Rede von Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup zur Preisverleihung des Golden Award of Change für die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Vom 10. Oktober im Rathaus München

http://www.alternative-wirtschaftspolitik.de/termine/event_17790.html
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Liebe Frau Dellefant,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

im Namen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik darf ich mich ganz herzlich für die Verleihung des Golden Award of Change 2010 bedanken. Wir freuen uns sehr darüber.

Lassen sie mich ein paar Worte zu unserer Arbeitsgruppe und auch zu unserer Arbeit sagen. Konstituiert hat sich die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 1975. Wir haben als offene Gruppe keinen Instituts- oder Vereinscharakter mit entsprechenden Statuten oder einer Satzung. Wer bei uns als kritischer Ökonom oder Ökonomin gegen die neoliberale Hegemonie mitarbeiten will, ist herzlich willkommen. Ganz wichtig ist uns unsere Unabhängigkeit, insbesondere auch gegenüber Parteien. Von den Medien werden wir manchmal als „Gewerkschaftsökonomen“ betitelt. Dies können wir insofern akzeptieren, weil unsere wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen im Gegensatz zu den „Arbeitgeberökonomen“ nicht auf Lohnsenkungen und auf einen Abbau des So­zialstaats basieren. Dies heißt aber nicht, dass wir die Gewerkschaften nicht auch kriti­sieren.

Als Ökonomen und Ökonominnen vertreten wir eine Alternative Wirtschaftspolitik, die sich nicht als ein umfassendes wissenschaftliches Theoriensystem – etwa der Klassik oder Neoklassik vergleichbar – begreifen lässt, in der aus der abstrakten Konstruktion idealtypischer Wirtschaftszusammenhänge universell gültige wirtschaftspolitische Re­formen abgeleitet werden. Alternative Wirtschaftspolitik basiert vielmehr auf der Analyse makroökonomischer Zusammenhänge, die in ökonomische Entwicklungs- und Vertei­lungstheorien eingebettet sind. Vorstellungen über alternative Wirtschaftspolitik sind damit immer in konkrete ökonomische und politische Auseinandersetzungen integriert. Uns geht es um eine Wirtschaftspolitik, die auf Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit und auf ökologische Nachhaltigkeit setzt und nicht auf eine einseitige Befriedigung von Gewinninteressen, die letztlich immer gegen die Mehrheit einer Ge­sellschaft gerichtet sind.

Wir warnen jetzt seit 35 Jahren vor dem verhängnisvollen, gesellschaftszerstörenden Neoliberalismus, der immer nur eins wollte: Umverteilen von unten nach oben. Und wir haben auch immer vor der unsinnigen Behauptung gewarnt, es gäbe zum Neoliberalis­mus, zum Marktradikalismus und zur Privatisierung der Welt, keine Alternative. Schon im ersten nur vier Seiten umfassenden Memorandum „Für eine wirksame und soziale Wirtschaftspolitik“ von 1975 hieß es dazu:

„Unseren entschiedenen Widerspruch setzen wir allen Behauptungen entgegen, zu den von der Bundesregierung beschlossenen und geplanten, in ihren Wirkungen unsicheren und sozialen Maßnahmen gäbe es keine Alternative. Derartig wissenschaftlich unhalt­bare Behauptungen blieben in der Öffentlichkeit bisher u.a. deswegen weitgehend un­widersprochen, weil der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli­chen Entwicklung, der in der Öffentlichkeit als Sprachrohr der Wissenschaft zu Fragen der Wirtschaftspolitik angesehen wird, mittlerweile so einseitig zusammengesetzt ist, daß in seine Stellungnahmen nicht die in der Wissenschaft vertretene Breite der An­schauungen einfließt.“

Heute ist die wirtschaftstheoretische und daraus abgeleitet die wirtschaftspolitische Ein­seitigkeit noch größer geworden. Unsere überwiegend linkskeynesianische Positionen wurden von der jeweils herrschenden Politik so gut wie nie berücksichtigt. Das frustriert natürlich, zumal man gleichzeitig die negativen Ergebnisse einer neoliberalen Mains­tream-Ökonomie Jahr für Jahr vorgeführt bekommt. Wir haben aber nie aufgegeben.

