Blockade der Finanztransaktionsteuer gemeinsam knacken
Teil I und Teil II des Interviews von Rainald Ötsch
09.06.2011 – FRAKTION DIE LINKE
Jürgen Klute, Mitglied des Europaparlaments und Koordinator der Linksfraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, und Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über das europaweite Ringen um eine Finanztransaktionsteuer
Worüber debattiert der Bundestag heute?
Axel Troost: Im Bundestag findet zeitgleich mit der französischen Nationalversammlung eine Debatte über die Einführung einer europäischen Finanztransaktionsteuer statt. Bei dieser Steuer soll der Handel mit Finanzprodukten – also Wertpapieren wie Aktien, Fremdwährungen, Anleihen oder Derivate – mit einem geringen Steuersatz in der Größenordnung von 0,05 Prozent besteuert werden. Dadurch ließe sich gleichzeitig die völlig überzogene kurzfristige Spekulation an den Finanzmärkten zurückdrängen und zugleich ein hohes Steuereinkommen erzielen. DIE LINKE hat eine solche Steuer in der Vergangenheit wiederholt gefordert. Die gleichzeitige Debatte im deutschen und französischen Parlament ist aber ein Novum.
Warum ist eine deutsch-französische Zusammenarbeit wichtig?
Jürgen Klute: Die Finanztransaktionsteuer ist um so wirkungsvoller, je mehr Staaten sie einführen. Eine weltweite Einführung ist derzeit leider völlig illusorisch. Eine europäische Steuer wäre aber wirksam, politisch machbar und gleichzeitig ein positives Signal für ein soziales Europa. Eine gemeinsame Erklärung des deutschen und französischen Parlaments ist dafür ein sehr starkes Signal. Im EU-Rat arbeiten die Regierungen Deutschlands und Frankreichs in der Regel eng zusammen, um ihre Positionen durchzusetzen. Sie scheuen sich auch nicht, ihre Partner durch Alleingänge zu vergrätzen, wie etwa mit der Präsentation des Europakts vor einem knappen Jahr. Insofern stimmt es zwar, dass die Briten sich bisher sträuben. Doch selbst ohne einen EU-Konsens in der Frage, könnten Deutschland und Frankreich einem Vorstoß in der Eurozone oder einer Gruppe fortschrittlicher Staaten zum Durchbruch verhelfen.
Wie ist die Lage in Deutschland?
Axel Troost: Bis auf die FDP sind inzwischen alle Parteien im Bundestag prinzipiell für eine Finanztransaktionsteuer. Die Union hat aber nicht nur mit einem widerspenstigen Koalitionspartner zu kämpfen, sondern auch ihre eigenen Reihen sind nicht geschlossen. Viele Abgeordnete der Regierungskoalition beharren etwa auf einer EU-weiten Einführung. Somit kann man nicht wirklich behaupten, dass die Bundesregierung klar hinter der Steuer steht. Wenn es konkret werden sollte, hat sie bisher immer gekniffen. Die drei Oppositionsparteien SPD, Grüne und DIE LINKE sind nicht nur für die Steuer, sondern auch Mitglieder im deutschen Kampagnenbündnis "Steuer gegen Armut", welches sich für eine Finanztransaktionsteuer zur Finanzierung globaler Angelegenheiten wie Entwicklungshilfe und Umweltschutz einsetzt.
Wie steht es mit der Zustimmung in Europa?
Jürgen Klute: Die Zustimmung in der Bevölkerung ist sehr groß. Als im März ein Bericht zu innovativen Finanzinstrumenten, der Podimata-Bericht, im Europaparlament zur Abstimmung stand, haben europäische Gewerkschaftsverbände und Nichtregierungsorganisationen, aber auch viele Einzelpersonen, Druck gemacht für ein positives Signal für eine EU-Einführung und sich an die Parlamentarier gewandt. Im Ergebnis hat sich auch eine große Mehrheit der Abgeordneten für die Steuer und eine europäische Vorreiterrolle ausgesprochen. Trotzdem fällt auf, dass gerade die konservativen Abgeordneten, einschließlich der deutschen, immer wieder zögern und taktieren. Unter Verweis auf eine G20-Lösung werden europäische Initiativen hinausgezögert. Zwischen CDU/CSU-Abgeordneten in Berlin und Brüssel scheint es also keinen Konsens zu geben. Unter den Regierungen gibt es etliche - etwa die britische, schwedische und niederländische -, die die Finanztransaktionsteuer klar ablehnen. Da Steuern im EU-Rat einstimmig beschlossen werden müssen, können einzelne Regierungschefs leider alles blockieren. Ohne Druck von außen wird deshalb nichts passieren.
