Bankenrettung als Farce
Von Lucas Zeise, Blätter für deutsche und internationale Politik
Wir sind wieder da, wo wir drei Jahre zuvor auch schon waren. Die Banken müssen abermals mit sehr viel staatlichem Geld vor dem Untergang gerettet werden. Das sagte fast beiläufig unsere sonst so sparsame Kanzlerin nach einem Besuch bei Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Zugleich richten sich die Euro-Regierungschefs auf einen größeren Schuldenschnitt (oder auch eine Staatspleite) Griechenlands ein. Beides hat sehr viel miteinander zu tun: Eine größere Teilentwertung der griechischen Staatsanleihen könnten einige Banken Europas nicht verkraften – die griechischen mit Sicherheit nicht. Wir lernen daraus ganz nebenbei, dass die großen Rettungsfonds für Griechenland und andere Problemländer nur deshalb mit viel Aufwand konstruiert worden waren, um die jeweils heimischen Banken zu retten.
Noch ist reichlich unklar, wie genau die Bankenrettung aussehen wird. Der Grundgedanke aber sieht etwa folgendermaßen aus: Da wird zunächst das im Herbst 2008 Hals über Kopf im bescheidenen Volumen von 480 Mrd. Euro geschaffene und Ende 2010 ausgelaufene deutsche Bankenrettungsprogramm „Soffin“ wieder angeknipst – durch einen Beschluss des Bundestages. Ähnlich verfahren alle anderen Euro-Länder. Um diejenigen Länder zu stützen, die die notwendigen Mittel zur Rettung „ihrer“ Banken nicht aufbringen können, werden Befugnisse und Umfang des sich zum Hypersuperfonds entwickelnden EFSF ausgeweitet – durch weitere Beschlüsse der Parlamente. Wenn das alles steht, wird Griechenland in die Pleite entlassen. Denn, so das Kalkül unserer Staatslenker, diese Pleite haut dann keine Bank mehr um.
Die Aussicht darauf, dass die Regierungen des Euro-Gebietes wieder enorm viel Steuergeld zur Stützung der Banken aufzuwenden gedenken, hat den Aktienmarkt beflügelt. Das war doch einmal eine gute Nachricht für den Investor, denn im Laufe dieses Sommers war immer klarer geworden, dass einige Banken den Schuldenschnitt auch eines nur kleinen Landes nicht würden verkraften können.
Die Banken misstrauten sich gegenseitig. Der „Geldmarkt unter Banken“, wo sich die Kreditinstitute normalerweise geräuschlos die notwendige Liquidität für ihre Zahlungsverpflichtungen beschaffen und andere überschüssiges Geld loswerden, hörte auf zu funktionieren. Wie im Sommer 2007, als die große Finanzkrise begonnen hatte, sprang daraufhin die Europäische Zentralbank (EZB) ein. Sie stellte wie damals den Banken das benötigte Geld zur Verfügung. Ohne diese Hilfe hätten einige Banken aus Liquiditätsmangel längst geschlossen werden müssen.
Die Freude am Aktienmarkt über die von Merkel, Barroso und vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in Aussicht gestellten geldwerten Stützungsoperationen für die Banken wurde kurioserweise von den Vorständen einiger dieser Banken nicht geteilt. Denn die Institute sollen, so ist zu vermuten, mit Eigenkapital zwangsbeglückt werden. Dabei haben die Bankenretter aus der Politik ausnahmsweise Recht. Was nützt der schönste Bankenrettungsfonds, wenn die Institute das Geld nicht nehmen, dann aber doch im Fall einer Staatspleite die eine oder andere Bank umkippt und damit das ganze System einstürzt?
