Die Wahlergebnisse in Schweden: Der Rechtspopulismus zieht ins "Volksheim" ein
Joachim Bischoff und Bernhard Müller auf Sozialismus.de
Mit dem Einzug der "Schwedendemokraten" in den Stockholmer Reichstag ist der Rechtspopulismus – in Europa überwiegend normaler politischer Alltag – auch in Schweden angekommen. Die rechtspopulistische Partei, die mit einer nationalistischen und extrem fremdenfeindlichen Rhetorik Wahlkampf gemacht hat, erhielt bei einer gegenüber 2006 leicht auf 82% gestiegenen Wahlbeteiligung 5,7% der Stimmen.
Gleichzeitig hat sich der Niedergang der sozialdemokratischen Partei in der Opposition fortgesetzt. Sie blieb zwar stärkste Partei, erzielte mit 30,9% aber das schlechteste Wahlergebnis seit knapp 100 Jahren. Auch die schwedischen Sozialisten mussten nach 2006 erneut Federn lassen, erreichten 5,6% und verloren damit weitere Stimmenanteile. Einzig die Grünen konnte im linken Wahlbündnis, zu dem sich Sozialdemokraten, Sozialen und Grüne zusammengeschlossen hatten, Stimmengewinne von etwa 2% verzeichnen.
Demgegenüber konnte sich die bürgerliche Allianz (liberal-konservative Moderate, Zentrumspartei, Liberale und Christdemokraten), die das Land seit Oktober 2006 regiert, mit einem Stimmenanteil von insgesamt 49,3% (fast) behaupten. Gleichwohl droht jetzt wegen des Einzugs der Rechtspopulisten eine schwierige Regierungsbildung.
Die Mitte-Rechts-Koalition um den konservativen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt hat ihre rot-rot-grünen Widersacher deutlich abgehängt, obwohl sie das schwedische "Volksheim" in den letzten Jahren gründlich umgebaut hat. Motto: "Schweden ins Arbeiten bringen".
Diese Strategie war erfolgreich, weil die Sozialdemokratie und ihre linken Bündnispartner nicht in der Lage waren, Antworten auf die auch in Schweden härter werdenden Verteilungskämpfe und Prozesse sozialer Exklusion zu geben. 20% der 20- bis 64-jährigen Schweden sind von öffentlichen Sozialtransfers abhängig – also arbeitslos, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Bezieher von Sozialhilfe, krank oder frühverrentet.
"Schweden ins Arbeiten bringen" bedeutete in den letzten vier Jahren praktisch:
- massive Steuersenkungen; Abschaffung der Vermögenssteuer (Begünstigung der Vermögenseinkommen);
- weitgehender Umbau der Arbeitslosenversicherung;
- Leistungsverschlechterung bei Gesundheit (u.a. Kürzung des Krankengeldes) und Renten (keine Steuersenkung für RentnerInnen);
- Privatisierung öffentlichen Eigentums und der soziale Sicherungssysteme (z.B. durch die Zulassung privater Anbieter im Bereich der Gesundheitsleistungen oder die steuerliche Begünstigung privater Schulen).
Im Resultat sind die Gewerkschaften deutlich geschwächt. Eine Million Beschäftigte haben keine Arbeitslosenversicherung mehr. Gleichzeitig hat es eine deutliche Zunahme der Zahl der SozialhilfeempfängerInnen gegeben. Auch mit der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse (u.a. massiver Anstieg der Leiharbeit und der befristet Beschäftigten sowie der Teilzeitbeschäftigten) und einer vertieften sozialen Spaltung reiht sich das schwedische "Volksheim" ein in die auch aus den anderen Ländern bekannten Entwicklungstendenzen der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation.
Die bürgerlichen Parteien wollen ihre bisherige "Arbeitslinie" weiter fortsetzen: Die Beschäftigung soll mit weiteren Einkommenssteuersenkungen, reduzierten Arbeitgeberabgaben für stark von Arbeitslosigkeit betroffene Gruppen, mit Steuererleichterungen für Haushalts- und Renovationsarbeiten und Lehrlingsausbildungen stabilisiert werden. Jede BürgerIn soll ihren/seinen Fähigkeiten entsprechend arbeiten, meinen die PolitikerInnen der Allianz und deshalb wurde und wird der Umfang der staatlichen Transfers und der dafür notwendigen Beiträge oder Steuern weiter eingeschränkt.