Was will man mit der Steuer überhaupt erreichen?
Axel Troost: Seit der Finanzkrise ist offensichtlich, dass die aufgeblähten Finanzmärkte eine große Gefahr darstellen. Hier muss einfach die Luft herausgelassen werden. Die Finanztransaktionsteuer war von den Ökonomen Keynes und Tobin ursprünglich wegen ihrer Lenkungswirkung vorgeschlagen worden: Sie wollten Spekulanten, die auf kurzfristige Preisentwicklungen wetten, das Geschäft erschweren, während zugleich Transaktionen mit langfristigem Charakter nur gering belastet würden. Das würde die heute beobachteten Preiskapriolen verringern und unproduktive Zockereien unrentabel machen. Inzwischen ist die Steuer aber vorwiegend wegen des hohen Einnahmepotentials so beliebt.
Wie sieht es mit den Einnahmen und der Beteiligung der Finanzbranche an den Krisenkosten aus?
Jürgen Klute: Eine Beteiligung des Finanzsektors als Verursacher der Krise an den Krisenkosten ist neben der Eindämmung der Spekulationen auf dem Finanzmarkt das zentrale Argument des Europäischen Parlaments für eine Finanztransaktionsteuer. Angesichts der angespannten Haushaltslage in den meisten EU-Staaten, allen voran in Griechenland, Portugal oder Irland, sind zusätzliche Einnahmen dringend vonnöten. Die Finanztransaktionsteuer ist deshalb auch als struktureller Beitrag zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte gedacht. Immerhin könnte die Steuer in Europa jährlich einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag erbringen. Europa darf aber nicht nur sich selbst im Blick haben. Es muss auch einen deutlich höheren Beitrag zur Lösung globaler Probleme wie Armut und der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen erbringen.
Muss man so eine Steuer nicht global machen?
Axel Troost: Das wird gerne behauptet. Wenn die großen Finanzplätze in einer Zeitzone bei der Steuer mitmachen, wird eine Verlagerung sehr viel schwieriger. Aber selbst das ist nicht zwingend notwendig. Man kann die Steuer eben geschickt ausgestalten. In London, dem größten Finanzplatz der Welt, gibt es bereits jetzt eine Steuer auf bestimmte Finanztransaktionen mit jährlichen Einnahmen von mehreren Milliarden Pfund. Es ist also eine Menge möglich. Dies ändert aber nichts daran, dass man etwa mit Finanzakteuren und -aktivitäten in Steueroasen sehr viel rabiater umgehen müsste, als dies bisher der Fall ist und zudem auch wieder stärkere Kapitalverkehrskontrollen nötig sind.
Wie kann das weitere politische Verfahren zur Einführung der Steuer aussehen?
Jürgen Klute: Ein großes Problem ist die EU-Kommission, besonders der zuständige EU-Steuerkommissar Semeta. Bisher hat er nach Kräften die Forderungen des Europäischen Parlaments nach einer Finanztransaktionsteuer sabotiert. Erfreulicherweise unterstützt aber der für den EU-Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Michel Barnier die Steuer. Auch in seiner Rede vom 9. Mai in der Humboldt-Universität in Berlin hat er sich für eine Finanztransaktionsteuer ausgesprochen. Und vor wenigen Tagen hat er diese Forderung im Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments - gemeinsam mit Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der Eurogruppe - noch einmal bekräftigt. Im Sommer wird die EU-Kommission nun endlich die schon im Frühjahr 2010 vom Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments eingeforderte Auswirkungsstudie zur Besteuerung des Finanzsektors vorlegen. Vorher ist jedoch keine Entscheidung auf EU-Ebene zu erwarten. Im Herbst sollten die EU-Kommission oder einzelne europäische Regierungen dann endlich konkrete Gesetzesinitiativen vorlegen. Momentan läuft neben verschiedenen Aktivitäten europäischer Parteien und Kampagnenbündnissen auch ein europäischer ParlamentarierInnenaufruf. Wenn ParlamentarierInnen und BürgerInnen in Europa gemeinsam Druck ausüben, ist die Blockade zu knacken.
