500 Euro Hartz-Regelsatz und 10 Euro Mindestlohn
Klaus Ernst, erläutert, wie durch die Anhebung der Hartz-Regelsätze und die gleichzeitige Einführung eines Mindeslohns der Sozialetat entlastet und die Binnennachfrage gestärkt werden kann.
Nicht mehr ganz fünf Monate hat die Bundesregierung noch, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar umzusetzen und die Hartz-Regelsätze zu reformieren. Womit rechnen Sie?
Klaus Ernst: Ich rechne nicht damit, dass die Bundesregierung die Regelsätze bei Hartz IV erhöht, obwohl dies dringend angesagt ist. Die Bemessungsgrundlage für die Festlegung der Regelsätze muss revidiert werden. Ich bin skeptisch, ob die Bundesregierung dies hinreichend machen wird. Aber ich denke, bei den Kinderregelsätzen muss was geschehen. Dies ist auch der Bundesregierung klar.
Sie warnen bereits jetzt vor einem neuerlichen Verfassungsbruch durch die Regierung. Worauf gründet Ihre Sorge?
Die Bundesregierung bereitet gerade eine Nebeldebatte vor, um sich durchzumogeln. Zum Beispiel überlegt Ministerin von der Leyen, ein Gutscheinsystem einzuführen, um zusätzliche Leistungen für Kinder anzubieten. Aber hier vermischen sich verschiedene Dinge, die klar zu trennen sind. Es ist eine Aufgabe, den Regelsatz für Kinder anzuheben - und dies sollte in Bargeld erfolgen, soll nicht eine Totalentmündigung von Erwerbslosen das Wort geredet werden- und eine andere Aufgabe, generell die Angebotsstruktur im Bildungs- und Erziehungsbereich zu verbessern. Das sind zwei verschiedene Aufgaben, die beide erfüllt werden müssen und nicht gegeneinander aufgerechnet werden dürfen.
Was fordert DIE LINKE?
DIE LINKE fordert eine deutliche Verbesserung des Angebots für eine gebührenfreie öffentliche Bildung und Erziehung für alle ab dem ersten Lebensjahr. Dies ist allen zu gewährleisten und hat nichts mit der Hartz-Debatte zu tun. Für eine schrittweise Verbesserung der Grundsicherung fordern wir, dass noch in dieser Legislaturperiode der Regelsatz für Erwachsene auf 500 Euro angehoben wird. Parallel dazu muss dringend ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden, der bei 10 Euro liegen sollte.
Sie verbinden die Forderung nach höheren Regelsätzen mit der nach einem Mindestlohn. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Je niedriger die Löhne sind, desto höher sind die SGB II-Leistungen, die der Steuerzahler aufwenden muss, weil Arbeitgeber faktisch Lohn vorenthalten. Die Ausgaben für Erwerbstätige, die auch Hartz IV erhielten, weil ihr Erwerbseinkommen zu niedrig war, lag im letzten Jahr bei rund 11 Milliarden Euro. Nicht alles, aber ein Gutteil dieses Geldes zahlt der Staat, weil kein Mindestlohn existiert. Der Mindestlohn muss so hoch sein, dass ein alleinstehender Erwerbstätiger davon leben kann. Wir können weder moralisch noch faktisch zulassen, dass in unserem Land Menschen zu Löhnen arbeiten, die trotz Vollzeitbeschäftigung keine Existenzsicherung erlauben.
Diese Forderungen zu Regelsatz und Mindestlohn sollten wir uns einzeln anschauen. Bei beiden Forderungen ist die Linke Spitzenreiter.
Wir sagen, der Regelsatz kann nicht unter 500 Euro liegen, plus entsprechender Wohnkosten, die die Marktentwicklung einbeziehen, damit ein Mensch in dieser Gesellschaft - und nicht irgendwo - seine Existenzgrundlage sichern kann. Wir brauchen dann einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde, damit ein Vollzeitbeschäftigter nicht gleichzeitig Transferleistungen bezieht. Das machte keinen Sinn.
Dies ist keine gigantische Hausnummer, wenn man bedenkt, dass die offizielle Niedriglohnschwelle für den Westen bei 9,50 Euro liegt und für den Bundesdurchschnitt bei 9,06 Euro. Also laut Berechnungen im IAQ-Report, den die Uni Duisburg-Essen erst im Juni vorgelegt hat, braucht man bereits heute einen Mindestlohn von fast 10 Euro, um den Niedriglohnsektor zu überwinden. Hätten wir einen solchen Mindestlohn, dann würde ja eine deutliche Entlastung bei den Sozialleistungen anfallen. Es würde zudem die Binnennachfrage angekurbelt, was in der Regel zu einer erhöhten Nachfrage nach Arbeitskräften einhergeht. Auch dadurch würde der Sozialetat entlastet.
DIE LINKE steht mit ihren Vorschlägen sowohl für einen Mindestlohn als auch für höhere Hartz-Regelsätze nicht mehr allein da. SPD und Grüne schließen sich den Forderungen an. Wären beide Anliegen nicht geeignet als gemeinsame Projekte der Opposition im Bundestag?
Na ja, man muss sich schon einen ordentlichen Schubs geben, um zu vergessen, dass das ganze Dilemma von Niedriglohnpolitik und Hartz-Gesetzgebung eine rot-grüne Kreation ist. Aber OK. Rot und Grün sind zu einem Kurswechsel gezwungen, wollen sie eine glaubwürdige Opposition gegen die konservativ-liberale Regierung entwickeln. Wir werden sehen. Bisher läuft die Metamorphose deutlich zu langsam. Haben Sie schon die Forderung nach Anhebung der Regelsätze für Erwachsene von der SPD gehört? Ich nicht. Und mit der Forderung nach einem Mindestlohn von 7,50 Euro zählen die Grünen auch nicht grade zur Speerspitze der Bewegung. Also da muss noch was kommen.
Im Bundestag haben Union und FDP eine Mehrheit - im Bundesrat nicht mehr. Aber durch den muss die Regierung ihre Regelsatz-Reform dann auch noch bringen. Spätestens da können sich doch SPD und Grüne beweisen.
Der kleinste gemeinsame Nenner der Opposition dürfte der Kinderregelsatz sein. Hier sind wohl alle der Meinung, dass Karlsruhe eindeutig entschieden hat: Der Regelsatz für Kinder muss erhöht werden. Die Opposition ist ebenfalls der Meinung, dass die Erhöhung des Regelsatzes für Kinder nicht über ein irgendwie geartetes Gutscheinmodell erfolgen kann. Hier werden wir Ministerin von der Leyen geschlossen Paroli bieten.
linksfraktion.de, 11. August 2010
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