Axel Troost und Sandra Schuster in jW: Keine Bittsteller mehr, Kommunalfinanzen – Zeit für Alternativen
Vorabdruck
Im Artikel 28, Absatz 2 des Grundgesetzes, der den Gemeinden das Recht auf kommunale Selbstverwaltung garantiert, heißt es: »Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.« Soweit zur Theorie, denn die Realität sieht wahrlich anders aus. Dabei sind es verschiedene Prozesse, die in den Kommunen für veränderte Rahmenbedingungen sorgen und die Grundlagen ihrer Selbstverwaltung zerstören. Neben wegbrechenden Einnahmen ist es insbesondere der explodierende Anstieg bei den Sozialausgaben, der kommunale Zusammenschlüsse wie den Deutschen Städtetag Alarm schlagen läßt.
Der mit rund 4300 Städten und Gemeinden größte Kommunalverband hat in einer Broschüre die wichtigsten Ausgabenblöcke dargestellt. Demnach sind in den vergangenen Jahren die kommunalen Ausgaben insbesondere bei den Kosten der Unterkunft von ALG-II-Beziehern, der Grundsicherung im Alter, der Pflege älterer Menschen und der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen rasant gestiegen. Hinzu kommen Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche sowie der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, der wie bei den Unter-Dreijährigen den Kommunen von Bund und Ländern übertragen wurde. Die Kommunen beklagen, daß es immer schwieriger wird, diesen Anforderungen gerecht zu werden, und sehen ihre Handlungsfähigkeit in Frage gestellt. Städte mit hoher Arbeitslosigkeit, verstärkter Altersarmut und großen sozialen Problemlagen stehen dabei vor den größten Finanzierungsproblemen.
Noch handelt es sich bei diesen Aufgaben um Pflichtaufgaben, die gesetzlich vorgeschrieben sind und wahrgenommen werden müssen. Einen bitteren Vorgeschmack darauf, wie die finanziellen Engpässe die politischen Entscheidungen vor Ort prägen, zeigen Kürzungen bei den freiwilligen Aufgaben, die nun verstärkt erwogen werden. Nach einer im Auftrag der Unternehmensberatung Ernst & Young durchgeführten Umfrage unter 300 Kommunen planen 60 Prozent, d.h. 180 Städte und Gemeinden, die Streichung von Leistungen. (…) Besonders beunruhigend auch in Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist der wachsende Investitionsstau der Kommunen. Bei Befragungen der Zeitung Der Neue Kämmerer gaben rund die Hälfte (48 Prozent) der befragten Kämmerer aus insgesamt 419 Städten und Gemeinden an, die Investitionstätigkeit zurückfahren zu wollen.[1] Im Klartext bedeutet dies, Straßenreparaturen und Gebäudesanierungen, z.B. von Schulen oder Sportstätten, werden weiter verschoben, obwohl in diesen Bereichen bereits 2009 ein deutlicher Investitionsrückstand vorlag.
»Wer wenig Geld zur freien Verfügung hat, kann auch nur wenig gestalten«, so die Maxime, die in vielen Rathäusern vermehrt Anhänger zu finden scheint. Manche Bürgermeisterinnen und -meister wollen als Reaktion auf das Einsparen gar eine »Reaktivierung von Gemeinsinn und Engagement« und ein »anderes Verhältnis zwischen Staat und Menschen« beobachten.[2] Aktionen wie der Verkauf von Schlaglöchern im thüringischen Niederzimmern zeugen allerdings von eher plakativem Charakter. Auch bei der wachsenden Anzahl von Bürgerhaushalten, die bundesweit auf über 140 Kommunen beziffert werden, ist die ursprüngliche, an das Modell Porto Alegre angelehnte Idee der direkten Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an kommunaler Haushaltspolitik entschieden verkürzt, mitunter sogar ins Konträre verkehrt. In Solingen etwa konnten Bürger auf einer Internetplattform über eine Negativliste des Oberbürgermeisters befinden und ankreuzen, in welchen Bereichen die Stadt sparen soll. Derartige »Bürgerhaushalte«, die keine sind, gefährden darüber hinaus den sozialen Frieden, weil spezifische Bedarfsinteressen gegeneinander ausgespielt werden, wenn beispielsweise gegen die Seniorenbetreuung gestimmt wird, um Spielplätze zu erhalten. Treffen werden die Einsparungen und Streichlisten sozial Schwächere, insbesondere Jugendliche, Alte und Mittellose, die auf öffentliche Leistungen angewiesen sind. Die gravierende Finanzlage der Kommunen geht somit zu Lasten ihrer sozialen Teilhabe am Gemeinwesen, da sich ihre Möglichkeiten verringern, am kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt und aktiv teilzunehmen.
