Patientenrechte ausbauen
Positionspapier der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag vom 22. März 2011
Einführung
Im Mittelpunkt unseres Gesundheitssystems müssen stets die Patientinnen
und Patienten stehen. Die Wahrung ihrer Interessen ist daher oberstes
Gebot. Um diese Zielsetzung bestmöglich zu realisieren, setzen wir uns
für ein Patientinnen- und Patientenrechtegesetz ein. Dieses Gesetz soll
die Rechte von Patientinnen und Patienten kodifizieren und ihre
Umsetzung sichern.
Krankheit stellt häufig eine starke persönliche Belastung dar. Da das
vorrangige Interesse der Genesung gilt, ist es schwierig, gleichzeitig
die eigenen Rechte gegenüber Behandelnden oder Kostenträgern in
Erfahrung zu bringen und durchzusetzen. Ein transparentes Recht,
machbare Anforderungen für dessen Durchsetzung und eine angemessene
Kalkulierbarkeit der Rechtsprechung sind notwendig, um die Situation für
Patientinnen und Patienten wirksam zu verbessern.
Aktuelle Situation
Intransparente, uneinheitliche und vor allem fehlende gesetzliche
Regelungen erschweren die Inanspruchnahme von Patientenrechten
erheblich. Zur näheren Kodifizierung der Patientenrechte ist es in
Deutschland bisher praktisch nicht gekommen, weswegen die Rechtsprechung
sich gezwungen sah, den Willen des Gesetzgebers weitgehend zu
interpretieren. Während in einigen Bereichen eine gefestigte
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes existiert, ist in vielen anderen
medizinrechtlichen Fragen die Rechtsprechung regional differenziert und
für alle Beteiligten kaum kalkulierbar.
Die Patientenrechte leiten sich aus elementaren Grundrechten ab: Unantastbarkeit der Menschenwürde, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person. Die Grundrechtecharta der Europäischen Union geht noch weiter und gewährt das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit, Recht auf gesunde Arbeitsbedingungen sowie das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und zu ärztlicher Versorgung. Diese sozialen Grundrechte werden aber in Art. 52 Abs. 5 sowie durch den Vorbehalt der nationalen Gepflogenheiten zu unverbindlichen KANN-Vorschriften gemacht und sind nicht einklagbar. Die Fraktion DIE LINKE hat einen Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 16/13791).
Viele europäische Länder haben bereits nationale Patientenrechtegesetze verabschiedet (u. a. Dänemark, Finnland, Frankreich, Spanien, Österreich, Litauen und Slowenien). In Deutschland existiert mit dem Papier „Patientenrechte in Deutschland“ bislang nur eine unverbindliche und grobe Auflistung einzelner Rechte zur Information von Patientinnen und Patienten sowie von Leistungserbringerinnen und Leistungserbringern. Das Richterrecht und damit die gängige Rechtspraxis werden darin nur unzureichend beschrieben. Es bietet keine ausreichende Hilfestellung für Patientinnen und Patienten, weil es lückenhaft ist und sich niemand rechtlich darauf berufen kann.
Doch selbst „gesicherte“ Rechte existieren in Deutschland oftmals nur auf dem Papier. Das Recht auf Einsicht in die Krankenunterlagen ohne Nennung von Gründen, was ein gerichtliches und außergerichtliches Vorgehen erst ermöglicht, wird häufig nicht oder nicht vollständig gewährt. In der Realität werden viele Patientinnen und Patienten bei der Akteneinsicht behindert bzw. erhalten unvollständige oder - in seltenen Fällen - sogar gefälschte Dokumente.
Patientinnen und Patienten haben bei einem vermuteten Behandlungsfehler die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen außergerichtlich mit dem Behandelnden zu einigen. Diese Stellen sind bei den Ärztekammern angesiedelt und werden von den Haftpflichtversicherungen der Beschuldigten mitfinanziert. Nach Ansicht von Patientenorganisationen sind diese Stellen nicht unabhängig und neutral. Ihre Verfahren sind meist nicht qualitätsgesichert. Hinzugezogene Gutachter unterliegen keinen objektiven Qualitäts- oder Unabhängigkeitsanforderungen. Zudem sind beide Parteien nicht verpflichtet, einem Schlichtungsverfahren oder dem Schiedsspruch zuzustimmen. Häufig wird den Behandelnden eine außergerichtliche Einigung von ihren Haftpflichtversicherungen untersagt.
