Joachim Bischoff: Die Lage in Spanien und Portugal.
Nächste Kandidaten für die europäische Intensivstation?
Nach wie vor beherrscht die Schuldenkrise das politische und ökonomische Geschehen in Europa. Während die meisten Prognosen für Deutschland in diesem Jahr noch ein kleines Wachstum von gut einem halben Prozent voraussagen – nach 3,0% im vergangenen Jahr –, sieht es für Südeuropa düster aus.
Die harten Austeritätsprogramme drücken kurzfristig die Nachfrage. Für den Durchschnitt des Euroraums erwarten die Ökonomen der EU-Kommission eine »leichte Rezession« mit einem BIP-Rückgang um 0,3% in diesem Jahr.
Die EU-Kommission ist vor allem beunruhigt über das unerwartet hohe Haushaltsdefizit Spaniens. Das Land wird energisch zur Einhaltung der Zusagen zur Sanierung der öffentlichen Finanzen gedrängt. Die spanische Regierung soll zügig die Ursachen des aus dem Ruder gelaufenen Defizits im vergangenen Jahr aufklären.
Die Regierung in Madrid musste einräumen, dass die Neuverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2011 bei 8,51% lag und damit deutlich über der Zielvorgabe von 6% sowie den zunächst vorläufig errechneten 8,2%. Die Hauptschuld an diesem Verfehlen des angestrebten Defizits betrifft zu rund zwei Dritteln die autonomen Regionen des Landes. Brüssel fordert: Das Land müsse nun schnell handeln und zeigen, dass es seine Verpflichtungen erfüllen wolle. Ein Entgegenkommen der EU-Kommission steht zurzeit offenkundig nicht zur Debatte.
Spanien soll bis 2013 das gesamtstaatliche Defizit wieder unter 3% des BIP drücken, was angesichts der aktuellen Entwicklung und dem erwarteten Wirtschaftswachstum als weithin als unmöglich angesehen wird. In einem ersten Konsolidierungspaket hat Ministerpräsident Rajoy durch eine Kombination aus Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen 15 Mrd. Euro zur Defizitsenkung aufgebracht. Bliebe Brüssel hart, müsste Madrid noch einmal doppelt so viel Ausgaben streichen oder zum Beispiel durch eine Mehrwertsteuererhöhung ausgleichen.
Um das für dieses Jahr mit der EU vereinbarte Defizitziel von 4,4% des BIP noch erreichen zu können, müssten die öffentlichen Ausgaben um mehr als 40 Mrd. Euro gekürzt werden. Diese Zielvorgabe von 4,4% basierte auf der Annahme, dass sich zwar auch in Spanien die Konjunktur eintrüben würde, aber das Land doch mit einem Wachstum von 0,7% rechnen könne. Nach jüngsten Prognosen wird die spanische Wirtschaft in diesem Jahr zwischen 1% (EU) und 1,7% (IWF) schrumpfen.
Innerhalb des Euro-Raums prognostiziert die Kommission erhebliche Unterschiede in der Konjunkturentwicklung. Ins Minus rutschen wird die BIP-Entwicklung vor allem in den auf internationale Hilfe angewiesenen Peripherieländern Griechenland (-4,4%) und Portugal (-3,3%) sowie in den angeschlagenen Mittelmeerstaaten Italien (–1,3%) und Spanien (-1,0%).
Ein Schrumpfen der Wirtschaft wird auch für die Niederlande (-0,9%) erwartet. Für die beiden größten Euro-Staaten, Deutschland (+0,6%) und Frankreich (+0,4%), erwartet die EU-Behörde im laufenden Jahr noch ein leichtes Wachstum. Die schlechten Wachstumsaussichten für die südlichen Mitgliedsländer lassen die Sorge aufkommen, dass schon bald weitere Finanzhilfen für Spanien und Portugal nötig werden könnten.
Die portugiesische Regierung weist solche Spekulationen kategorisch zurück. Portugal musste wegen seiner hohen Verschuldung unter den Euro-Rettungsschirm EFSF schlüpfen. Der Finanzminister des Landes, Gaspar, tönt immer noch, Portugal benötige keine Aufstockung der Hilfen. »Wir werden nicht um mehr Zeit oder Geld bitten.« Aber auch hier sieht die weitere Entwicklung nicht gut aus.
Seit Mai 2011 steht Portugal unter der Aufsicht der »Troika« (EU, EZB und IMF), die ihm einen Notkredit von 78 Mrd. Euro gewährte und die Umsetzung eines harten Programms des Defizitabbaus und der Strukturreformen auferlegte. Im Jahr 2011 schrumpfte das Bruttoinlandprodukt (BIP) mit 1,5% zwar weniger als erwartet. Für 2012 veranschlagte die EU-Kommission aber einen Rückgang um 3,3%, wobei die Wachstumskurve im ersten Quartal ihren Tiefpunkt erreichen soll. Die Regierung hatte zuletzt ein Minus von 3% erwartet. Mit 14% erreichte die Arbeitslosenquote im letzten Quartal 2011 einen neuen Rekord.