An dieser Stelle gebührt insbesondere den drei Gründungsmitgliedern der Arbeitsgrup­pe, den Professoren Rudolf Hickel, Jörg Huffschmid und Herbert Schui besonderer Dank. Sie haben von Anfang an für eine Alternative Wirtschaftspolitik gekämpft und sich immer wieder eingebracht. Leider haben wir Ende letzten Jahres Jörg Huffschmid durch seinen Tod nach schwerer Krankheit viel zu früh verloren. Jörg hat, wie kaum ein ande­rer, bis kurz vor seinem Tod die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik mit seinem enormen theoretischen Wissen und vielen empirischen Untersuchungen immer wieder inspiriert und es gibt – so glaube ich – kein einziges herausgegebenes Memorandum oder Sondermemorandum, wo Jörg nicht schriftliche Vorlagen geliefert hat. Dies gilt übrigens genauso für Rudolf Hickel.

Ich möchte heute zur Preisverleihung auch besonders Dr. Axel Troost erwähnen. Fast von Beginn an hat er die nicht einfache Organisation der Arbeitsgruppe gemanagt und viele theoretische und wirtschaftspolitische Gedanken in die ungezählten Diskussions­runden eingebracht und den „Laden“ bewundernswert zusammengehalten. Ohne sein Management würde es die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik wohl nicht mehr geben.

Die Jury schreibt in ihrer Begründung zur Preisverleihung, dass die Arbeitsgruppe Al­ternative Wirtschaftspolitik nicht nur über viele Jahre immer wieder auf falsche und risi­koreiche Parameter in der Wirtschaftspolitik hingewiesen und alternative Lösungen auf­gezeigt hat, sondern auch immer bestrebt war, diese Missstände und Verbesserungs­vorschläge in die Politik und die Gesellschaft zu tragen. Das trifft den Kern unserer Ar­beit sehr gut. Es gab von Anfang an immer diese doppelte Intention: Zum einen eine wirtschaftswissenschaftlich fundierte Alternative zur herrschenden neoklassi­schen/neoliberalen Wirtschaftstheorie und -politik zu erarbeiten und aufzuzeigen – aber nicht für den wissenschaftlichen „Elfenbeinturm“. Und zum andern geht es uns um eine möglichst konkrete und praktische Hilfestellung für all diejenigen, die sich nicht mit einer Wirtschaftspolitik abfinden wollen, die einseitig den Kapitalinteressen dient.

Selbst die gerade ablaufende und längst noch nicht ausgestandene schwerste Krise des kapitalistischen Systems seit acht Jahrzehnten hat zu keinem Umdenken der so genannten Eliten aus Politik und Wirtschaft geführt. Wir haben dies gerade noch einmal in einem Sondermemorandum unter dem Titel: „Politik hat nichts gelernt – das Umver­teilen von unten nach oben geht weiter“ aufs schärfste kritisiert.

Die wahre Krisenursache, nämlich die neoliberal gewollte Umverteilung von unten nach oben, von den Löhnen zu den Besitzeinkommen, wird nach wie vor von den Herr­schaftseliten aus Interessengründen verdrängt. Und auch von den Medien ist die Kri­senursache nicht öffentlich gemacht worden. Im Gegenteil: die Krisenursache wurde in einer unerträglichen Art und Weise personalisiert – „die bösen Manager waren es“ – und damit systemisch wegdefiniert. Die meisten Medien spielen dabei, wie schon vor der Krise, das gleiche erbärmliche Spiel. Sie klären nicht auf, sie schreiben nicht über ökonomische Wahrheiten, sondern sie mystifizieren.

Natürlich haben Bankmanager versagt und die Investmentbanker haben mehr als eine kriminelle Ader entwickelt, so Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Noch mehr, und dies ist entscheidend, hat aber die herrschende Politik auf ganzer Linie versagt. Wer als Po­litiker dem „schlanken“ Staat und dem deregulierten Markt, insbesondere auf den Fi­nanzmärkten, das Wort geredet und letztlich das Laissez-Faire-Prinzip auch umgesetzt hat, der hat eine hohe Schuld auf sich geladen. Das Problem ist nur, dass die neoliberal denkende Politik immer noch an der Macht ist. Deshalb gibt es auch so gut wie keine Veränderung. Die neoliberalen „Brandstifter“ und Gesellschaftszerstörer wurden nur kurz, über Nacht zu „Bastard-Wendehals-Keynesianer“ und machten einen bisher nicht für möglich gehaltenen Schwenk in Richtung aktiver Konjunkturprogramme und extrem expansiver Geldpolitik. Damit die Vermögenden und Kapitaleigner nicht zur Kasse – zur Haftung, die sie sonst bei jeder Gelegenheit als Rechtfertigung für ihre Mehrwertaneig­nungen betonen – gebeten werden mussten, wurden die Krisenverluste durch eine massive Ausweitung der Staatsverschuldung kurzerhand sozialisiert. Da Steuererhö­hungen für die Krisenverursacher weiterhin ausgeschlossen werden, wird die Staats­verschuldung nun als Grund für Haushaltskonsolidierungen herangezogen und damit noch mehr private und öffentliche Armut hergestellt. Diese Rechnung wird jedoch nicht aufgehen. Mit einer solchen unverschämten einseitigen Interessenpolitik stößt das kapi­talistische System in den hoch entwickelten, produktiven Industrieländern an seine Grenzen.

