Gregor Gysi im Novemember: »Es geht hier um Kinder«
Gregor Gysi in der Debatte über den Antrag der Fraktion DIE LINKE »Kindergelderhöhung sofort auch bei Hartz IV wirksam machen»
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir beschäftigen uns mit einer Angelegenheit, bei der ich die Regierungskoalition, also sowohl Union als auch SPD, dringend bitte, hier Hilfe zu leisten. Wenn es so bleibt, wie es gegenwärtig geregelt ist, halte ich es für einen nicht zu rechtfertigenden und nicht zu verteidigenden Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
In Deutschland gibt es 2,5 Millionen arme Kinder. Wegen der
Kostensteigerung haben Sie eine Kindergelderhöhung von 10 Euro für das
erste und zweite Kind und von 16 Euro für die weiteren Kinder
beschlossen. Das ist ein sehr geringer Betrag. Es ist die erste
Kindergelderhöhung nach 2002. Man muss hinzufügen, dass Bischof Mixa -
er ist sicherlich vieles, aber kein Linker - erklärt hat, das Ganze sei
ein Skandal, weil dadurch die Kostensteigerung bei den Ausgaben für
Kinder überhaupt nicht ausgeglichen würden. Aber immerhin erhöhen Sie
das Kindergeld um 10 bzw. 16 Euro.
Nun passiert etwas, was ich den Leuten nicht erklären kann,
(Heinz-Peter Haustein (FDP): Ich auch nicht!)
nämlich dass Oskar Lafontaine für seinen elfjährigen Sohn und ich für meine zwölfjährige Tochter diese 10 Euro mehr bekommen, dass wir aber der Hartz-IV-Empfängerin und der Sozialhilfeempfängerin sagen: Du bekommst zwar diese 10 Euro mehr, aber sie werden mit dem Eckregelsatz für deine Kinder gleich wieder verrechnet. - Real bekommt sie also keinen Cent mehr. Das ist nicht vermittelbar. Es geht hier um Kinder.
(Beifall bei der LINKEN)
Man muss noch Folgendes hinzufügen. Wie hoch sind im Augenblick die Eckregelsätze für Kinder? Eine Hartz-IV-Empfängerin oder eine Sozialhilfeempfängerin bekommt für Kinder bis zum 14. Lebensjahr 211 Euro und für die 14- bis 17-jährigen Kinder 281 Euro. Das ist deshalb interessant, weil die Bundesregierung das Existenzminimum für Kinder gutachterlich hat ausrechnen lassen. Das Ergebnis liegt seit September vor: Das Existenzminimum für ein Kind beträgt 3 864 Euro.
(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Im Monat?)
- Im Jahr! Aufgeschlüsselt auf den Monat - das können Sie mir zutrauen - bedeutet das 322 Euro.
Jetzt bekommt aber die Hartz-IV-Empfängerin oder die
Sozialhilfeempfängerin nur 211 bzw. 281 Euro pro Kind. Damit liegt sie
deutlich unter dem Existenzminimum in Höhe von 322 Euro. Ab Januar
könnte sie 10 Euro Kindergeld mehr bekommen. Aber Sie wollen diese 10
Euro gleich mit den 211 Euro wieder verrechnen. Das ist wirklich nicht
nachvollziehbar und grob ungerecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie argumentieren, dass das zu teuer ist, dann kann ich nur sagen: Das ist, nachdem 480 Milliarden Euro für die Sicherung der Banken und für die Stabilität der Finanzmärkte beschlossen worden sind, kein zulässiges Argument. Dieses Argument ist erst recht nicht zulässig, wenn Besserverdienende - ich hatte Ihnen zwei Beispiele genannt - diese 10 Euro real bekommen, aber die Sozialhilfeempfängerin oder die Hartz-IV-Empfängerin keinen Cent mehr bekommt. Es ist nicht vertretbar; es ist nicht hinnehmbar.
(Zuruf des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
- Entschuldigen Sie, die Kosten für Kinder sind um mindestens 10 Prozent gestiegen.
(Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eben!)