Für besser verdienende SchwedInnen ist die Entkoppelung und Entsolidarisierung von den "Minderleistern", wie sie von der bürgerliche Allianz postuliert wird, die logische Antwort auf die Erosion sozialer Sicherheit. Die Anhänger von Reinfeldts "Moderaten" und des bürgerlichen Lagers setzen auf die von seiner Koalition versprochenen Steuererleichterungen.
Mit dem Erlös aus dem Verkauf von bis zu einem Sechstel aller staatlichen Firmenbeteiligungen, von Reinfeldt bereits vor den Wahlen angekündigt, will die Regierung die Kommunalsteuern nur für diejenigen absenken, die ein steuerpflichtiges Einkommen haben. StudentInnen, RentnerInnen und Arbeitslose gehen leer aus.
Die bürgerliche Allianz hat Schweden ein gutes Stück umgebaut und hatte Erfolg mit ihrer Beschäftigungspolitik. Das Arbeitslosengeld wurde gesenkt und langfristig Krankgeschriebene erhalten weniger Unterstützung als früher. Gleichzeitig wurden die Steuern auf Arbeit gesenkt. Das hat die Beschäftigung erhöht, wenngleich dabei vor allem die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse ausgedehnt wurde und die Arbeitslosigkeit krisenbedingt gestiegen ist.
Schwedens rasche Überwindung der Finanzkrise sowie die gesündesten Staatsfinanzen Europas werden gleichfalls der bürgerlichen Regierung gutgeschrieben. Ohne Zweifel: Schweden ist so gut wie kaum ein anderes europäisches Land durch die Wirtschaftskrise gekommen. Die Regierung rechnet im laufenden Jahr mit einem Wachstum von 3,3%. Im April war noch ein Wachstum von nur 2,5% vorhergesagt worden. Auch die Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahr zurückgehen.
Auch Schweden wurde von der großen Globalkrise hart getroffen, ist aber noch erfolgreicher als Deutschland im Aufholungsprozess. Die Privathaushalte haben vor dem Hintergrund von Steuererleichterungen, tiefen Zinsen sowie einer besseren Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ihren Konsum ausgeweitet. Dickere Auftragsbücher und steigende Geschäftserwartungen lassen für das laufende Jahr eine weitere Erholung der Industriekonjunktur erwarten. Dies dürfte ein wesentlicher Hintergrund für den Wahlausgang darstellen.
Die schwedische Zentralbank konnte zudem noch vor der Abstimmung ihren Schlüsselzins von 0,25% auf 0,5% erhöhen. Auch die Notenbanker erwarten ein deutliches Anziehen der Konjunktur. Für 2010 rechnen sie mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 3,8% und für 2011 mit einem Plus von 3,6%. Bisher hatte die Zentralbank für das laufende Jahr nur ein Plus von 2,2% veranschlagt.
Wie schon bei der Wahl im Jahr 2006 gibt es in der Wirtschaftspolitik besonders in einem Bereich ganz klare Differenzen: wenn es um die Haltung zum öffentlichen Eigentum geht. Die Bürgerlichen unter Reinfeldt waren angetreten, um die Zeiten des Staates als Unternehmer zu beenden. Die Finanzkrise hat ihnen weitgehend einen Strich durch die Rechnung gemacht. In der neuen Wahlperiode sollen durch Privatisierung 100 Milliarden Kronen (10,7 Milliarden Euro) erlöst werden und in die Staatskasse fließen.
Die Allianz-Regierung hat zudem das Bauverbot für neue Kernkraftwerke aufgehoben. Die bestehenden zehn Atommeiler müssen demnach nicht verschrottet, sondern können an derselben Stelle durch moderne Reaktoren ersetzt werden. Dies hatte das alte Parlament mit einer hauchdünnen Mehrheit von 174 zu 170 Stimmen beschlossen und damit die Entscheidung von 1980 aufgehoben, wonach Schweden bis 2010 aus der Atomkraft aussteigen muss. Zudem sollen die Eigentümer von AKW bei Unfällen künftig unbegrenzt haften müssen.