Die Banker ihrerseits wollen das zusätzliche Eigenkapital nicht, denn eine hohe Eigenkapitalquote verringert aus zwei Gründen die Profitabilität: Erstens wird der Hebel kleiner, mit dem die Bank aus wenig geborgtem Geld mit ihren Geschäften viel Geld macht. Zweitens muss der Gewinn unter mehr Eigenkapital verteilt werden – oder wie die Fondsmanager sagen: Der „Verwässerungseffekt“ drückt die Eigenkapitalrendite. In Krisenzeiten zeigt sich noch deutlicher als sonst, wie Bankerinteressen und insbesondere das gemeine Kapitalinteresse an einem möglichst störungsfreien Ablauf des Wirtschaftsgeschehens dem Allgemeininteresse widersprechen. Es wird interessant sein zu sehen, ob und in welchem Maße die Euro-Regierungschefs eine Zwangskapitalisierung durchsetzen werden.
Viel Schein, wenig Sein
Wie so häufig wird am Ende vermutlich eine Scheinlösung herauskommen. Seit dem letzten Höhepunkt der noch existierenden Finanzkrise haben sich die EU-Europäer ungeheuer bedeutende Regulierungsfortschritte einfallen lassen. Sie haben mehrere Koordinierungsgremien für die zuvor nur national agierenden Finanzaufsichtsbehörden geschaffen. Das Gremium für die Bankenaufsicht EBA wurde in London angesiedelt, wo die Bankendichte extrem hoch ist, die Banker also nicht weit reisen müssen, um ihre Aufseher darin zu beraten, wie sie beaufsichtigt zu werden wünschen.
So kam zum Beispiel jene Bankenprüfungsaktion vor einem halben Jahr zustande, die als umfassender Stresstest propagiert wurde – bei der aber nicht einmal die in den Bilanzen der Banken gärenden griechischen Staatsanleihen überprüft wurden. Es war eine PR-Aktion, die von den Bankenverbänden erdacht worden war. Die Prüfung richtete sich nicht an die Öffentlichkeit, sondern an die Bankerzunft selber. Denn diese begannen ja, sich gegenseitig zu misstrauen und kein Geld mehr zu leihen. Nur einige unbedeutende kleine Institute bestanden diesen umfassenden Test nicht. Der Rest sei – so das Ergebnis des Stresstests – für die kommenden Krisen gerüstet. Erfreulich immerhin, dass die Banker selbst der Scheinveranstaltung nicht glaubten.
Nun haben die EU-Regierungen beschlossen, noch ernster an die Sache heranzugehen. Die Londoner EBA soll erneut dieselben Banken testen und feststellen, ob sie über ausreichend Eigenkapital verfügen, dem Stress einer Pleite Griechenlands zu widerstehen. Wer nicht genug Eigenkapital besitzt, erhält ein paar Wochen Zeit, um sich solches auf dem Finanzmarkt zu beschaffen. Wer auch das nicht kann, kriegt staatliches Geld aufgenötigt. Um das abzuwehren, wird so manches Arbeitsfrühstück mit den Herren und wenigen Damen der nationalen und europäischen Bankenaufsicht nötig sein. Man kann also einen guten Packen Derivate darauf verwetten, dass die Bankenstützung willkürlich und letztlich unwirksam sein wird. Das wiederum heißt, die eigentlich geplante Staatspleite Griechenlands wird so lange verzögert, bis so gut wie alle Anleihen dieses Staates in Händen des Rettungsfonds oder der EZB gelandet sind.
Der Bankenrettung zweiter Teil stellt sich demnach als wahrhaft komplexes Stützungsgerüst dar. Es kann und wird nicht funktionieren. Dies aus dem einfachen Grund, weil es im Europa der Währungsunion absurd ist, die Rettung der Banken den jeweils nationalen Regierungen zu überlassen.
Der Bankenrettungsplan wird außerdem nichts daran ändern können, dass im Euroland der Schuldenschnitt eines Landes als Präzedenzfall für den Schuldenschnitt anderer Länder gilt. Dahinter verbirgt sich jedoch nicht nur gemeine Ansteckungsgefahr oder der Herdentrieb der Märkte, sondern rationales Kalkül der Anleger. Im Moment ist es die emsig Staatsanleihen kaufende Zentralbank, die den Schein aufrecht erhält, dass Italien- und Spanien-Bonds noch vermarktet werden können.