II. Teil v. 13.6.2011
Die Finanzmärkte umfassend entwaffnen
Wie ist die Lage in Griechenland zu bewerten?
Jürgen Klute: Griechenland steht mit dem Rücken zur Wand. Und das macht sich natürlich auch in der Unruhe unter den Menschen dort bemerkbar, die immer wieder heftig gegen die massive Sparpolitik protestieren. Die Griechinnen und Griechen sind wütend und hilflos. Sie lassen ihren Frust inzwischen auch in Hetzjagden gegen Fremde und Flüchtlinge aus. Sie spüren, dass ihre Regierung unter der Kuratel der Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU und Europäischer Zentralbank kaum noch die Möglichkeit hat, Entscheidungen zu treffen, und ausschließlich auf das schwindende Wohlwollen der Drei angewiesen ist, um sich finanzieren zu können.
Was sind überhaupt die Ursachen der Krise?
Axel Troost: Hierzulande wird die Griechenland-Krise als Ergebnis von südländischem Schlendrian gesehen. Das ist viel zu einfach. Damit kann man zum Beispiel überhaupt nicht die ähnlichen Probleme in Irland und Spanien erklären, welche ebenfalls als Pleitekandidaten gehandelt wurden. In ganz Europa sind die Staatsfinanzen durch die Kosten aus der Finanz- und Wirtschaftskrise unter Druck geraten. Dazu kommt, dass in einer Währungsunion ein einzelner Staat nicht mehr den Wechselkurs seiner Währung oder seine Leitzinsen steuern kann. Damit fehlen wichtige Instrumente, um auf die Steuer- und Lohnpolitik in anderen Staaten der Währungsunion zu reagieren und eine gesunde Konjunktur zu erhalten. Deswegen muss es in einem Währungsraum eine gut koordinierte Wirtschaftspolitik geben. Genau dies ist aber nicht geschehen.
Was ist das Problem bei den jetzigen Rettungsmaßnahmen?
Jürgen Klute: Sie sind hochgradig unsozial, ineffizient, undemokratisch und unfair.
Unsozial, weil ein System fortgeführt wird, bei dem die hohen Einkommen und Vermögen nach wie vor geschont werden, viele Einwohnerinnen und Einwohner Griechenlands aber jetzt schon heftig unter der scharfen Sparpolitik leiden, wenn die medizinische Versorgung nicht mehr sicher gestellt ist, Straßen nur gegen horrende Nutzungsgebühren befahren werden dürfen und Renten in Frage gestellt werden.
Ineffizient, weil Griechenland ohne eine kontrollierte Umschuldung und neue Finanzierungsmöglichkeiten nur immer noch weiter in die Schulden rutscht und weil die massive Sparpolitik die griechische Konjunktur abwürgt. Bei einem jährlichen Zinssatz von über zwanzig Prozent ist an eine Tilgung überhaupt nicht zu denken – und schon gar nicht, wenn die Wirtschaft weiter schrumpft.
Undemokratisch, weil die griechische Regierung unter dem Druck der Troika gegen die offene Empörung der Bürger auf die Einhaltung der festgelegten Vorgaben pocht.
Unfair an den Maßnahmen ist, dass die Bundesrepublik an der Notlage Griechenlands bislang ganz prächtig verdient. Deutschland hat sich das Geld für die ersten Zahlungen an Griechenland auch geliehen – für zwei bis drei Prozent. Und weiter gereicht an Griechenland - mit einem kräftigen Zinsaufschlag, versteht sich.
Wäre aber eine schnelle Umschuldung nicht sinnvoller als immer neue Kredite?
Axel Troost: Eine übereilte Umschuldung ist nicht der Befreiungsschlag, wie er von vielen verstanden wird. Bevor man eine Umschuldung in die Wege leitet, sollte man berücksichtigen, dass dadurch die Krise in anderen Teilen der Eurozone verschärft wird, weil sofort andere Länder erhöhte Risikoaufschläge zahlen müssen. Man muss verhindern, dass an den Finanzmärkten nach und nach einzelne Staaten heraus gepickt werden können und dann auch zum Krisenfall werden können. Eine Umschuldung kann somit für alle Beteiligten sehr teurer werden. Daher brauchen die Staaten in Europa zunächst neue Finanzierungsmöglichkeiten. Deswegen betrachtet unsere Bundestagsfraktion Eurobonds und eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen als Voraussetzung für ein transparentes und faires Umschuldungsverfahren.
