Absturz in die Rezession?
Von Joachim Bischoff / Richard Detje
Die gesamtwirtschaftliche Leistung ist in Deutschland im Jahr 2011 robust gestiegen. Im Gesamtjahr lag die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) preisbereinigt bei 3%. Damit wuchs die größte europäische Volkswirtschaft doppelt so schnell wie die Wirtschaft des gesamten Euroraums.
Das Wirtschaftswachstum war 2011 fast so stark wie 2010, als es ein Plus von 3,7% gab. 2009 war die Wirtschaftsleistung wegen der Finanzkrise und dem Rückschlag auf die Realökonomie um 5,1% eingebrochen.
Trotz dieser guten Jahreswerte bleibt der Jubel verhalten. Denn das Jahr endet für die deutsche Wirtschaft mit einem Absturz im Abschlussquartal. Erstmals seit der Finanzkrise ist die Wirtschaftsleistung nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes von Oktober bis Dezember wieder um 0,25% geschrumpft – obwohl wegen der milden Witterung übliche jahreszeitlich bedingte Rückgänge in der Produktion entfielen. Das deutliche Minus im Schlussquartal bestärkt die Prognose, dass auch der Berliner Republik eine Rezession nicht erspart bleibt.
In der Euro-Zone zeichnet sich wegen der stagnierenden Wirtschaftleistung in Frankreich und den Schrumpfungsprozessen in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland eine rezessive Entwicklung ab. Nicht nur dort, sondern auch in Nordamerika und Japan wird der weitere Verlauf entscheidend von der Schuldenkrise abhängen. In welchem Ausmaß die ungeklärte Refinanzierungssituation einiger Staaten und die beträchtliche Unsicherheit unter den Banken die Konjunktur dämpfen wird und wie lange diese Entwicklung andauert, wird von Ökonomen allerdings unterschiedlich diskutiert. Konjunkturprognosen fallen insofern noch unsicherer als üblich aus.
Wegen des drückenden Schuldenüberhangs und der Verteuerung der Kredite haben die meisten Euro-Länder den Übergang zu einer drastischen Austeritätspolitik vollzogen und sich nach Drängen der deutschen Bundesregierung auf eine »Schuldenbremse« verständigt. Neben der Erhöhung von Steuern betreffen die Kürzungsmaßnahmen vor allem die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Absenkungen von Sozialleistungen und Altersrenten sowie die Schrumpfung des öffentlichen Dienstes und der staatlichen Investitionen. »Mit den Sparorgien in Europa machen wir unseren eigenen Markt kaputt«, lautet der Kommentar des Chefvolkswirts der Uno-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD), Heiner Flassbeck. »Wir werden einen irren Einbruch erleben, wenn man das alles durchzieht.«
Der Übergang zu einer Austeritätspolitik gilt auch für Nordamerika und Japan. In der Konsequenz bleiben die Wachstumsimpulse aus dem Akkumulationsprozess der kapitalistischen Hauptänder schwach. Anders als im Krisenjahr 2008/09 sind aktuell keine expansiven Konjunkturmaßnahmen aus den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) zu erwarten.
Mit Ausbruch der Großen Krise in den Jahren 2007/2008 erinnerten sich die politischen Klassen zunächst an die Erfahrungen aus dem vorherigen Jahrhundert und holten die politischen Rezepte von Keynes aus der Versenkung hervor. Als im Umfeld des Zusammenbruchs von Lehman Brothers das globale Finanzsystem zu wanken schien und anschließend die Weltwirtschaft ausgelöst durch den konzertierten Absturz der kapitalistischen Hauptländer zu kollabieren drohte, erinnerte man sich wieder an die »automatischen Stabilisatoren« der Sozialstaaten, an die Bedeutung öffentlicher Investitionen und an die Sinnhaftigkeit von Arbeitszeitverkürzung zur Entlastung der Arbeitsmärkte.