Sozialdemokraten, Grüne und Linke warfen der bürgerlichen Koalition vor, die neue energiepolitische Linie nicht mit der Opposition besprochen zu haben. Zudem führten die verstärkten Investitionen in die Atomkraft zu einer Schwächung und Verzögerung des Umstiegs in erneuerbare Energien. Die schwedische Gesellschaft ist auch in dieser Frage gespalten.
Keine weiteren Einkommenssteuersenkungen versprachen die Rot-Rot-Grünen unter der Spitzenkandidatin der Arbeiterpartei Mona Sahlin im Wahlkampf. Sie stellten jedoch den RentnerInnen niedrigere Steuern in Aussicht. Die Opposition hat den Ausbau des Wohlfahrtsstaats und Investitionen ins Pflege- und Gesundheitswesen, in Schulen und den Wohnbau gefordert. Dank erhöhten Taggeldern sollte die "gestiegene Kluft zwischen Arm und Reich", zwischen Beschäftigten, Erwerbslosen und Kranken geschlossen werden. Die Rot-Rot-Grünen forderten gleiche Gesundheitsleistungen für alle, wollten Benzin- und Kilometersteuern erhöhen und das Eisenbahnnetz ausbauen. Für dieses Konzept haben sie bei den Wahlen keine Mehrheit gewinnen können.
Der zentrale Wahlkampfslogan der rechtspopulistischen "Schwedendemokraten" (SD) war: "Einwanderungsbremse statt Rentenbremse". Erste Wahlanalysen zeigen, dass die fremdenfeindliche Partei vor allem bei jungen Männern und Arbeitslosen und vor allem den SchwedInnen Gehör fand, die tief beunruhigt sind über Gesellschaftsveränderungen im Zuge der Globalisierung und den schwedischen Wohlfahrtsstaat bedroht sehen.
Die Schwedendemokraten sind keine neue Partei. Seit ihrer Gründung 1988 nahmen sie an den Wahlen teil und eroberten mit ihrem fremdenfeindlichen Kurs kontinuierlich Mandate auf Gemeindeebene. Am stärksten ist der Zulauf in Südschweden: In Skåne und Blekinge erhielt die Partei ein Zehntel aller Stimmen und wurde in manchen Gemeinden gar drittstärkste politische Kraft.
Während die Gründer und gewichtige Parteimitglieder der ersten Stunde ihre Wurzeln in neo-nazistischen und rassistischen Vereinigungen hatten, hat der 2005 zum Parteichef gewählte Jimmie Åkesson ein moderateres Auftreten und Image der Partei durchgesetzt. Zur offiziellen Rhetorik gehört die Distanzierung von faschistischer und rassistischer Ideologie, eine Festlegung, die allerdings immer wieder durch Äußerungen von einzelnen Parteimitglieder unterlaufen wird. Die fremdenfeindliche dänische Volkspartei, auf deren Unterstützung die bürgerliche Regierung im Nachbarland zurückgreift, ist für die Schwedendemokraten erklärtes Vorbild.
Das Parteiprogramm der SD baut auf "nationale Solidarität, Freiheit und Umweltbewusstsein". Sein Kern ist die als gescheitert betrachtete schwedische Einwanderungs- und Integrationspolitik. Die Partei wendet sich gegen die multikulturelle Gesellschaft, plädiert für eine markant reduzierte Einwanderung, für Abschiebung und Assimilation statt Integration, für ein Burka-Verbot, für ein hartes Durchgreifen gegen Kriminelle und verschärfte Strafgesetze, für die Senkung der Steuern aller Art sowie gegen Homo-Ehen. Außenpolitisch wollen die Schwedendemokraten die Abschaffung der EU umsetzen oder zumindest den Austritt Schwedens.
Die bürgerliche Allianz dürfte als Minderheitsregierung im Amt bleiben. Die unzureichenden Mehrheitsverhältnisse werden die rechtskonservative Regierung zu einer Mäßigung zwingen. Aber der Umbau des Sozialstaats und die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen werden konsequent fortgeführt werden. Eine programmatisch-personelle Erneuerung der Linken – d.h. von Sozialdemokraten, Grünen und Sozialisten – ist nicht in Sicht.
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