Stellung gehalten
Wie verhindert man einen "Trauermarsch" von Rechtsextremen? Mit Schneebällen, Sambatrommeln und mit friedlichem Warten. Ein Bericht von der Blockade in der Hansastraße
Es sind Worte, die ein bisschen nach Revolution klingen: Antifaschistischer Widerstand. Man denkt an wehende Fahnen, vermummte Gesichter und fliegende Pflastersteine. Dabei bedeutet es in erster Linie viel Warten: warten auf den Bus, warten auf Informationen, warten vor einer Polizeisperre. Auch Uwe steht seit über fünf Stunden im matschigen Schnee auf der Hansastraße in Dresden und wirft immer wieder einen Blick in Richtung des nur hundert Meter entfernten Neustädter Bahnhofs. Dort stehen rund 5.000 eingekesselte Neonazis. Gesehen hat der 38-Jährige noch keinen, aber er macht sich Hoffnung. „Ich würde ihnen gern grimmig in die Augen gucken.“
Seit 1998 marschieren die Rechten an jedem 13. Februar durch die sächsische Landeshauptstadt und gedenken der Bombardierung der Elbmetropole. 25.000 Menschen sollen umgekommen sein, als vor 65 Jahren englische und amerikanische Militärflugzeuge mehr als 3.000 Tonnen Bomben über Dresden abwarfen. Der Marsch anlässlich des „Bombenholocausts“ hatte sich mittlerweile zu einem der wichtigsten Treffpunkte der rechten Szene aus ganz Europa entwickelt. Im Jahr 2009 waren mehr als 7.000 Neonazis gekommen. Dieses Jahr wurde sogar mit noch mehr gerechnet.
Dem wollte sich das „Nazifrei!“-Bündnis aus Gewerkschaften, Parteien, Jugend- und Studierendenverbänden, Globalisierungskritikern und Linken widersetzen. Bundesweit verteilte Plakate riefen zur Blockade des Gedenkmarsches auf. Die Dresdener Staatsanwaltschaft sah darin die „öffentliche Aufforderung zu einer Versammlungssprengung“ und ließ das Material beschlagnahmen. Dieses fragwürdige Verhalten habe dem Bündnis sogar noch Rückenwind verschafft, meint Uwe. Aufgrund der anschließenden Berichterstattung kam es zu einer Flut von Anmeldungen. 200 Busse waren am Samstag aus ganz Deutschland gekommen. Dem Bündnis zufolge stellten sich rund 12.000 Bürger bei den Blockaden den Nazis in den Weg.
Schneebälle auf die Polizei – zum Aufwärmen
So auch Uwe, der sich erst spontan entschieden hatte und am Morgen in einem Buskonvoi aus 30 Bussen von Berlin aus gestartet war. Gekommen sei er, weil ihm die zunehmende Zahl marschierender Rechter Angst machte. Verständnis für das Gedenken habe er nicht. Die „Opfer von `45 waren auch Täter“, sagt er. Daher wolle er den Aufmarsch verhindern. Doch das Warten wirkt etwas „abstrakt“, findet der aus Brandenburg stammende Gärtner. Man steht irgendwo in Dresden, friert, sieht nichts außer einer Hundertschaft der Polizei und bewirft sie mit Schneebällen, um warm zu bleiben
Plötzlich kommt ein Jubelgeschrei auf. Uwe wird unruhig. Eine Durchsage über Lautsprecher verkündet, dass „die Nazis nicht vom Fleck“ kommen. Uwe und seine Mitstreiter sind begeistert. Kurze Zeit später eine weitere Ansage: „Wir haben dafür noch keine Bestätigung.“ Uwe schaut etwas mürrisch in Richtung des Neustädter Bahnhofs. „Ich weiß gar nicht, ob das was bringt.“
Dann geht alles ganz schnell. Eine kleine Gruppe will eine Polizeikette durchbrechen. Die Polizisten schlagen sofort zu. Menschen fallen zu Boden, Uwe entgeht nur knapp einem Knüppel. Andere haben weniger Glück. Mit großen Augen kommt er zurück, spricht von „brutaler Gewalt“. Die Stimmung ist gereizt. Irgendwo sollen Barrikaden brennen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich das Gerücht, dass Wasserwerfer und Tränengas im Einsatz sind. Schon werden die ersten Steine gesammelt. Uwe beobachtet alles mit sorgenvoller Miene. Vermummte stehen gepanzerten Polizisten gegenüber. Die Situation könnte jeden Augenblick kippen.
Eine bunte Mischung
Da ertönt eine Trommel. Eine weitere folgt. Plötzlich bahnt sich eine farbenfrohe Sambatruppe durch die Massen. Die Situation entspannt sich. Leute fangen an zu tanzen. „Es ist wichtig, dass es eine bunte Mischung gibt“, meint Uwe. Nur mehr ältere Demonstranten müssten noch kommen. Die Öffentlichkeit soll sehen, dass es ein breites Bündnis gegen Nazis gibt, „damit nicht immer nur von Chaoten die Rede ist“. Er will gerade erklären, dass nur auf friedlichem Weg der Naziaufmarsch verhindert werden kann, als eine erneute Durchsage kommt: „Der braune Dreck wollen weg. Aber wir blockieren sie!“ Die Menschen applaudieren. „Der Marsch ist bis 17 Uhr angemeldet. Habt noch ein wenig Geduld“. Uwe guckt auf die Uhr. Noch zwei Stunden.
Nach einer nächsten kleinen Weile warten wird die Versammlung der Nazis aufgelöst. Keinen Meter haben sie sich durch Dresden bewegt. Solange die Rechtsextremen nicht in ihren Zügen sitzen, dürfen die Blockierer allerdings nicht nach Hause. Uwe ist das egal. Die Blockade war ein „voller Erfolg“. Zum ersten Mal wurde der Gedenkmarsch verhindert. Es habe sich gelohnt, dass sie solange die „Stellung gehalten“ haben, ruft er und strahlt vor Begeisterung. Es wird deutlich, dass es doch mehr war, als nur ein Warten. Es war ein gewaltfreier antifaschistischer Widerstand.
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