Allerdings blieben die Konjunkturimpulse halbherzig und die längst überfälligen Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse unterblieben ebenso wie die von den Keynesianern geforderten Strukturreformen. Konsequenz: Statt sinnvolles Wachstum zu stärken und die Einnahmebasis der Staaten zu verbessern, stiegen die Staatsschulden auf neue Höhen, was wiederum Spekulation und Unsicherheit auf den Finanzmärkten verstärkte. Die Fonds und Vermögensgesellschaften sind nicht mehr davon überzeugt, dass die Verbindlichkeiten aller Länder bedient werden können.
Die Ökonomen haben zudem in Auswertung zurückliegender schwerer Krisen festgestellt, dass ab einem Staatsschuldenstand von 90% der Wirtschaftsleistung das Wachstum des betreffenden Landes so gedrückt wird, dass die Refinanzierung problematisch wird. Deswegen sind alle kapitalistischen Metropolen dazu übergangen, die (Neu-)Verschuldung anzubauen, angefangen bei der Weltmacht USA, die mit 15 Billionen Dollar oder 101% vom BIP in der Kreide steht und seit 1962 bereits 75-mal die Obergrenze ihrer zulässigen Verschuldung erhöht hat.
Das Stabilitätsdiktat für die Euro-Zone – eine Mischung aus Rettungspaketen, staatlichen Leistungskürzungen, steigenden Massensteuern, Lohnsenkungen, Erleichterungen von Kündigungen und Versorgung von Banken und Finanzmärkten mit höherer Liquidität bei nur soften Regulierungsansätzen – beschädigt die Wachstumsdynamik entscheidend.
Daher die energisch vorgetragene Warnung von Paul Krugman: »›Die Phase des Aufschwungs, nicht der Niedergang ist die richtige Zeit für fiskalische Austerität«. So John Maynard Keynes 1937, als Franklin D. Roosevelt zu früh versuchte, den Haushalt auszugleichen und damit die US-amerikanische Wirtschaft – die sich bis dahin beständig erholt hatte – in eine schwere Rezession stürzte. Einschneidende Kürzungsmaßnahmen der Regierung in Zeiten einer depressiven ökonomischen Entwicklung verstärkt die Depression noch; mit Austeritätspolitik sollte man warten, bis eine kräftige Erholung auf dem Weg ist. Unglücklicherweise glaubten Politiker und politische Entscheider Ende 2010/Anfang 2011 in den meisten Ländern der westlichen Welt , dass sie es besser wüssten, indem sie sich auf die Haushaltsdefizite konzentrierten statt auf Jobs, obwohl die Volkswirtschaften kaum von dem Niedergang nach der Finanzkrise erholt hatten. Und indem sie Anti-Keynesianistisch agierten, stellten sie unter Beweis, dass Keynes ganz richtig lag.«
Es bleibt dabei: Besserwisserische Politik verstärkt den Absturz. Der Aufschwung, der für das positive 2011er Ergebnis gesorgt hatte, fand hauptsächlich in der ersten Jahreshälfte statt. Mit dem Übergang zur Austeritätspolitik wächst die Gefahr einer neuen Rezession.
Die Währungsunion ist der wichtigste Absatzmarkt für die exportabhängige deutsche Industrie. Die nachlassende Weltkonjunktur wird ihr schwer zu schaffen machen. Die Bundesbank traut der deutschen Wirtschaft 2012 nur noch ein Wachstum von 0,6% zu, die Deutsche Bank sagt sogar eine Stagnation voraus. Schon für das Jahr 2011 galt: Kräftige Wachstumsimpulse kamen aus dem Inland – Privathaushalte kauften so viel ein wie zuletzt vor fünf Jahren. Die Konsumausgaben hatten mit einem Plus von 1,1 Prozentpunkten den größten Anteil am Aufschwung, gefolgt von den Bruttoinvestitionen mit einem Plus von 1,0 Prozentpunkten. Der Export kommt mit einem Zuwachs von 0,8 Prozentpunkten nur auf den dritten Rang. Der Übergang zur Austeritätspolitik, die Krise der Euro-Zone und der weltweite Abschwung würgen die deutsche Wirtschaftsdynamik ab. Zum Jahresende 2011 gab es bereits den ersten deutlichen Dämpfer. Die Aussichten sind trübe.
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