Die Woche: Geisterfahrer in Europa
Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion
Es ist schon erstaunlich, wie tief verwurzelt manche Vorurteile sitzen müssen, wenn die Kanzlerin so offen die Mär von faulen Südländern in die Welt trompetet: "Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen - das ist wichtig“. Und weiter: „Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig". Summa summarum: Die Eurokrise als Problem von mangelndem Fleiß woanders.
Die Zahlen halten der Realität nicht stand - der durchschnittliche Portugiese geht ein wenig später in Rente als der Deutsche, der durchschnittliche Grieche einen Tick früher. Groß sind die Unterschiede jedoch nicht. Ähnlich ist es bei den Urlaubstagen. Ärgerlich ist jedoch nicht nur das schlechte Faktenwissen im Kanzleramt, sondern vor allem die populistische und platte Argumentation. Das eigentliche Problem in der Eurozone ist, dass sich keine Regierung in den letzten Jahren ernsthaft darum geschert hat, welche Folge mangelnde wirtschaftspolitische Koordinierung in einer Währungsunion hat.
Seit Einführung des Euros haben die vergangenen Bundesregierungen einen rigiden Kurs der Lohndrückerei gefahren – mit Agenda 2010, dem Ausbau des Niedriglohnsektors oder der Rente mit 67 (die de facto eine Rentenkürzung ist). In Europa benahm sie sich damit wie die Axt im Walde: Heute liegen die deutschen Lohnstückkosten nur sechs Prozent über dem Niveau von 2000, während sie im Euroraum seitdem um knapp zwanzig Prozent gestiegen sind.
Die EU ist leider in erster Linie ein Wettbewerbsprojekt. Versucht eine Seite, die anderen zu unterlaufen, spricht man von Dumping. Genau dies hat die Bundesregierung bei den Löhnen getan, andere Staaten (z.B. Irland, aber auch Deutschland) bei Unternehmenssteuern. Eine koordinierte Wirtschaftspolitik fand auch in anderen Bereichen nirgendwo statt. Deswegen ist es auch falsch, einseitig den Krisenstaaten eine Schocktherapie aufzudrücken. Bewegen müssen sich alle.
In Griechenland empfinden selbst die konservativen und liberalen Kollegen von Frau Merkel die Kürzungs- und Privatisierungsorgien zu Recht als unzumutbar. Auch in Portugal treiben die drakonischen Sparmaßnahmen die Menschen auf die Straße. In Spanien gingen die Menschen trotz Verbot auch an einem Wochenende von Regionalwahlen demonstrieren. Wahrscheinlich hatten sie wenig Hoffnung, die drängenden Probleme mit ihrer Stimmabgabe beeinflussen zu können. Ähnlich wird es bei den bevorstehenden Wahlen in Portugal sein. Fehlentwicklungen im Griechenland und anderen Staaten sollen damit nicht kleingeredet werden. Aber die deutsche Regierungspolitik hat an den Problemen in Europa einen gehörigen Anteil.
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