Deshalb fordern wir als Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftpolitik endlich zur Besin­nung zu kommen. Es muss ein radikales Umdenken stattfinden. Wachstumseinbrüche, Arbeitsplatz- und Kapitalverluste sowie Staatsverschuldungen werden zu einer noch größeren Spaltung der Gesellschaften in Arm und Reich führen, und auch zwischen den Volkswirtschaften werden die Spannungen größer werden, so dass letztlich sogar die Europäische Union zur Disposition stehen könnte. Auch wird sich die Produktions- und Finanzwirtschaft durch die Krise weiter konzentrieren und damit noch mehr privatwirt­schaftliche Macht und Ausbeutungspotenzial innerhalb der Wirtschaft, aber auch ge­genüber der einzig gesellschaftlich demokratisch durch Wahlen legitimierten Politik ent­stehen, die weiter unsere Demokratie gefährdet.

Was muss alternativ konkret passieren? Fünf Dinge:

Erstens eine auf europäischer Ebene abgestimmte Fiskal- und Geldpolitik. Dazu ist der „Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt“, als ein „Behinderungspakt“, abzuschaf­fen. Was wir in Europa und in Deutschland dringend brauchen sind keine „Schulden­bremsen“, sondern „Steuersenkungsbremsen“ (Peter Bofinger). Auch die jetzt in fast allen europäischen Ländern aufgelegten oder noch folgenden „Sparprogramme“ und weitere Privatisierungen sind grundfalsch. Sie werden die Krise prozyklisch verschärfen und noch mehr soziale Spaltungen und Armut in Europa herbeiführen. Richtig wäre jetzt dagegen ein in der EU abgestimmtes ökologie-, sozial- und bildungsorientiertes Kon­junkturprogramm. Die Finanzierung könnte durch die Wiedererhebung einer Vermö­gensteuer, eine gerechte Erbschaftsteuer sowie die gegenwärtig diskutierte Einführung einer Finanztransaktionsteuer geleistet werden. Außerdem haben staatliche Konjunktur-und Beschäftigungsprogramme wegen ihrer multiplikativen Wirkung einen hohen Selbstfinanzierungseffekt. Dringend notwendig ist weiter eine expansive Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank (EZB).

Zweitens müssen diese kurzfristigen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen durch sys­temisch-strukturelle Veränderungen ergänzt werden. So sind die internationalen Fi­nanzmärkte aus ihrer in der Vergangenheit vollzogenen Liberalisierung wieder in staat­lich streng regulierte Märkte zu überführen. Die Krise habe gezeigt, so der Vorsitzende des SoFFin, Hannes Rehm, das unregulierte Märkte zu ungeheuren Verlusten bis hin zur Selbstzerstörung führen. Der Staat hat gerade im Finanzwesen eine wichtige Ges­taltungsaufgabe, dies sei jedoch im weltweiten Wettbewerb der Finanzplätze aus dem Blick geraten. Die jetzt auf EU-Ebene beschlossenen Kontrolleinrichtungen in den Be­reichen Banken, Versicherungen und Börsen sind zwar ein Schritt in die richtige Rich­tung, sie reichen aber noch nicht aus. Viel wichtiger und zielführend sind hier die sofor­tige Schließung sämtlicher internationaler Steueroasen und eine abgestimmte internati­onale Besteuerung der Finanzmarktumsätze durch die schon erwähnte Finanztransak­tionsteuer.