Man mag argumentieren, daß der Gestaltungsspielraum der Kommunen bei öffentlichen Leistungen ohnehin stark eingeschränkt und zurückgefahren wurde, so daß die gegenwärtig erwogenen Streich- und Einsparlisten an sich nicht unbedingt eine neue Entwicklung einläuten. Denn viele Kommunen und städtische Verwaltungen sind unter dem Leitbild des Neoliberalismus den Modernisierungsversprechen eines schlanken, effektiven Staates gefolgt und seit der zweiten Hälfte der 90er Jahren verstärkt dazu übergegangen, Güter und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge als »Tafelsilber« zu verkaufen. Im Jahr 2005 veräußerten Städte und Gemeinden Vermögen im Wert von 5,7 Milliarden Euro, wobei Zehntausende Arbeitsverhältnisse in den privatwirtschaftlichen Sektor transferiert und damit nicht selten prekarisiert wurden.
In den letzten Jahren allerdings zeichnet sich eine »Emanzipationsbewegung« der Rückübertragung von vormals privatisierten Gütern und Dienstleistungen in die öffentliche Hand ab. Einige Kommunen starten ihr »Comeback« und drehen das Rad der Zeit zurück, etwa im nordhessischen Wolfshagen, wo die örtlichen Stadtwerke im Frühjahr 2006 das Stromnetz vom Energieriesen E.on zurückgekauft haben. Weitere Beispiele für die Renaissance kommunaler Wirtschaftstätigkeit im Energiesektor ließen sich anführen aus Hamburg, Ahrensburg, Bad Vilbel, Nümbrecht, Rüsselsheim und nicht zuletzt Bergkamen. Dort versorgen die Gemeinschaftsstadtwerke der drei beteiligten Kommunen 120000 Einwohner mit Strom und Wärme und erwirtschaften knapp 400000 Euro Gewinn pro Jahr, die in den Bergkamener Haushalt fließen. (…) Gute Rahmenbedingungen bieten sich, wenn etwa Konzessionsverträge auslaufen.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Die öffentliche Trägerschaft bietet wichtige Voraussetzungen für demokratische Kontrolle und Mitbestimmung, weil sich Möglichkeiten eröffnen, auf die Ausgestaltung der Leistungen Einfluß zu nehmen. Ein Beispiel ist die Preisgestaltung, etwa bei Energieleistungen oder bei der Abfallentsorgung, wo Rückverstaatlichungen die Senkung von Gebühren bewirken und hierdurch untere und mittlere Einkommensgruppen erheblich entlasten können. Potentiell bieten sich für Kommunen auch breitere Gestaltungsspielräume einer aktiveren Klimaschutzpolitik, beispielsweise indem sie bei kommunalen Energieversorgern auf dahingehende Entscheidungen einwirken. Neben dem mitunter unerwartet eingetretenen finanziellen Erfolg bietet die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen zudem arbeitsmarktpolitische Vorzüge, insofern die neugeschaffenen Beschäftigungsstellen ein passables Einkommen auf Grundlage tariflicher Bezahlung sichern. (…)
Folgen der Steuersenkungen