Gerichtsverfahren bei einem vermuteten Behandlungsfehler dauern häufig 5 Jahre und mehr. Da die Streitwerte oft hoch sind, trägt die Patientin bzw. der Patient ein erhebliches finanzielles Risiko. Das „Sezieren“ des eigenen Leids vor Gericht stellt eine große psychische Belastung dar. Der Prozessausgang ist nicht zuletzt aufgrund der unsicheren rechtlichen Situation auch für Expertinnen und Experten kaum vorherzusagen. Viele Patientinnen und Patienten sehen daher davon ab, ihr Recht auch durchsetzen zu wollen. Auch Ärztinnen und Ärzte werden durch die lange Verfahrensdauer und die aufwändigen Verfahren belastet. Zudem stellt das Risiko eines Schadenfalls mit entsprechend langwierigem Gerichtsverfahren für viele Ärztinnen und Ärzte eine Beeinträchtigung ihres Berufsalltags dar.
Die Schwierigkeiten beim Arzthaftungsprozess liegen zum Teil in der
Natur der Sache (individuelle Krankheitsverläufe, nicht vorhersagbare
Behandlungsergebnisse etc.), zum Teil aber auch in der Verteilung der
Darlegungslasten der verschiedenen Parteien. Der Ursachenzusammenhang
(Kausalität) zwischen Fehlbehandlung und Gesundheitsschaden ist oft sehr
schwierig zu belegen. Dessen Nachweis birgt zwangsläufig große Probleme
für diejenigen, welche die Beweislast tragen müssen. Obwohl vor allem
die behandelnden Ärztinnen bzw. Ärzte beurteilen können, ob ihre
Behandlung fachgerecht ausgefallen ist, liegt die gesamte Darlegungs-
und Beweislast in der Regel bei der Patientin bzw. dem Patienten. Der
Patientin bzw. dem Patienten bleibt zum Nachweis meist nur die
Dokumentation der Ärztin bzw. des Arztes. Diese ist jedoch gar nicht für
die juristische, sondern nur für die medizinische Nachverfolgung der
Behandlung konzipiert.
In den meisten Arzthaftungsprozessen kommt der Gutachterin bzw. dem
Gutachter eine zentrale Rolle zu. Aufgrund ihrer bzw. seiner
Einschätzung wird in der Regel entschieden, ob ein Behandlungsfehler
vorliegt und ob dieser als grob einzuschätzen ist. Damit eng verbunden
ist die Frage, wer die Beweislast zu tragen hat und damit häufig der
Ausgang des Verfahrens. An die Qualifikation und Unabhängigkeit der
Gutachter und Gutachterinnen sind daher hohe Anforderungen zu stellen.
Für ein innovatives Patientinnen- und Patientenrechtegesetz
Für die Wahrung der Rechte von Patientinnen und Patienten fordert die
Fraktion DIE LINKE. ein Patientinnen- und Patientenrechtegesetz. Diese
Rechte beziehen sich nicht nur auf die Diagnose und Therapie, sondern
auch auf Pflege- und sonstige Gesundheitsleistungen. Statt eines
undurchschaubaren und teils unkalkulierbaren Flickenteppichs sollen klar
kodifizierte Rechte den Patientinnen und Patienten Rechtssicherheit
bringen. In verschiedenen Schlüsselfragen sind die bestehenden
Patientenrechte zu erweitern.
Folgende Rechte sind in dem Gesetz festzuschreiben.
1. Recht auf gute Behandlung
Die Gesundheitsversorgung muss allen Bürgerinnen und Bürgern barrierefrei 1)
zugänglich sein und dem medizinischen Wissensstand entsprechen. Die
Gesundheitsversorgung darf für die Patientinnen und Patienten nicht mit
Kosten oder Auslagen (Zuzahlungen, Praxisgebühr, Vorkasse etc.)
verbunden sein. Die Würde des Menschen ist in allen Bereichen der
Gesundheitsversorgung zu achten.
Zu einer „guten Behandlungsqualität“ zählt in diesem Sinne nicht nur die Qualität im Sinne der medizinischen Wissenschaft, sondern auch die größtmögliche Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten über das Ergebnis der Behandlung von Grunderkrankung und Begleitsymptomen sowie über den Behandlungsverlauf, ggf. auch ein möglichst minimierter Kostenaufwand. Der Patient bzw. die Patientin ist darüber aufzuklären, wie sie bzw. er zur Sicherung des Heilerfolges beitragen kann.
