Sarkozy im Auge des Orkans
Von Bernhard Sander: Frankreichs »Weltenlenker« hält sich bedeckt
Im Mittelmeer taucht ein tropischer Wirbelsturm auf, die Finanzmärkte sind heftigen Turbulenzen ausgesetzt und Frankreich befindet sich im stillen Auge des Orkans? Der »notorische Wichtigtuer« (FAZ) Sarkozy wollte mit dem G20-Gipfel in Cannes seine Amtszeit krönen. Doch seine Rolle als Weltenlenker fiel ins Wasser angesichts der Versuche, den Euro-Raum sturmfest zu zurren.
Dabei stand Sarkozy unter Kuratel der deutschen Bundeskanzlerin. Keine seiner Ideen, u.a. die Finanztransaktionssteuer als neue staatliche Geld- und Umverteilungsquelle oder die Teilentmachtung des Dollar als Reservewährung, wurden auch nur im Ansatz umgesetzt. Nur die Idee einer Wirtschaftsregierung setzt sich als Diktat für nationale Regierungen durch.
Nachdem unter der Regentschaft von Nicolas Sarkozy durch Steuernachlässe und Kürzungen von Staatsausgaben fast 100 Mrd. Euro an die vermögenden Schichten umverteilt wurden, treibt das Land ökonomisch in einem brüchigen Nachen auf den hohen Wellen der Bankenkrise. In seiner Amtszeit stieg die Verschuldung der »Grande Nation« um 500 Mrd. Euro. Insofern war die Veröffentlichung eines schlechteren Ratings für Frankreich nicht nur ein Versehen, sondern ein plausibles Szenario.
Erstens ist das französische Bankensystem bedroht. Anfang dieses Jahres hielten die vier größten französischen Banken Ansprüche an den italienischen Staat in Höhe von 63,4 Mrd. Euro. Angeblich halten die französischen Banken mit 340 Mrd. Euro rd. 59% der gesamten italienischen Anleihen, Derivate und Garantien. Darüber hinaus haben französische Banken sich durch Kauf von Konkurrenzinstituten mit mehr als 20 Mrd. Euro direkt im italienischen Bankensystem vernetzt.
Der französische Staat wird im Falle der Zuspitzung der italienischen Krise zu Re-Kapitalisierungen des heimischen Bankensektors gezwungen sein und damit zu einer Ausweitung des Defizits. Mit Dexia (1,8 Mrd. Euro Italien-Anleihen) ist ein Institut bereits in die Auflösung gegangen. In den bisher geschnürten Rettungspaketen ist der französische Staat durch seine EU-, IWF- und EZB-Beteiligungen sowie die ESM-Konstruktion mit Einlagen und Bürgschaften mindestens mit 300 Mrd. Euro gefesselt (Deutschland mit rd. 380 Mrd. Euro).
Zweitens riskiert die französische Regierung aufgrund des erwarteten Null-Wachstums 2012 und aufgrund der sinkenden Bonität ein immer größer werdendes Loch im Staatshaushalt. Daher hat sich – Wahlkampf hin oder her – Sarkozy zu einem weiteren Kürzungsprogramm verpflichtet, das seinerseits selbst wieder kontraktiv wirken wird.