Oft herrscht der Eindruck vor, die Krise der Kommunalfinanzen sei eine traurige Folge der Wirtschaftskrise. Doch ist dies nur ein Teil der Wahrheit. Die eigentlichen Ursachen der kommunalen Finanznotlage liegen tiefer und sind Ausdruck eines strukturellen Problems, das sich nun mit der Wirtschafts- und Finanzkrise weiter zuspitzt. Als Hauptursache wirkt eine Politik massiver Steuersenkungen, die, beginnend unter Rot-Grün, seit nunmehr zehn Jahren die Einnahmen der öffentlichen Hand erheblich beschneiden und eine gigantische Umverteilung von unten nach oben zur Folge haben. Besonders anschaulich haben Truger und Wolf die steuerreformbedingten Ausfälle herausgearbeitet, die durch die Steuerpolitik seit Antritt der Regierung Schröder verursacht worden sind. Insgesamt belaufen sich die steuerreformbedingten Ausfälle auf rund 50 Milliarden Euro jährlich.[3] Von den einzelnen Gesetzen haben die Steuerrechtsänderungen der rot-grünen Bundesregierung, insbesondere die Steuerreform 2000, sehr hohe Ausfälle bewirkt. Diese wurde als zentrales wachstums- und beschäftigungspolitisches Instrument gepriesen, hat aber tatsächlich keine erkennbar positiven Konjunkturwirkungen entfaltet. Besonders profitiert haben reiche Haushalte aufgrund des von 53 auf 42 Prozent abgesenkten Einkommenssteuerspitzensatzes. Und auch der Unternehmenssektor ist sowohl durch die Einkommenssteuersenkung als auch durch die Reform der Körperschaftssteuer kräftig entlastet worden: um elf Milliarden Euro jährlich. Weitere steuerliche Entlastungen für den Unternehmenssektor um rund fünf Milliarden Euro hat die unter der großen Koalition im Jahr 2007 verabschiedete und im Folgejahr in Kraft getretene Unternehmenssteuerreform ergeben. Der Anfang von Schwarz-Gelb, das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, schlägt mit signifikanten Mindereinnahmen von 6,1 Milliarden Euro allein 2010 zu Buche, wobei die 2012 zu erwartende Spitze von neun Milliarden Euro Steuerausfällen noch bevorsteht. (…)Die Tabelle zeigt die Ergebnisse der diesjährigen Frühjahrssteuerschätzung (jeweils die beiden oberen Reihen, absolut und in Prozent zum Vorjahr) im Vergleich zu der vorangegangen von Mai 2009 (jeweils die beiden unteren Reihen). Besonders von seiten des schwarz-gelben Regierungsbündnisses war hinsichtlich weiterer in Aussicht gestellter Steuersenkungen stets auf die noch abzuwartende Prognose verwiesen worden. Obwohl die Rahmendaten längst bekannt gewesen sein dürften, sorgten sie doch für breite Ernüchterung.
Alle staatlichen Ebenen haben Steuermindereinnahmen zu verkraften, wobei ein Großteil auf beschlossene Steuerentlastungen zurückzuführen sind (–10,6 Milliarden Euro 2011/–8,1 Milliarden Euro in den Jahren 2012 und 2013), so auch die Einschätzung des Arbeitskreises Steuerschätzung. Erheblich ist der Einbruch bei den Kommunen, die mit rund 8,6 Milliarden Euro (–11,2 Prozent) im Jahre 2009 im Vergleich zu 2008 den größten Rückgang zu verzeichnen haben. Besorgniserregend ist zudem, daß die Steuereinnahmen der Gemeinden, der Länder sowie des Bundes voraussichtlich erst wieder im Jahre 2013/14 das Niveau von 2008 erreichen werden.
