Den Mut zu sozialen Protesten mit alternativen Konzepten kombinieren

Erklärung von Aktiven aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Wissenschaft und Kultur anlässlich der Bundestagswahl 2009

06.10.2009

Die neue Bundesregierung wird es an Eindeutigkeit nicht fehlen lassen. Die bisherige Logik von Ökonomie und Politik wird bruchlos fortgesetzt, die Krisenverursacher werden geschützt und die Folgen der Krise werden brutal auf die Menschen abgewälzt. Nach dem wattebäuschigen Slogan „In schwierigen Zeiten in guten Merkel-Händen“ wird jetzt die Rechnung für die Menschen auf der Schattenseite präsentiert. Aber Eindeutigkeit schafft Polarisierung, macht – so hoffen wir – auch Mut und Wut, sich dieser Form der Krisenbewältigung zu widersetzen. Wir wenden uns an die Öffentlichkeit, weil wir gemeinsam mit den Menschen Widerstand in unterschiedlichen Protestformen in Gang setzen wollen. Ein tragfähiges Bündnis von sozial orientierten Menschen aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen, sozialen Bewegungen und Gewerkschaften der neuen Beweglichkeit ist dringend angesagt. In Deutschland sind insgesamt 13 Millionen Menschen – fast 30 % aller Erwerbspersonen – entweder arbeitslos, Hartz IV-Empfänger oder arbeiten unter prekären und menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen als Niedriglöhner, Minijobber und Leiharbeiter. Darauf beruhen auch die drastische Umverteilung von unten nach oben und die Umleitung der Gewinnüberschüsse in den internationalen Finanzsektor – allein 500 Mrd. ¤ in den letzten 10 Jahren. Diese Politik führte zur schwersten Finanz- und Weltwirtschaftskrise nach dem zweiten Weltkrieg und Millionen neuer Arbeitsloser. Sie betreibt die systematische Schwächung der Gewerkschaften und nimmt die Erosion der Demokratie in Kauf. Sie ist nicht nur für Armut und Massenarbeitslosigkeit in Deutschland verantwortlich, sondern auch für die globalen Krisen: für die Hungerkrise u. a. auch als Folge von Finanzspekulationen; für die Klimakrise als Folge des fortgesetzten ökonomischen Wachstums; für Spannungen und Kriege um Ressourcen. Eine Politik, die die Menschen ausblendet und die Interessen der Großkonzerne und Spekulanten im Blick hat, kann nur durch massive Proteste gestoppt werden. Dazu wollen wir beitragen und plädieren für eine alternative Politik im Interesse der Menschen, vor allem der Ausgegrenzten und Benachteiligten. Folgende Forderungen sind Bausteine der Alternative, für die wir uns kraftvoll einsetzen werden:

- Abschaffung des Hartz IV-Systems, weil es die Menschen durch den Schnüffelterror ihrer Würde beraubt und weil es auf der Lüge „wer keinen Job hat, der ist selber schuld“ aufgebaut ist.

- Einführung einer armutsfesten und repressionsfreien Grund-sicherung. Einrichtung eines Grundeinkommens für die Übernahme der von Insolvenz bedrohten Betriebe durch die Belegschaften als Alternative zu Konkurs und Massenentlassungen. Schaffung recht-licher Grundlagen für ein Grundeinkommen für selbst gewählte und gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten. Dadurch würden nicht nur der Arbeitsmarkt entlastet, sondern auch kreative Tätigkeiten, vor allem in kulturellen, künstlerischen und sozialen Bereichen, wirkungsvoll angestoßen.

- Einführung einer elternunabhängigen Kindergrundsicherung in angemessener Höhe anstelle von Kindergeld, Ausbildungs-förderung und anderen kinderbezogenen Förderungen.

- Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro pro Stunde.

- Einführung einer Vermögensabgabe zur Finanzierung der Kosten der Finanzkrise. Die Verluste der Großkonzerne und Finanz-spekulanten dürfen nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.

- Ausbau des öffentlichen und am Gemeinwohl orientierten Sektors vor allem bei Gesundheitsversorgung und Bildung durch umfang-reiche Investitionen und Schaffung neuer Arbeitsplätze.

- Ausbau eines umweltfreundlichen öffentlichen Verkehrssektors. Dadurch wird Klimaschutz gefördert und die Autoindustrie zu einer langfristig angelegten ökologisch sinnvollen und gesamt-gesellschaftlich nützlichen Konversions- und Mobilitätsstrategie angeregt.

- Abbau von Überkapazitäten in der Autoindustrie und anderen Branchen der Wirtschaft durch radikale Arbeitszeitverkürzung. So würden alle gewinnen: Abbau von Überkapazitäten, Überwindung von Massenarbeitslosigkeit und mehr Freizeit für Familie und ehrenamtliche Arbeit.


All diese Forderungen werden sich realisieren lassen, wenn die Menschen davon überzeugt werden, mit Gegenmacht und plausiblen Forderungen die Machtlogik von Politik und Ökonomie nachhaltig zu verändern.

attac AG Genug für alle
attac AG ArbeitFairTeilen

Erstunterzeichner: Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup (Gelsenkirchen); Daniela Dahn (Schriftstellerin, Berlin); Prof. Dr. Frigga Haug (Esslingen); Prof. Dr. Peter Grottian (Berlin); Dr. Sabine Kebir (Schriftstellerin, Berlin); Roland Klautke (Bündnis Sozialproteste, Berlin); Anton Kobel (Gewerkschaftssekretär, Frankfurt/M); Prof. Dr. Michael R. Krätke (Großbritannien); Stephan Krull (ehem. Betriebsrat VW); Prof. Dr. Mohssen Massarrat (Osnabrück); Prof. Dr. Wolfgang Neef (Berlin); Dagmer Paternoga (Netzwerk Grundeinkommen); Werner Rätz (attac AG Genug für alle, Bonn); Prof. Dr. Roland Roth (Magdeburg- Stendal); Prof. Michael Schneider (Schriftsteller); Dr. Hans-Udo Schneider (Evangel. Kirche Westfalen, Datteln); Apl. Prof. Franz Segbers (Marburg); Margareta Steinrücke (Arbeitnehmerkammer, Bremen)