»Die Troika hat uns bei ihrer jüngsten Überwachungsmission bescheinigt, dass wir uns mit unserem Reformprogramm und den Maßnahmen zur Eindämmung der Schulden auf einem guten Weg befinden«, erklärt Finanzminister Gaspar. Das Ergebnis der Überprüfung sei trotz ungünstigen Bedingungen positiv ausgefallen. Die Regierung und die EU wollen eine Verschärfung der Lage wie in Griechenland vermeiden, wo die gesetzten Sparziele nicht eingehalten wurden und ein zweites Rettungspaket nötig wurde. Der Auszahlung der vierten Hilfstranche in Höhe von 14,6 Mrd. Euro steht damit nichts mehr im Weg. Zuvor müssen allerdings noch die Staaten der Eurozone und des IMF zustimmen.
Portugal ist wie auch Griechenland strukturschwach. Die Verschuldung liegt mit 101,6% des BIP so hoch wie in Italien vor der Rezession, die private Verschuldung ist höher als im Nachbarland Spanien. Zudem leidet Portugal unter anhaltender Wachstumsschwäche. Verschärft wird sie durch die Lage am Rande Europas und die hohe Abhängigkeit vom ebenfalls krisengeschüttelten Spanien. Das schwache Bildungssystem gilt als Wachstumsbremse. Und ebenso wie in Griechenland drücken die von den Geldgebern erzwungenen Sparmaßnahmen die Wirtschaft in die Rezession. Staatsanleihen werden von allen drei großen Ratingagenturen als Ramsch bewertet.
Trotzdem sind die langfristigen Aussichten in Portugal deutlich günstiger als die Griechenlands. Die Regierung unter Premierminister Pedro Passos Coelho hat die Spar- und Reformvorgaben der Troika (EZB, IWF, EU) erfüllt und darüber hinausgehende Maßnahmen ergriffen. Starke Ausgaben- und Gehaltskürzungen in der öffentlichen Verwaltung, Steuererhöhungen, Einfrieren von Renten und die Verlängerung der Arbeitszeit wurden umgesetzt, zudem vier Feiertage gestrichen. »Nach unserer Auffassung ist die politische Konstellation in Lissabon sehr viel günstiger als in Athen«, schreibt Deutsche-Bank-Volkswirt Gilles Moec in einer Studie. »Portugal hat bisher die versprochenen fiskalischen Kürzungen umgesetzt.«
Der Widerstand gegen die Maßnahmen hält sich in Portugal in Grenzen. Es gibt massive Proteste, aber brennende Barrikaden gibt es in Lissabon nicht. Die Regierung hat mit Unternehmern und Gewerkschaften ein Abkommen über weitgreifende Arbeitsmarktreformen unterzeichnet. 85% der WählerInnen stimmten für Parteien, die grundsätzlich hinter den Reformen stehen. Ein Schuldenschnitt dürfte nach Einschätzung der Mehrheit der Ökonomen vermeidbar sein. Der Schuldenstand soll mit 118% des BIP 2013 seinen Höhepunkt erreichen. Das gilt nach Einschätzung des IWF als tragfähig. In Griechenland liegt der Schuldenstand bei 163%. Auch die Erfahrungen mit dem griechischen Schuldenerlass sprechen gegen eine Beteiligung privater Gläubiger.
Allerdings dürfte das bisherige Hilfspaket nicht ausreichen. Deutsche-Bank-Ökonom Moec: »Eine merkliche Rezession scheint unvermeidlich.« Die 78 Mrd. Euro aus dem Hilfsprogramm reichen bis September 2013. Eigentlich sollte Portugal schon im kommenden Jahr wieder an die Märkte zurückkehren. Während dies für Irland als realistisch gilt, dürfte das für Portugal kaum möglich sein. Die Rendite für zehnjährige irische Staatsanleihen liegt bei 6,7%, in Portugal bei 11,5%.
Die Wahrscheinlichkeit weiterer Finanzpakete bliebt also hoch. Der Internationale Währungsfond (IWF) fordert seit Wochen die Aufstockung des zukünftigen europäischen Schutzschirms ESM (»Europäische Stabilitätsmechanismus«). Nur unter dieser Voraussetzung will IWF-Chefin Christine Lagarde einen bedeutsamen Beitrag für das zweite Rettungspaket an Griechenland freigeben. Unklar ist, wie stark sich der IWF an dem zweiten Paket beteiligt. Im Gespräch sind 10%.
Zum ersten Paket hatte der Weltwährungsfonds noch ein Drittel beigesteuert. Auch der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, teilt Lagardes Meinung: Nicht verwendete Mittel aus der Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) sollten an den ESM gehen. Der soll am 1. Juli den EFSF ersetzen und als dauerhafte Einrichtung gegen die Schuldenkrise in der Euro-Zone dienen.
Angesichts der aktuellen Entwicklung wird die Debatte um weitere Finanzpakete und eine Erhöhung der Brandschutzmauern auch weiterhin die Politik beschäftigen. Da nichts dazu getan wird, um die Realwirtschaft vor allem der Krisenländern anzukurbeln, drohen durch die schwächelnde Weltwirtschaft wie auch die verordneten Sparprogramme weitere, nicht einkalkulierte Abschläge beim Wirtschaftswachstum und Staatseinnahmen. Gegen diesen verhängnisvollen Kreislauf hilft letztlich auch keine noch so große Brandschutzmauer.
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