Hände weg von der Gewerbesteuer
Bei den Gemeindefinanzen wiegt das Einbrechen der Gewerbesteuereinnahmen um rund 17 Prozent (21,2 Prozent laut letzter Steuerschätzung) besonders schwer. Denn in vielen Gemeinden erbringt die Gewerbesteuer den Löwenanteil an den kommunalen Einnahmen, mit einem Anteil von über 70 Prozent am Realsteueraufkommen. Da die Gewerbesteuer allerdings sehr von der Ertragslage der Gewerbebetriebe abhängt, d.h. sich auf Gewinne von (größeren) Unternehmen stützt, fallen die Einnahmen in der Rezession deutlich geringer aus.Doch die Gewerbesteuer mit dem Argument ihrer Konjunkturabhängigkeit und dadurch bedingten Unsicherheiten für die Kommunen deshalb gleich abschaffen zu wollen, ist völlig fehlgegriffen und auch mit Blick in die Vergangenheit blanker Zynismus. Zum einen läßt die Entwicklung des Aufkommens aus der Gewerbesteuer bis zum Krisenjahr 2009 deutliche Zuwächse erkennen, die trotz gewisser wachtumsdynamischer Schwankungen die Gemeindesäckel nicht allzu schlecht gefüllt haben. Den vom Bundesministerium für Finanzen herausgegebenen Eckdaten zur Entwicklung der Kommunalfinanzen ist zu entnehmen, daß sich 2008 Spitzenwerte von 70,8 Milliarden Euro aus dieser Steuer haben erzielen lassen, während das Aufkommen 1999 noch bei 51 Milliarden Euro lag. Zum anderen sind diejenigen, die nun lautstark die Gewerbesteuer aufgrund ihrer Konjunkturabhängigkeit in Frage stellen, genau die gleichen Kräfte, die unter der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl die Gewerbesteuer direkt an den Unternehmensertrag und damit den wirtschaftlichen Erfolg koppelten. Exemplarisch hierfür steht die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die bis Januar 1998 als Bestandssteuer neben der komplett gewinnabhängigen Gewerbesteuer auch konjunkturunabhängig Einnahmen erbrachte. Des weiteren ist die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer heruntergesetzt worden.
Die Bundesregierung ist auf beiden Augen blind, wenn sie plant, die Gewerbesteuer »durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer mit eigenem Hebesatz zu ersetzen«{4] Denn gerade die Körperschaftssteuer ist konjunkturellen Schwankungen noch weit stärker ausgesetzt als die Gewerbesteuer: Ihr Aufkommen sackte 2009 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent ab. Von einer konjunkturunabhängigeren Lösung, wie von der Regierung beansprucht, kann also nicht die Rede sein.
Zudem stellt sich die Frage, wo die wegbrechenden Einnahmen aus der Gewerbesteuer denn herkommen sollen? Um den Wegfall der Gewerbesteuer zu kompensieren, müßten die Einkommenssteuerhebesätze besonders stark erhöht werden. Dies dürfte insbesondere große Städte hart treffen, die eine teurere Infrastruktur und höhere Sozialkosten zu schultern haben. Viele Kommunen fürchten daher als Konsequenz die Stadtflucht ihrer Bürgerinnen und Bürger. Im Umkehrschluß sendet ein solches Konzept völlig falsche Signale und fördert den Steuerniedrigwettbewerb zwischen den Kommunen.
Von der seit März tagenden Gemeindefinanzkommission, bestehend aus drei Vertretern des Bundes, sieben der Länder und drei Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, liegt derweil ein Zwischenbericht vor. Berechnet wurde bislang nur das so bezeichnete »Prüfmodell« der FDP mit den eben dargelegten Komponenten. Nach Aussagen des Bundesfinanzministeriums sei dieses weitgehendst mit dem BDI/VCI-Modell identisch, das bereits von der letzten Reformkommission 2003 »als untauglich beurteilt« worden sei.[5] Berechnungen der gegenwärtigen Kommissions-AG Kommunalsteuern kommen zu dem Ergebnis, daß das Modell zu jährlichen Steuerausfällen zwischen rund 5,35 und 6,1 Milliarden Euro für Bund und Länder führt. [6] Eine Umsetzung des Modells wäre frühestens 2016 denkbar, so daß die Frage aufzuwerfen ist, was passiert bis dahin?
Ferner findet eine Aufkommensverschiebung von einkommenssteuerschwachen in einkommenssteuerstarke Kommunen statt. Vor allem »Wohnortgemeinden reicher Bürger« würden zu Lasten von Betriebsstandorten und ärmeren Kommunen profitieren, heißt es in dem Bericht. Berechnungen ergaben zudem, daß die Beteiligung von Kapitalgesellschaften am Gesamtsteueraufkommen zwar nur geringfügig sinken, dafür aber am Steueraufkommen der Kommunen um 60 Prozent zurückgehen würde. Bei Personengesellschaften und ihren Gesellschaftern sinkt deren Beitrag zur Kommunalfinanzierung mit zirka 50 Prozent deutlich.