Hinzu kommen muss eine Reform des Bankensystems durch eine demokratische Ein­bettung der Geldinstitute in ihr ökonomisches und gesellschaftliches Umfeld. Der Regu­lierungsrahmen Basel II ist dabei zu korrigieren und die prozyklischen und polarisieren­den Elemente sind zu beseitigen. Die Eigenkapitalbasis für ausgereichte Kredite ist von zurzeit 4 % sukzessive auf 10 % in einem Basel III Abkommen zu erhöhen. Dies schafft mehr Sicherheiten in der Krise. Außerdem müssen die Banken auf ihre wesentlichen Kernfunktionen wie a) die Organisation des Zahlungsverkehrs, b) das Einlagengeschäft zur einfachen und sicheren Ersparnisbildung und c) die Finanzierung gesamtwirtschaft­lich und gesellschaftlich sinnvoller öffentlicher und privater Investitionen durch Kredit­vergabe zurechtgestutzt werden. Die unerträglich gewordene Bankenmacht gilt es zu beseitigen. Die Banken müssen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise ihre in den Bi­lanzen verschleierten und in Zweckgesellschaften oder „Bad Banks“ ausgegliederten Verluste schonungslos offenlegen und wertberichtigen. Reicht dabei die Eigenkapital­basis nicht aus, müssen Banken wie jedes andere Unternehmen grundsätzlich auch in Insolvenz gehen. Wird allerdings bei Insolvenz einer „systemrelevanten Bank“ das gan­ze Finanzsystem bedroht, so muss der Staat die Bank durch eine Rekapitalisierung in öffentliches Eigentum überführen.

Parallel dazu bedarf es eines verschärften internationalen Wettbewerbsrechts zur Ein­dämmung der Marktmacht von internationalen Konzernen, um auch hier das Erpres­sungspotenzial gegenüber der demokratisch gewählten Politik in den einzelnen Natio­nalstaaten unter Kontrolle zu bringen. In der EU sind endlich ein Europäisches Kartell­amt und eine Europäische Monopolkommission auf Basis eines vereinheitlichten stren­gen Europäischen Wettbewerbsrechts einzurichten und Verstöße gegen das Gesetz sind nicht wie heute in den einzelnen europäischen Ländern mit einem Bußgeld, son­dern mit dem Strafgesetzbuch zu ahnden. Konzerne ab einer branchenbezogen zu be­stimmenden Größenordnung sind zu zerschlagen oder, wenn dies aus ökonomischen Gründen, z.B. wegen des Verlustes von economies of scale (Skalenerträgen), nicht sinnvoll ist, unternehmensintern zu demokratisieren. Als Gegenmachtbildung zu privat­wirtschaftlichen Unternehmen gehört auch der Ausbau öffentlicher und genossenschaft­licher Unternehmen im Sinne einer solidarischen Ökonomie. Bereiche, die der Daseins­fürsorge dienen und gesellschaftliche Basisgüter bereitstellen, wie die Energie-, Ge­sundheits- und Pflegewirtschaft, sind besonders staatlich zu kontrollieren.

Drittens muss speziell Deutschland seine Wirtschaftspolitik zur Beseitigung der Un­gleichgewichte in den Leistungsbilanzen verstärkt auf die Binnenwirtschaft ausrichten. Gemäß dem deutschen „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ von 1967 liegt nur solange ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht vor, wie der Außenbeitrag am Bruttoinlands­produkt von +/- 1,5 % eingehalten wird. Gegen diese Vorgabe verstößt Deutschland seit Jahren massiv.

Bei der Primärverteilung ist deshalb zum Abbau der Leistungsbilanzüberschüsse zu einer uneingeschränkten produktivitätsorientierten Reallohnpolitik zurückzukehren. Hierdurch kommt es im Ergebnis aber nur zu einer Verteilungsneutralität. Die gesamt­wirtschaftlichen Lohn- und Profitquoten bleiben konstant – und die abhängig Beschäftig­ten ohne eine Umverteilungskomponente zur Erhöhung der Lohnquote „Habenichtse“, wie Oswald von Nell-Breuning gesamtwirtschaftlich aufzeigte.

Sie bleiben sozusagen auf die Konsumgütersphäre als „Gefangene“ mit ihrem Lohn (Tauschwert ihrer Arbeit) beschränkt und damit ohne den vollen Wert ihrer Arbeit zu erhalten zusätzlich noch von der Entwicklung der Investitionssphäre abhängig, die ein­zig und allein durch das „Investitionsmonopol des Kapitals“ (Erich Preiser) beherrscht und durch die erwartete Profitrate bestimmt wird.

Hieraus leiten sich eine Reihe von wirtschaftpolitisch dringend umzusetzenden Alterna­tiven im Sinne eines Links-Keynesianismusses ab, die aber sämtlich konträr zum neoli­beralen Dogma stehen: Dazu gehört eine produktivitätsorientierte Lohn- und Arbeits­zeitpolitik. Hierin zu integrieren sind zur Schließung der Produktions-Produktivitätslücke kollektive Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich. Daneben ist auf Basis von Flä­chentarifverträgen eine Umverteilung zu Gunsten der abhängig Beschäftigten durch echte „On-top“ Gewinn- und Kapitalbeteiligungen durchzusetzen. Und bis zum Errei­chen von Vollbeschäftigung sind im Niedriglohnsektor gesetzliche Mindestlöhne ver­bindlich zu machen. Menschenverachtende Leiharbeit ist ohne Ausnahme zu verbieten. Dies alles wird aber noch nicht reichen. Notwendig ist zusätzlich als arbeitsmarktpoliti­sche Komponente der Ausbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors.