Was fordert DIE LINKE im Europaparlament zur Lösung der Euro- und Griechenlandkrise?
Jürgen Klute: Die Forderung nach Eurobonds wird inzwischen von einer Mehrheit der Europaparlamentarier vertreten. Daneben fordern wir - gemeinsam mit europäischen Grünen, Sozialisten und sogar Liberalen - die Einführung einer Finanztransaktionsteuer, um wieder Spielraum zu schaffen für öffentliche Investitionen, gerade in den Krisenländern. Die Finanztransaktionsteuer muss aus Sicht der Linksfraktion im Europaparlament aber Teil einer umfassenden Entwaffnung der Finanzmärkte sein. Wir drängen darauf, dass Europa sich von spekulierenden Fonds und Rating-Agenturen nicht auseinander treiben lässt, sondern gefährlichen Wettgeschäften gegen die Eurozone ein Ende setzt.
Muss eigentlich nur Griechenland eine Anpassungsleistung erbringen?
Axel Troost: Das ist genau der springende Punkt: Deutschland muss sich auch bewegen. Als einzige Fraktion im Bundestag kämpfen wir für eine Ausgleichsunion, ein Sanktionsmechanismus für extreme außenwirtschaftliche Überschüsse und Defizite. Wenn ein Land Steuer- oder Lohndumping betreibt und damit extreme Überschüsse zu Lasten anderer einfährt, muss es gegensteuern. Denn die Überschüsse müssen ja irgendwo angelegt werden, was etwa zur Immobilienkrise in den USA oder in Spanien beigetragen hat. Und wenn alle Länder zu einer Dumpingpolitik gezwungen werden, ist niemandem geholfen. Auf der anderen Seite müssen natürlich auch Staaten, die ein zu hohes Defizit in der Leistungsbilanz haben, ebenfalls gegensteuern. Ohne eine symmetrische Anpassung macht man es Staaten wie Griechenland oder Portugal fast unmöglich, aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen.
Braucht Europa also eine Wirtschaftsregierung?
Jürgen Klute: Eine Wirtschaftsregierung braucht Europa ganz gewiss, allerdings eine andere als das neoliberale Kampfprojekt, das derzeit durchgeboxt werden soll. Eine europäische Wirtschaftsregierung müsste eine Angleichung der Lebensbedingungen in Europa zum Ziel haben – wohlgemerkt nach oben. Wir brauchen innerhalb der EU eine Annäherung von Löhnen und Sozialleistungen, dazu ist nicht nur eine wirtschaftspolitische Koordinierung erforderlich, sondern auch eine Koordinierung der Steuerpolitik. In Irland haben wir gesehen, dass Unterbietungswettläufe niemandem nutzen. Wichtig ist außerdem, dass große Länder in Europa stärker in die Verantwortung genommen werden. Wenn 80 Millionen Deutsche sparen müssen, weil sie zu wenig verdienen, kann Europas Wachstum nicht auf die Beine kommen.
Sollte Griechenland aus dem Euro austreten?
Axel Troost: Das ist sicher keine gute Idee, denn dieser Vorschlag löst keines der aktuellen Probleme. Wenn Griechenland die Drachme wieder einführt, würde die Währung zuerst sofort massiv abwerten. Da die griechischen Schulden in Euro aufgenommen wurden, würde sich der Schuldenstand für Griechenland massiv erhöhen, es käme erst recht zum Zahlungsausfall und über den Kollaps der griechischen Banken zu weiteren Verwerfungen in Europa. Außerdem würden die Finanzmärkte ab sofort auf ein Auseinanderbrechen der Währungsunion spekulieren. Das Projekt der europäischen Integration würde um Jahrzehnte zurückgeworfen. Das ist genau das Gegenteil von internationaler Solidarität, welche DIE LINKE seit jeher fordert.
Interview: Rainald Ötsch
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