Das »Prüfmodell« schafft somit mehr Probleme, als es löst: Sollte es in Kraft treten, würden sich die Finanzprobleme der Kommunen erheblich verschärfen. Aufgrund schwerwiegender Fehlanreize schafft es eine Lockerung des Bandes zwischen Kommune und lokaler Wirtschaft. Zudem sind es die Bürgerinnen und Bürger, die einseitig zur Kommunalfinanzierung herangezogen werden und für die Entlastung der Unternehmen zahlen müssen.
Bis zum Herbst soll die Gemeindefinanzkommission weitere Modelle wie das der Stiftung Marktwirtschaft prüfen, wovon sie einige Module zu übernehmen hofft. Dieses Konzept sieht als Ersatz für die Gewerbesteuer eine Beteiligung der Kommunen am Lohnsteueraufkommen vor sowie eine neue kommunale Unternehmenssteuer mit Hebesatzrecht. Auch hiervon ist für den weiteren Prozeß nicht viel zu erwarten, da eigentlich schon klar sein dürfte, daß die Kommission in der Hauptsache scheitern wird. Der Plan, die Gewerbesteuer abzuschaffen bzw. diese nach eigenem Anspruch durch »eine weniger schwankungsanfälligere Einnahmequelle« zu ersetzen, wird nicht aufgehen. Denn obgleich die Regierungsfraktionen dieses als Vorhaben im Koalitionsvertrag festgelegt haben, ist sich das Regierungslager in der Sache keineswegs einig. Die Reformkommission ist daher eher als Bühne oder eine Art Alibiveranstaltung zu betrachten. Sie dient der CDU/CSU dazu, insbesondere die unionsgeführten Kommunen zu beruhigen, gemäß der Maxime »Wir tun was«.
Offenkundige Konfliktlinien treten innerhalb der Union zutage, weil sich einzelne, in den Kommunen stärker verankerte Unionspolitiker mit der Forderung, die Gewerbesteuer abzuschaffen, schwertun. Hans Schaidinger, CSU-Oberbürgermeister von Regensburg und Präsident des Bayrischen Städtetages, hat seinen Parteikollegen im Bundestag eigene Berechnungen über die kompensatorisch zu erhöhende Einkommens- und Umsatzsteuer für Regensburg präsentiert. Eine in dieser Hinsicht besondere Konstellation bietet auch die Frankfurter CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth, die als Präsidentin des Deutschen Städtetages in der Reformkommission sitzt. Sie verteidigt die Gewerbesteuer »als wichtigste Steuer der Städte« und sieht hierzu »keine tragfähige Alternative«.[7] Die Kommunalverbände treten ähnlich wie Die Linke für eine Verbreiterung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage ein und haben hierzu ein Konzept, das sogenannte Kommunalmodell, eingereicht, dessen Prüfung noch bevorsteht.
Gegenwind kommt auch aus den Ländern, wo das FDP-Modell auf Widerspruch stößt. »Einer Reform gegen den Willen der Kommunen wird Bayern nicht zustimmen«, tönt es aus dem bayrischen Finanzministerium. Der Widerstand aus den Ländern macht höchst unwahrscheinlich, daß dieses Steuermodell je Wirklichkeit wird. Noch dazu müßte hierfür das Grundgesetz geändert werden, was ohne eine Zustimmung der SPD schon im Bundestag nicht möglich ist.
Hin zur Gemeindewirtschaftssteuer
Zweifelsohne bedarf es einer tragfähigen Neuausgestaltung der Gemeindefinanzen, die eingebettet in einer umfassenden staatlichen Steuer- und Finanzreform zu erfolgen hat. Denn es hilft nichts, wenn Kosten und Verantwortung für die gegenwärtige Finanzmisere einfach zwischen den Ebenen hin- und hergeschoben oder weiter abgewälzt werden, vom Bund auf die Länder und von den Ländern weiter auf die Kommunen.Die Lösung dieses Problems kann nur sein, die Kommunen stärker am Gesamtsteueraufkommen zu beteiligen. Zum anderen benötigen die Kommunen zugleich dringend mehr eigene Einnahmen, ohne welche die kommunale Handlungsfähigkeit einschließlich wichtiger Zukunftsinvestitionen in Bildung und ökologische Infrastruktur kaum zu finanzieren sein wird. Zu diesem zuletzt genannten Punkt der Generierung eigener Einnahmen werden gegenwärtig alternative Konzepte in die Diskussion gebracht, die den Ausbau der Gewerbesteuer zu einer lokalen Wertschöpfungssteuer vorsehen. Das Kommunalmodell der Spitzenverbände lehnt hier an, ver.di hat einen solchen Vorschlag vorgelegt und nicht zuletzt die Bundestagsfraktion Die Linke mit der Forderung nach einer Gemeindewirtschaftssteuer.