Alle Patientinnen und Patienten haben bei Nachweis einer Krankenversicherung das Recht auf eine zeitnahe Behandlung nach aktuellem Standard. Dies betrifft insbesondere auch Versicherte im Basistarif der privaten Krankenversicherungen. Ist eine Ärztin oder ein Arzt aus Auslastungsgründen nicht in der Lage, eine Patientin oder Patienten zeitnah zu behandeln, hat sie bzw. er die Vermittlung einer Ärztin oder Arztes in zumutbarer Erreichbarkeit durch die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu initiieren. Wird der oder dem Versicherten in angemessener Zeit keine Behandlung angeboten, ist die KV mit Abzügen zu sanktionieren.
Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, über ihren gesundheitlichen Zustand, Diagnose, Behandlungsmethoden- und alternativen, Dauer und persönlich zu tragende Kosten, mögliche Nebenwirkungen und Risiken sowie Erfolgsaussichten inhaltlich und sprachlich verständlich aufgeklärt zu werden (Selbstbestimmungsaufklärung). Diese Aufklärung muss der Patientin oder dem Patienten individuell angepasst und barrierefrei zugänglich sein. Insbesondere sind sprachliche Barrieren mithilfe eines spezialisierten Dolmetscherdienstes zu überwinden. Bei Eingriffen ist der Patientin bzw. dem Patienten eine Kopie der Aufklärung auszuhändigen. Desweiteren besteht das Recht auf Nichtwissen. Demnach haben Patientinnen und Patienten das Recht, ausdrücklich und in schriftlicher Form auf die Selbstbestimmungsaufklärung ganz oder teilweise zu verzichten (Recht auf Nichtwissen). Voraussetzung dafür ist, dass die Patientinnen und Patienten über die Tragweite ihrer Entscheidung informiert wurden.
Für Leistungen außerhalb des Leistungskataloges der Gesetzlichen
Krankenversicherung ist ein sicherer rechtlicher Rahmen zu schaffen.
Patientinnen und Patienten haben das Recht auf umfassende Informationen
über sog. Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL). Dies betrifft
insbesondere auch Informationen darüber, warum die jeweilige Leistung
nicht Bestandteil des GKV-Leistungskataloges ist, welche
Behandlungsalternativen existieren und welche Kosten den Patientinnen
und Patienten entstehen. IGeL dürfen ohne angemessene Bedenkzeit und
schriftlicher Einwilligung der Patientin bzw. des Patienten nicht
erbracht werden. Es sind wirksame Maßnahmen zur Qualitätssicherung für
die Erbringung von IGeL zu ergreifen. Auf die Möglichkeit einer Beratung
durch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) ist
hinzuweisen.
2. Pflichten der Leistungserbringerinnen und –erbringer
Risikomanagement
Zur Qualitätssteigerung und Fehlervermeidung ist ein
Risikomanagementsystem einzuführen bzw. vorhandene Systeme auszubauen
und zu vereinheitlichen. Fehler sind Bestandteil des menschlichen
Wirkens und auch Produkt von äußeren Bedingungen. Der Umgang mit Fehlern
ist aber immer noch stark mit persönlichem Versagen assoziiert. Wir
brauchen eine qualitätsfördernde Fehlerkultur und ein Arbeitsumfeld, das
Arbeiten auf hohem Niveau ermöglicht und fördert.
Ein Fehlermeldesystem ist folgendermaßen aufzubauen:
Alle Behandelnden können anonym eigene Behandlungsfehler und
Beinahe-Fehler an eine zentrale Stelle, z.B. Patientenbeauftragten,
melden. Daraus darf den Behandelnden kein Nachteil entstehen. Auch
andere Behandelnde (z.B. nachbehandelnde Ärztinnen und Ärzte) sowie
Patientinnen und Patienten können vermutete Behandlungsfehler an die
zentrale Stelle melden. Dies erfolgt unter Nennung von Namen. Diese
Daten werden nicht veröffentlicht. Die personenbezogenen Daten können
zur Ermittlung von mutmaßlichen Fehlerhäufungen dienen, welche zu einer
Kontaktierung des/der Betreffenden führen können, um mit ihm/ihr
gemeinsam nach den Ursachen zu suchen. Richterinnen und Richter, die
rechtskräftig einen Behandlungsfehler festgestellt haben, werden
verpflichtet, den Fehler an die zentrale Stelle zu melden. Diese Fälle
werden unter Nennung des/der Behandelnden veröffentlicht.
Dokumentation
Alle Leistungserbringerinnen und –erbringer haben die wesentlichen
Schritte und Ergebnisse ihrer Behandlung so zu dokumentieren, dass
Kolleginnen und Kollegen die Behandlung nachvollziehen können und die
Ermittlung im Schadensfall ermöglicht wird.