Die Mehrwertsteuer im Gastgewerbe wird (nach ihrer Reduktion 2009 von 19,5%) wieder auf 7% angehoben, ebenso für eine Reihe anderer Produkten und Dienstleistungen außerhalb des Grundbedarfs. Neben globalen Minderausgaben im Staatshaushalt (0,5 Mrd. Euro) wird es weitere Kürzungen geben. Alle Sozialleistungen außer den Grundsicherungen werden nur um 1% erhöht. Die Steuergrundfreibeträge sollen nicht wie sonst üblich an die jährliche Inflation angepasst werden. Die Körperschaftssteuer für Unternehmen über 250 Mio. Euro Umsatz soll um 5% angehoben werden. Weitere Steuernischen werden geschlossen – vor allem beim Eigenheimbau 2,6 Mrd. Euro. Nur symbolischen Charakter haben das Einfrieren der Ministergehälter und die Senkung von öfffentlicher Wahlkampfkostenrückerstattung (die UMP hat wegen ihres hohen Anteils von Unternehmerspenden somit einen Platzvorteil). Insgesamt macht das 6-8 Mrd. aus; die bereits im August beschlossenen Steuererhöhungen und Haushaltskürzungen belaufen sich auf 11 Mrd. Euro. Ob damit das angestrebte Ziel einer Neuverschuldung von 4,5% erreicht werden kann, bleibt fraglich – und die ist höher als in Italien.
Sarkozy hat seine erneute Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten noch nicht erkärt. Sie hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn die anderen politischen Kräfte lahmen. Aber selbst dann ist Sarkozy für viele Überraschungen gut und durchaus zu politischen Manövern fähig, die ihm das Weiterregieren ohne demokratische Legitimation ermöglicht, wie dies ja bereits in Belgien, Griechenland und Italien geschieht. Angesichts der Ghettoaufstände hatte er bereits den Ausnahmezustand über die Nation verhängt.
Der PS-Kandidat François Hollande hat sich scheinbar erst einmal in den parteiinternen Vorwahlen verausgabt und ist durch keinen sonderlichen Beitrag zur aktuellen Finanz- und Bankenkrise aufgefallen. Immerhin stellte er in einem Libération-Interview vor dem G 20-Gipfel die Behauptung auf, dass Eurobonds mithilfe von Zugeständnissen bei der Haushaltsunion möglich gewesen wären. Der Stabilitäts- und Wettbewerbspakt sehe ja bereits strenge Haushaltsaufsicht vor, ohne die Komponente europäischer Solidarität oder einer Wachstumspolitik. Sein bisher skizziertes Programm lässt wenig Aufbruch und umso mehr Konsolidierungswillen erkennen. Er selbst krebst in der Forderung nach 60.000 neuen Stellen im Ausbildungssektor mit dem Hinweis auf sinkende Schülerzahlen bereits wieder zurück und seine Partei streitet über den geeigneten Mehrwertsteuersatz im Gastgewerbe. Hollande scheint eher ein Kandidat für jene zu sein, denen es beim so genannten Sparen auf sozialen Ausgleich ankommt. Dazu darf sich die Krise nicht weiter zuspitzen.
Spitzt sich die Krise zu, steigen die Chancen der Rechtspopulistin Marine Le Pen, deren Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro dann immer weniger mit plausiblen Übergangsschritten durchargumentiert sein muss. Sarkozy versuchte in einer Fernsehansprache die eurokritische Haltung aufzugreifen: »Es gibt zu wenig wirtschaftspolitische Integration im Euroraum und zu viel im Europa der 27«. Damit forderte er indirekt Schutz vor Billig-Importen. Denn das französische Außenhandelsdefizit ist auf 75 Mrd. Euro angestiegen und liegt damit deutlich über dem Negativ-Rekord von 2008.
Mit der Zuspitzung der Krise schwindet auch das Wählerpotenzial für Jean-Luc Mélenchon, den Kandidaten der Linken der Linken, sein Programm der Vertretung der unmittelbarsten Interessen gegenüber den Finanzfragen könnte sich als unterkomplex erweisen.
Die Formierung einer weiteren Strömung in der linksradikalen NPA (10-20% der verbliebenen Mitglieder) beweist einmal mehr, wie verfehlt die Neugründung einer neuen antikapitalistischen Partei unter dem Vorzeichen »keine Regierungsbeteiligung« war. Sie hat angesichts der eigenen schwachen Performanz beim Wahlvolk nun keinerlei Einfluss mehr auf die Ausrichtung einer Front de Gauche (Linksfront).
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