Im Vordergrund steht das Ziel, die Einnahmen aus der Gewerbesteuer nicht nur zu erhöhen, sondern zu stabilisieren und dadurch verläßlicher zu gestalten. Hierzu ist zum einen die Bemessungsgrundlage auszuweiten, indem alle Schuldzinsen und Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten und Leasingraten mit einzubeziehen sind. Zum anderen ist der Kreis der Steuerzahler auszuweiten, indem auch freiberuflich Tätige – bei hinreichenden Freibeträgen – sowie selbständig niedergelassene freie Berufe die Gewerbesteuer zahlen sollen.
Der Historiker Götz Aly hat aufgezeigt, welch verkrustete Ideen hinter den begünstigenden Ausnahmeregelungen für freie Berufe, aber auch für Agrar- und Forstbetriebe stehen: Jene Gruppen galten in Nazideutschland als wichtig für den Systemerhalt. Seit 1937 wurden Architekten oder Sippenforscher, Jäger oder Steuerberater von der Gewerbesteuer ausgenommen. Begründet wurde dies mit dem ihnen zugeschriebenen »besonderen Vertrauen« und einer »nicht vorherrschend« dem Gewinnstreben folgenden »Berufsgesinnung«. Schlimmer noch ist, daß diese Maxime de facto bis heute die steuerrechtliche Unterscheidung zwischen Elektromeistern und Röntgenärzten, zwischen Kartoffelbauern und Pommesbudenbesitzern begründet.
Diese völlig überkommenen Strukturen gilt es nun zu reformieren. Vom Grundsatz her ist es neben der Leistungsfähigkeit auch das Prinzip der Äquivalenz, welches hier wieder geltend gemacht werden muß: Unternehmen nutzen öffentliche Leistungen, zum Beispiel Straßen, und dafür müssen sie als Äquivalent einen steuerlichen Beitrag leisten. Warum sollten etwa Ärzte und Rechtsanwälte von der Gewerbesteuer ausgenommen sein, obwohl sie die Infrastruktur der Kommunen nutzen und von gepflegten Straßen, erschlossenen Baugeländen oder dem Feuerschutz ebenso profitieren?
Mit den Gemeindefinanzen werden zentrale Weichen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor Ort gestellt. Auch ist die Gemeinde das Herzstück der Demokratie und das ursprüngliche Feld für die politische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Beides geht Hand in Hand, und das eine geht nicht ohne das andere.
Anmerkungen
1 Der Neue Kämmerer vom 3. Juli 20102 Die Zeit vom 1.7.2010
3 Truger, Achim, Kai Eicker-Wolf: Entwicklung und Perspektiven der Kommunalfinanzen in Hessen, Studie im Auftrag von ver.di Hessen, Frankfurt/Main, Februar 2010, S. 51
4 Bundesministerium der Finanzen, Pressemitteilung 24.2.2010, »Kabinett beschließt Einrichtung einer Gemeindefinanzkommission«
5 Der Neue Kämmerer vom 2.5.2010
6 Deutscher Städtetag, Die Gewerbesteuer – eine gute Gemeindesteuer, Beiträge des Deutschen Städtetages zur Stadtpolitik, Band 95, Berlin und Köln, Juli 2010
7 Financial Times Deutschland vom 4.3.2010
Axel Troost ist finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Sandra Schuster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in seinem Büro Gekürzter Vorabdruck aus Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Heft 83 (»Stadt und Krise«); erscheint in diesen Tagen (Einzelheft 10Euro, Abo zum reduzierten Heftpreis, Bestellungen an redaktion@zme-net.de; Internet: www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de)
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