Viertens muss eine völlig veränderte Steuerpolitik umgesetzt werden: Die gewinnträch­tigen Unternehmen und die Spitzenverdiener sind im Vergleich zu heute wesentlich hö­her zu besteuern. Der Spitzensteuersatz (Grenzsteuersatz) bei der Einkommensteuer muss ab einem zu versteuernden Einkommen von 60.000 Euro auf 48 % angehoben werden. Der Körperschaftsteuersatz ist auf 35 % zu erhöhen. Bei Gewinnthesaurierun­gen, die nachweislich für beschäftigungssichernde Investitionen im Unternehmen verbleiben, können Steuerabschläge gewährt werden. Das Ehegattensplitting wird ab einem zu versteuernden Einkommen von 60.000 Euro abgeschafft. Die zu versteuern­den Einkommen unterhalb von 60.000 Euro sind zu entlasten. Die Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte (Zinsen, Mieten, Pachten und Dividenden) ist abzuschaffen und die Kapitaleinkünfte sind wieder mit den Gesamteinkünften entsprechend zu besteuern, ansonsten werden Kapitaleinkommen steuerrechtlich besser gestellt als Arbeitsein­kommen. Die völlig ungleich verteilten Vermögenswerte sind durch adäquate Vermö­gens- und Erbschaftsteuern zum Teil der Gesellschaft zurück zu geben. Erben haben für ihre Erbschaft nichts geleistet. Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung sind radikal zu bekämpfen. Hier gehen dem Fiskus in Deutschland jährlich allein 100 Mrd. Euro verloren. Hinsichtlich der Sozialabgaben muss uneingeschränkt zum Prinzip der Solidarität in Form eines „öffentlichen Gutes“ zurückgekehrt werden. Mit Leistungskür­zungen und Privatisierungen ist hier Schluss zu machen. Die Beitragssätze zu den So­zialversicherungen sind in Richtung Arbeitgeberbeiträge zu erhöhen und in Richtung Arbeitnehmerbeiträge zu senken.

Fünftens muss noch eine ordnungstheoretische Notwendigkeit hinzukommen: Die priva­te Wirtschaft ist zu demokratisieren. Die Begründung hierfür ist einfach: Der Mensch will nicht bloß ein Mittel innerhalb der Wirtschaft sein. Der Mensch ist auch Selbstzweck. Deshalb sollten die Unternehmen von ihrem „kapitalistischen Charakter“ bzw. vom „In­vestitionsmonopol des Kapitals“ und die Beschäftigten aus der „Gefangenschaft der Konsumgütersphäre“ befreit werden. Dazu dürfen die Beschäftigten nicht nur auf ihre heutige Lohnfunktion reduziert werden, sondern sie sollten über ihre gewählten Vertre­ter in den Betriebs- und Aufsichtsräten gleichberechtigt (demokratisch) auch an Ent­scheidungen über die Beschäftigung, die Unternehmensorganisation, über die Gewinn­verwendung oder auch über die operative und strategische Ausrichtung „ihres“ Unter­nehmens beteiligt werden. Die Asymmetrie zwischen Kapital und Arbeit auf der unter­nehmerischen (mikroökonomischen) Ebene der Wirtschaft verträgt sich nicht mit einer demokratischen Partizipation bzw. ist hochgradig widersprüchlich angelegt, genauso wie die Dichotomie zwischen einer nichtdemokratisierten Wirtschaft als Unterbau zum demokratisch verfassten Staat als Überbau in einer Gesellschaft. Wirtschaftsdemokratie verlangt daher auch nach einer größeren Demokratisierung des staatlichen Sektors durch mehr interne Parteiendemokratie.

Zusammenfassend: Sie sehen, wir haben kurzfristig umsetzbare Alternativen und mit diesen konfrontieren wir die aktuelle Politik, aber wir versuchen auch Visionen zu entwi­ckeln, wie unsere Gesellschaft ohne Massenarbeitslosigkeit, mit sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit, mit ökologischer Nachhaltigkeit, mehr Geschlechtergerechtig­keit und international stärkerem Ausgleich aussehen könnte.