3. Recht auf gesundheitliche Selbstbestimmung
Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, die
Behandlungsmethode, den Behandlungsort sowie grundsätzlich die oder den
Behandelnden frei auszuwählen. Einschränkungen sind ausschließlich zur
Verbesserung der Versorgungsqualität, z.B. im Rahmen einer hochwertigen
integrierten Versorgung vorzusehen. Es besteht das Recht auf eine
Zweitmeinung. Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, eine
Behandlung abzulehnen oder zu beenden.
4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Sämtliche Informationen über Patientinnen und Patienten müssen streng
vertraulich behandelt werden. Dieses Recht wird nur dann aufgehoben,
wenn die Patientin oder der Patient selbst die Vertraulichkeit außer
Kraft setzt oder medizinische oder juristische Gründe eine
Bekanntmachung erzwingen. Alle Behandelnden, Kostenträger und andere
beteiligte Personen sind verpflichtet, sämtliche Daten vor unbefugtem
Zugriff zu schützen.
Es besteht das Recht auf zeitnahe Einsichtnahme in sämtliche
Krankenunterlagen. Die Behandelnden sind darüber hinaus verpflichtet,
unaufgefordert und kostenfrei eine Dokumentation der wesentlichen
Behandlungsschritte und Befunde an die Patientinnen und Patienten
auszuhändigen. Diese Regelung kann nur durch einen ausdrücklichen,
schriftlichen Widerspruch des Patienten oder der Patientin aufgehoben
werden (Recht auf Nichtwissen). Für schwer kopierbare Unterlagen (z.B.
bei bestimmten bildgebenden Verfahren) sind die Befunde ausführlich zu
dokumentieren und den auszuhändigenden Dokumenten beizufügen.
5. Rechte gegenüber Kostenträgern
Die gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen
Rechtes sind verpflichtet, die Wahrung des Gemeinwohls in den
Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Die Rechte von Patientinnen und
Patienten sind aktiv umzusetzen. Patientinnen und Patienten haben
Anspruch auf umfassende Aufklärung über ihre Rechte. Die gesetzlichen
Krankenkassen sind verpflichtet, ihre Versicherten bei Verdacht eines
Behandlungsfehlers bei der Aufklärung des Sachverhaltes und vor
Schlichtungsstellen sowie vor Gericht zu unterstützen. Die Pflichten von
Privatversicherungen sowie sonstigen Kostenträgern sind analog
auszugestalten.
Patientinnen und Patienten haben das Recht auf eine transparente und
zeitnahe Bearbeitung ihrer Anliegen. Dazu zählen insbesondere
Genehmigungs- incl. Widerspruchsverfahren von Leistungsanträgen.
Maßgeblich für die Genehmigung ist der Einzelfall.
6. Rechte im Schadensfall
a) Wenn eine Patientin oder ein Patient durch eine fehlerhafte
Behandlung zu Schaden gekommen ist, hat sie bzw. er das Recht auf
angemessenen Schadensersatz. Alle Leistungserbringerinnen und –erbringer
haben ab Aufnahme der Tätigkeit eine Berufshaftpflichtversicherung
nachzuweisen. Die Regelungen des § 51 Bundesrechtsanwaltsverordnung sind
entsprechend zu übertragen und gelten jeweils für die zu haftende
Institution (z.B. auch für Krankenhäuser). Die Mindestversicherungssumme
ist am Schadensrisiko des jeweiligen Leistungserbringers auszurichten.
Hat ein Behandlungsfehler zum Tod geführt, haben die Hinterbliebenen das
Recht auf Entschädigung („Trauerschaden“).
b) Behinderungen der Ermittlung (z.B. Behinderung der Einsichtnahme in die Krankenunterlagen, Manipulation der Krankenunterlagen) müssen scharf sanktioniert werden und verlagern die volle Beweislast auf die Seite der bzw. des Behandelnden. Computerprogramme, die nachträgliche Veränderungen an der Dokumentation unmöglich oder sichtbar machen, sind zu prüfen. Auch die bisher praktizierte Beweislastumkehr bei Dokumentationsfehlern ist gesetzlich zu fixieren.
c) Die von der Rechtsprechung entwickelten Beweiserleichterungen sind
durch das Patientenrechtegesetz weiterhin zu garantieren und auszubauen.