Das wird durch die Erhöhung um 10 Euro nicht ausgeglichen. Das habe ich doch schon kritisiert. Aber darum geht es hier nicht. Der Hartz-IV-Empfängerin zu sagen: „Du bekommst zwar die 10 Euro, aber sie werden dir gleich wieder weggenommen“, ist doch der Gipfel angesichts von 2,5 Millionen armen Kindern. Das ist den Ärmsten in der Gesellschaft nicht zumutbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte einmal wissen, ob Frau Merkel, Herr Steinmeier, Herr Steinbrück, Herr Scholz, Herr Kauder, Herr Ramsauer und Herr Struck es wirklich als gerecht empfinden Sie können das ja an die Betreffenden weiterleiten , dass Oskar Lafontaine, ich und andere für ihre Kinder ab 1. Januar real mehr Geld bekommen und die Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger sowie die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger für ihre Kinder real keinen Cent mehr bekommen. Wenn sie das wirklich als gerecht empfinden sollten, sehen sie die Welt so extrem anders als ich, dass es für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist.
(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Das kann wohl sein!)
- Ja, es kann sein. Wenn Sie das als gerecht empfinden das ist wirklich interessant , dann sollte man aber auch überall verbreiten, dass die Union es für richtig hält, das Besserverdienende für ihre Kinder 10 Euro mehr bekommen und Hartz-IV-Empfänger und Sozialhilfeempfänger nicht. Ich hatte gedacht, Sie zeigen an dieser Stelle Vernunft und sagen: Das ist nicht in Ordnung; wir werden das reparieren. Es wäre nämlich höchste Zeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Kommen Sie mir bitte jetzt nicht mit dem Schulgeld. Das Schulgeld 100 Euro wird erst im August nächsten Jahres gezahlt. Das ist ja zunächst einmal okay.
(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Da sollten Sie mal klatschen!)
Aber Sie gewähren es nur bis zur 10. Klasse und sagen: Diejenigen, die in der 11., 12. oder 13. Klasse sind und Abitur machen, bekommen nichts. Damit bringen Sie zum Ausdruck, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfängern sowie von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern kein Abitur machen sollen. Der Bundesrat nicht die SPD-Fraktion im Bundestag hat dazu gesagt: Das geht zu weit. Das machen wir nicht mit. Da hat der Bundesrat übrigens recht.
(Beifall bei der LINKEN Jörg Tauss (SPD): Jetzt lügen Sie aber wirklich!)
- Wieso sind Sie so grob? Er hat es doch entschieden, oder nicht? Er hat es doch kritisiert, oder nicht? Wenn Sie noch nicht einmal das zur Kenntnis nehmen, dann tut mir das leid.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Erlauben Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen Tauss?
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Mal sehen, ob es eine Frage wird.
Jörg Tauss (SPD):
Lieber Kollege Gysi, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die SPD dafür
eintritt, das Schulgeld bis zum 13. Schuljahr zu zahlen wir hatten nie
eine andere Position , dass im Rahmen von Koalitionsverhandlungen in
der Tat der jetzige Zustand erzielt worden ist, wir weiterhin für die
Verbesserung eintreten, es allerdings ein Fortschritt gegenüber der
bisherigen Situation ist, in der überhaupt kein Schulgeld gezahlt
wurde? Ich stimme Ihnen in der Tat ausdrücklich zu. Würden Sie bitte
zur Kenntnis nehmen, dass es zwischen der CDU und der CSU im Bundesrat
und der CDU/CSU im Bundestag Unterschiede gibt und die SPD nicht die
Position vertreten hat, die von Ihnen kritisiert wird?
(Beifall bei der SPD Zurufe von der LINKEN)
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich nehme das schon zur Kenntnis. Ich habe doch auch heute früh zur
Kenntnis genommen, dass Sie das korrigieren wollen. Das halte ich auch
für richtig.
(Jörg Tauss (SPD): Es geht nicht um die Korrektur! Es geht um die Positionierung und Ihre Behauptung!)
Aber Sie haben der Zahlung eines Schulgeldes nur bis zur 10. Klasse erst einmal im Bundestag zugestimmt!
(Widerspruch bei der SPD - Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das gibt es doch wohl nicht!)
Eine SPD-Fraktion hätte immer sagen können: Wir schließen diese Leute
nicht vom Abitur aus. Wenn die Union das nicht mitgemacht hätte, dann
hätten Sie die Auseinandersetzung öffentlich führen müssen.
Darum geht es aber nicht. Jetzt geht es um das Kindergeld.
(Zuruf des Abg. Jörg Tauss (SPD))
- Hier bei diesem Antrag. Ich möchte, dass Sie erklären: Wir werden eine Regelung finden, damit den betroffenen Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfängern sowie den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern zumindest diese 10 bzw. 16 Euro, also zumindest die Kindergeldsteigerung, zugutekommen und nicht wieder abgezogen werden. Das ist das Mindeste, was wir erreichen müssen.
(Beifall bei der LINKEN)
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