team bei seinen Forschungen im italienischen Ausland »von einer unerwünschten Eskorte begleitet und beobachtet worden«. Das Misstrauen ist nicht verwunderlich, denn die Tätigkeit der Sozialdetektive kann für Erwerbslosenbezieher unangenehme Folgen haben, wie Fürst deutlich macht: »Besteht ein Verdacht auf Missbrauch, der ohne das Betreten der Wohnung nicht ausgeräumt werden kann, und der Kunde will nicht kooperieren, dann werden die Hartz IV-Leistungen eingestellt, da der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann. Wohnungen dürfen wir nicht durchsuchen, dafür können wir bei einem erhärteten Verdacht auf Leistungsmissbrauch eine Betriebsprüfung, etwa in Gaststätten oder jedem anderen Unternehmen, vornehmen.« Diese telemediale Schnüffelei im Privatleben von Arbeitslosen rief das Erwerbslosen Forum Deutschland auf den Plan. Dessen Leiter, Martin Behrsing, befürchtet, »dass durch die geplante Doku ein ähnlicher Effekt wie im Herbst 2005 eintritt, nachdem das ZDF damals eine ähnliche Sendung ausstrahlte«. Damals seien Erwerbslose pauschal mit dem Vorwurf des Missbrauchs konfrontiert gewesen.
Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit belief sich der Missbrauch damals auf ganze 0,6 Prozent aller Fälle. Darunter fielen auch alle Unregelmäßigkeiten, die durch falsche Berechnungen der Behörden verursacht wurden, erklärt Behrsing gegenüber ND. Der Erwerbslosenaktivist kennt die Zustände in der Offenbacher Arbeitsagentur. Dort hätten Arbeitslose oft wochenlang um ihre Rechte streiten müssen und Gelder seien willkürlich gesperrt worden, erinnert sich Behrsing. Auch in der Tätigkeit der beiden medienfreudigen Sozialdetektive sieht er die Fortsetzung der harten Linie gegenüber Erwerbslosen. Daran ändere auch die Beteuerung von Fürst nichts, dass der Schutz der Privatsphäre höchste Priorität besitze.
»Es gibt Anweisungen für Außendienstmitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit, die Observationen von des Leistungsmissbrauchs Verdächtigten verbieten. Wenn aber die Sozialfahnder stundenlang auf der Lauer liegen, wird dagegen verstoßen«, meint Behrsing. Er befürchtet auch, dass man bei Sat.1 notfalls die Realität etwas retuschiert, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Deshalb werde er sich die Sendung genau ansehen und überprüfen, ob dort nicht veraltete oder gar erfundene Fälle behandelt würden.
Diese Kritik weist Sat.1-Sprecherin Kristina Faßler zurück: »Selbstverständlich handelt es sich um reale Fälle.« Die Diskussion um den Hartz IV-Missbrauch sei notwendig und müsse ihrer Meinung nach auch im Interesse der Erwerbslosenaktivsten liegen. In einer Pressemitteilung weist Behrsing diese öffentlichen Ratschläge im Namen des Erwerbslosen Forums zurück. »Es gibt auch keine gesellschaftliche Relevanz bei Leistungsmissbrauch durch Hartz IV, da die Quote äußerst gering ist. Unserer Meinung nach geht es dem TV-Sender nur um Einschaltquoten und da nimmt man gerne in Kauf, dass durch solche Sendungen als Nebenwirkung eine Welle der Denunziation einsetzen kann.« Die umstrittene Doku-Soap läuft heute übrigens im Anschluss an die Sat.1-Reportage »Die Abzocker«.
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