Die beim Baurecht angewandte Symptomtheorie ist entsprechend zu
übertragen: Der Patient oder die Patientin (Kläger) hat vor Gericht
darzulegen, dass ihm bzw. ihr durch die Behandlung ein Schaden
entstanden ist. Die Ärztin bzw. der Arzt (Beklagte) kann darlegen, dass
dieser Schaden für ihn unabwendbar war und auch bei Einhaltung des
Facharztstandards nicht auszuschließen gewesen wäre. Zur Klärung des
Sachverhaltes kann das Gericht unabhängige Gutachterinnen bzw. Gutachter
bestellen, deren Ausführungen durch Privatgutachten ergänzt werden
können. Stellt das Gericht einen Behandlungsfehler fest und ist dieser
objektiv geeignet, den beschriebenen Schaden zu verursachen, wird ein
ursächlicher Zusammenhang vermutet. Kann die bzw. der Beklagte diese
Vermutung nicht erschüttern, ist er entschädigungspflichtig.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Tatbestände, die zu einer
vollständigen Umkehr der Beweislast führen, sind gesetzlich zu fixieren
und insbesondere für den „groben Behandlungsfehler“ zu spezifizieren.
d) Die Einführung eines Entschädigungsfonds zur Deckung von Entschädigungs- und Schmerzensgeldforderungen ist zu prüfen. Dieser Fonds würde, wie bisher die Haftpflichtversicherungen, aus Mitteln der Leistungserbringer unterhalten. Zu prüfen sind auch Modelle, die eine Prämienabsenkung bei längerer Zeit ohne Behandlungsfehler und Prämienanhebungen bei überdurchschnittlicher Häufung von Fehlern bewirken. Der Fonds könnte als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgestaltet werden und somit Ansprüche an diesen der Sozialgerichtsbarkeit unterliegen. Da er im Gegensatz zu Versicherungsunternehmen nicht gewinnorientiert arbeitet, wären bei identischen Haftungssummen geringere Prämien für die Leistungserbringerinnen und –erbringer möglich.
e) Durch eine zentrale Stelle ist ein Gutachterpool aufzubauen. Die Sachkunde und die Unabhängigkeit der Gutachterinnen und Gutachter sind durch verbindliche Vorgaben sicherzustellen und zu überprüfen. Die Gutachten haben von der zentralen Stelle zu definierende Mindestanforderungen zu genügen und sind in angemessener Zeit anzufertigen, um die Prozessdauern zu verkürzen. Damit Privatgutachten für alle Prozessparteien bezahlbar sind, sind Höchstpreise für Gutachten in einer Gebührenordnung zu regeln. Es sind geeignete Maßnahmen zur Erhöhung der Zahl der Gutachterinnen und Gutachter zu ergreifen.
f) Außergerichtliche Einigungsmöglichkeiten sind zu stärken. Die
Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern sind
unabhängig auszugestalten und das Prinzip der Waffengleichheit analog
den Vorgaben bei Gerichtsprozessen herzustellen. Für hinzugezogene
Gutachterinnen und Gutachter sind die Vorgaben laut Punkt e) anzuwenden.
Patientenvertreter und –vertreterinnen sind an den Verfahren und
Entscheidungen zu beteiligen. Die Qualität der Gutachterkommissionen und
Schlichtungsstellen ist bundeseinheitlich zu sichern. Längerfristig
sind die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen an von beiden
Prozessparteien unabhängigen Stellen zu etablieren.
7. Kollektive Beteiligungsrechte
Patientinnen und Patienten haben das Recht, sich an der Entwicklung von
Gesundheitsdienstleistungen und deren Qualitätssicherung zu beteiligen.
Da es sich um ein gesamtgesellschaftliches Interesse handelt, sind die
maßgeblichen Patientenorganisationen mit Mitteln des Bundes in die Lage
zu versetzen, ihre Vertretungsfunktion in höherem Maße wahrnehmen zu
können. Dies ist auch eine unabdingbare Voraussetzung für das
perspektivisch zu fordernde Stimmrecht von Patientenvertreterinnen und
–vertretern in Sachfragen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Bis
dahin ist Patientenvertreterinnen und -vertretern im G-BA ein Stimm- und
Antragsrecht in Verfahrensfragen einzuräumen. Dafür ist die Stabsstelle
Patientenbeteiligung beim G-BA finanziell und personell aufzuwerten.
Downloads
Ähnliche Artikel
- 21.11.2010
- 27.09.2009
DIE LINKE.: Gemeinsam mit den Menschen diese Gesellschaft gestalten.
- 15.12.2008
- 01.02.2011
- 02.01.2011