Tatsächlich können sich Spanien und Italien schon seit den letzten EuroGipfelbeschlüssen vom 21. Juli ohne Stützung durch die EZB nicht mehr am Finanzmarkt zu akzeptablen Konditionen finanzieren. Das hat sehr wenig mit der Politik der in den letzten Zügen liegenden Regierungen Zapatero und Berlusconi zu tun, sondern vielmehr damit, dass die Euro-Regierungen offen gezeigt haben, dass sie nicht mehr willens und in der Lage sind, einen Schuldenschnitt für ein Mitgliedsland zu vermeiden. Seitdem warten die Märkte auf die Entscheidungen der EuroLänder und ihrer inoffiziellen Anführerin, Kanzlerin Merkel, wie die große Operation ablaufen wird.
Seitdem ist auch die Krise der europäischen Banken in ein neues akutes Stadium getreten. Klar ist jedenfalls, dass sich die Schuldenkrise auch bei einem auf den griechischen Staat begrenzten Schuldenschnitt auf die anderen Euro-Südländer und womöglich sogar Frankreich ausweiten wird.
Sarkozy und Merkel betonen beide gern und häufig, dass sie bei der Bankenrettung vollkommen einig seien. Das Gegenteil ist der Fall. Der französische Präsident will die gemeinsame europäische Bankenrettung, Merkel will wie 2008 einen Wettbewerb in der Frage, wer seine Banken am üppigsten alimentieren kann. Sarkozy vermutet, dass die französischen Banken besonders viel Geld brauchen; Merkel glaubt vermutlich, was ihr die deutschen Bankenverbände zuflüstern: dass deutsche Banken in dieser Runde weniger betroffen sein werden als das letzte Mal. Abgesehen von der jeweils interessengeleiteten Position muss man feststellen, dass die deutsche Haltung noch etwas verrückter ist als die französische.
Eigentlich müsste die Euro-Schuldenkrise auch den Deutschnationalen in Regierung und Parlament klar gemacht haben, dass jeder Wettbewerbsvorteil, den deutsche Banken und der deutsche Staatshaushalt durch die Fluchtbewegung der Anleger genießen, sehr bald wegfällt, weil die Partnerländer, aus denen das Kapital flieht, umso stärker gestützt werden müssen. Das ist kein Nullsummenspiel. Nein, die Negativeffekte bei den einen überwiegen um ein Vielfaches die netten kleinen Vorteile, die der deutsche Finanzstandort einheimst. Ein wenig Solidarität zwischen den in einer Währung zusammengebundenen Staaten wäre daher selbst für den Stärksten nützlich.
Von der Tragödie zur Farce
Die eigentliche Perversität besteht jedoch darin, zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt staatliche Bankenrettung zu betreiben. Das erste Mal lief sie als Tragödie ab, das zweite Mal gerät sie, um mit Karl Marx zu sprechen, zur Farce. Tragödie deshalb, weil die Staaten mit der ersten Bankenrettung diejenigen, die die Weltwirtschaft in die Krise getrieben hatten, massiv belohnten, in die Lage versetzten, ihr schädliches Tun zu wiederholen, und schließlich sich selbst in den Status des hoffnungslosen Schuldners begaben. Die rüde Farce werden wir demnächst erleben, wenn Bankiers und Politiker verblüfft feststellen, dass ihre Worte und Beschlüsse vom Publikum wie auch vom Finanzmarkt gleichermaßen nur noch missverstanden werden – und die mühevoll konstruierten Rettungsgerüste wie in einem frühen Stummfilm lautlos zusammenkrachen.
Man kann fragen, ob die weltweit unternommene Rettungsaktion für das Finanzsystem im Jahr 2008 sinnvoll war. Man kann diese Frage zumindest deshalb bejahen, weil umgekehrt der Pleite einer Bank und dem folgenden Run auf die Institute eine dramatische Vertiefung der Wirtschaftskrise gefolgt wäre. 2008 bezogen sich die Politiker aus allen kapitalistischen Hauptländern explizit auf die Erfahrungen aus der großen Depression der 30er Jahre. Damals trugen die Pleite der österreichischen Creditanstalt und der deutschen Danat-Bank ganz entscheidend zu einer dramatischen Verschärfung der Wirtschaftskrise bei. Ähnlich wird heute argumentiert, wenn behauptet wird, die von der US-Regierung zugelassene Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 habe durch den resultierenden Schock an den Finanzmärkten die Rezession der weltweiten Realwirtschaft erst verursacht.
