Die Hektik auf den Finanzmärkten
Joachim Bischoff: Furcht vor einem Kollaps der Konjunktur
Die Hektik an den internationalen Börsen hält auch nach dem Schuldenabkommen in den USA an. Die gestrigen massiven Kursabschläge haben erneut Medien und die politische Klasse aufgescheucht, nachdem man vor 14 Tagen nach dem Brüsseler Gipfel noch alles in trockenen Tüchern wähnte. Auch wenn die US-Börse heute mit Blick auf die leicht verbesserten amerikanischen Arbeitsmarktdaten wieder positivere Signale sendet, irritieren die »hypernervösen Märkte« (SpiegelOnline).
Was ist der Grund für die anhaltende massive Unruhe? Die Reaktion steht weniger im Zusammenhang mit der mühsam von der US-Politik verabschiedeten Erhöhung der Schuldengrenze als vielmehr den eingetrübten Konjunkturaussichten für die Globalökonomie. Eine weltweite Rezession würde die bisherigen Rettungsmaßnahmen gegen die europäische Schuldenkrise unterlaufen und zusätzliche staatliche Interventionen heraufbeschwören.
Die Akteure auf den Finanzmärkten schließen von den Symptomen einer Abschwächung der Weltkonjunktur auf einen erneuten Absturz der Realökonomie. Europa und die USA sind mit massiven strukturellen Problemen der Kapitalakkumulation konfrontiert. Um sie kurzfristig zu händeln, ist mit den bisherigen Rettungsschirmen Zeit gekauft worden, mehr nicht. Eine Strategie zur Reorganisation der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wurde nicht auf den Weg gebracht und ist auch jetzt nicht in Sicht.
Sicherlich war der Brandbrief von EU-Kommissionspräsident Manuel Baroso an die EU-Staatschefs- und Regierungschefs keine wirtschaftspolitische Meisterleistung. Baroso forderte öffentlich, die europäische Gemeinschaft müsse die Wirkung ihrer Hilfsmechanismen verbessern, um eine Ansteckung weiterer Staaten zu verhindern. Diese zeitlich und sachlich ungeschickte Meinungsäußerung ist allerdings bestenfalls ein Anlass für eine Verschärfung der Börsenhektik. Auch die Ankündigung von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, das Ankaufprogramm von Staatsanleihen europäischer Staaten fortzuführen, kann nicht zu einem Grund für Panikreaktionen auf den Wertpapierbörsen umgemünzt werden.
Im Zentrum steht die Furcht vor einem erneuten Übergang in eine rezessive Spirale nach unten. Und die ist mehr als berechtigt. Durch den »Schuldenkompromiss« in Washington sind zusätzliche, die Konjunktur stabilisierende Maßnahmen nicht finanzierbar. Eine konjunkturelle Abwärtsbewegung würde zudem nicht nur die bisherigen Krisenstaaten Griechenland, Irland und Portugal weiter gefährden, sondern vor allem den Sanierungsprozess in Spanien und Italien unterlaufen.
Die spanische Notenbank meldet schon jetzt, dass sich die gesamtwirtschaftliche Leistung des Landes im zweiten Quartal abgeschwächt hat. Von April bis Juni legte die Wirtschaft im Vergleich zum Vorquartal um 0,2% zu. Vor allem der Tourismus habe für Wachstum gesorgt, schrieb die Notenbank in ihrem Monatsbericht. Im ersten Quartal 2011 war die spanische Wirtschaft noch um 0,3% zum Vorquartal und um 0,8% zum Vorjahr gewachsen. Die Regierung in Madrid rechnet für das Gesamtjahr mit einem Plus von 1,3%. Diese Prognose halten Analysten aber für zu optimistisch. Die Bank von Spanien forderte daher die Eurozone auf, die Gipfelbeschlüsse vom 21. Juli entschlossen umzusetzen.
Auch Italien steckt in der Schuldenfalle und kann bei den Zukunftsaussichten des künftigen Wirtschaftswachstums nicht überzeugen. Die derzeitige Gesamtstaatsverschuldung in Höhe von 128% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird bis 2017 auf 150% ansteigen, wenn die Zinsen für Staatsanleihen über den derzeitigen 6% verharren und das Wirtschaftswachstum weiter wie gegenwärtig stagniert. Im ersten Quartal 2011 war die italienische Wirtschaft nur um 0,1% gewachsen.
Konsequenz dieser hohen Verschuldung und des schwachen Wirtschaftswachstums sind höhere Zinsen bei der Umwälzung der Schulden. Italien und Spanien haben zusammen einem Refinanzierungsbedarf von 450 Milliarden in den nächsten 12 Monaten. Und für beide Länder wird die Finanzierung am Kapitalmarkt immer teurer, sie müssen für die Verzinsung tiefer in die öffentlichen Kassen greifen. Bei einer Anleihe-Auktion musste Spanien zum Beispiel Anfang August erneut höhere Zinsen zahlen.
Im Zuge der Schuldenkrise sind die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen auf das Rekordhoch von 6,45% und 6,34% gestiegen. Der Unterschied (Spread) zu deutschen Bundesanleihen, deren Zinssatz erstmals unter die Inflationsrate von 2,4% gefallen ist, ist damit auf über 400 Basispunkte gestiegen. Selbst bei einer leichten Beschleunigung des Wirtschaftswachstums führen solche Zinssätze zu einem zügigen Anstieg der Schuldenquoten. Selbst wenn sich die Börsenkurse wieder stabilisiert haben, kann von einer Beruhigung nicht die Rede sein.
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