An der Lehman-These ist allerdings nichts dran. Im September 2008 war die Weltwirtschaft längst in den Rezessionsmodus eingetreten – und zwar nicht weil es den Banken schlecht ging, sondern weil das krisenhafte Ende des Finanzbooms im Sommer 2007 die aus laufender Verschuldung gespeiste effektive Konsumnachfrage der einfachen Amerikaner abrupt beendet hatte. Auch die Weltwirtschaftskrise vor achtzig Jahren wurde nicht von den oben erwähnten Bankenpleiten ausgelöst. Das Schlimme an diesen Pleiten damals war weniger der Zusammenbruch der Bank an sich als vielmehr die Reaktion der Wirtschaftspolitik darauf, die besonders fatal in Deutschland ihren restriktiven Kurs verschärfte. Der Fall von Lehman Brothers war wiederum völlig anders. Er löste eine hektische Betriebsamkeit der Wirtschaftspolitik in allen wichtigen Staaten aus, die per saldo in die richtige Richtung wies.
Das viele Geld, das in den Finanzsektor gesteckt wurde, stabilisierte die Banken. Das viele Geld, das für Konjunkturprogramme und die Stützung der Nachfrage ausgegeben wurde, stabilisierte die effektive Weltnachfrage. Ebendies war entscheidend. Damit wurde die verheerende Abwärtsspirale (sinkende Nachfrage – sinkende Profite – sinkende Investitionen – Entlassungen – sinkende Nachfrage) vermieden, die die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre zu einer Depression hat werden lassen. Es kommt somit weniger darauf an, ob eine Bankenpleite vermieden werden kann oder nicht, als vielmehr darauf, wie diese Pleite vonstatten geht und welche Wirtschaftspolitik in ihrem Umfeld betrieben wird.
Verschlankt den Finanzsektor
Wie man heute sieht, hatten die Bankenrettungsaktionen des Jahres 2008 aber auch ihre Schattenseiten. Sie führten zum einen dazu, dass die Staatshaushalte geplündert wurden. Das hat die ohnehin hohe Verschuldung der Staaten dramatisch erhöht und im Euro-Gebiet die aktuelle Staatsschuldenkrise mitverursacht. Die untragbar hohe Verschuldung des privaten Kapitals wurde damit auf die Staatshaushalte übertragen. Die Rettung der Banken hat zum anderen 2008 dafür gesorgt, dass die unbedienbar gewordenen hohen Vermögensansprüche (die andere Seite der Verschuldung) fast in voller Höhe erhalten geblieben sind. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat ihre reinigende Wirkung somit bis heute nicht vollzogen. Der Finanzsektor ist in Relation zur übrigen Wirtschaft immer noch bei weitem zu groß, belastet die Realwirtschaft und dämpft das Wirtschaftswachstum.
Worauf es heute also in erster Linie ankommt, ist eine Schrumpfung des Finanzsektors. Sie ist auch möglich. Insofern bietet die aktuelle erneute Zuspitzung der Krise auch Chancen.
Wenn die Politik eine unkontrollierte, chaotische Pleite einer wichtigen Bank oder gar des Bankensystems insgesamt vermeiden möchte, wofür einiges spricht, dann soll sie mit dem Eigentum an diesen Instituten auch die tatsächliche Kontrolle übernehmen und sie gegebenenfalls abwickeln. Analog zur Parole der Neoliberalen vom schlanken Staat wäre den Bürgern mit einem „schlanken Finanzsektor“ gedient. Er könnte ähnlich schlicht und bescheiden Kredit und Ersparnis organisieren wie damals in den spießigen 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.