Lucas Zeise (jW): Wirksame Fliehkräfte
Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
»Danke Deutschland!« Das war die knallige Überschrift des Handelsblatts. Gemeldet wurde die erfreuliche Tatsache, daß im ersten Quartal des Jahres in der EU doch keinen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegeben hatte, sondern eine glatte Null. Und wer hat den Kontinent vor einer Minuszahl bewahrt? Es war Deutschland, das ein überraschend starkes Wachstum von 0,5 Prozent des BIP auswies und damit den Rückgang in anderen EU-Ländern statistisch kompensierte. Da hat unsere Heimat Dank verdient, weshalb die Redaktion des Handelsblatts in der Online-Ausgabe des Dankeschöns noch eine europäische und zwei deutsche Fahnen flatternd zeigte. Daß Kapitalisten und Bürger im europäischen Ausland das auch so sehen wie die Handelsblatt-Redakteure, darf bezweifelt werden. Der überraschend große Zuwachs in Deutschland ist nämlich, wie das Statistische Bundesamt meint, vor allem im Außenhandel und da wiederum vor allem im Handel mit EU-Ländern entstanden. Man kann also annehmen, daß der muntere Absatz deutscher Unternehmen im EU-Ausland die positive Seite des Absatzrückgangs bei italienischen, spanischen und britischen Unternehmen gewesen ist. Die deutschen Unternehmen hätten damit der Konkurrenz in Europa weiter Marktanteile abgenommen. Statistisch kommt da eine Null raus. Sie zu bejubeln ist dumm, gehört aber mittlerweile zur geforderten Tonlage.
In Wirklichkeit ist die Null der Ausdruck dafür, daß sich die reale Lage verschärft. Die Fliehkräfte in der EU und in Euroland wirken unverändert. Das trifft auch für die Finanzwirtschaft zu. Die Rendite zehnjähriger spanischer Staatsanleihen stieg in der vergangenen Woche wieder über sechs Prozent. Zehnjährige deutsche Bundesanleihen erreichten mit 1,46 Prozent ein neues historisches Tief. Aus Griechenland meldeten die Nachrichtenagenturen, daß das Publikum beginne, Bargeld abzuheben. Die Kapitalflucht der Begüterten beschleunige sich. Die Europäische Zentralbank kündigte an, mit ungenügend Kapital ausgestatteten (griechischen) Banken keinen Kredit mehr zu gewähren. Sie sind damit auf Notkredite der griechischen Zentralbank angewiesen. Mario Draghi (EZB-Präsident), Wolfgang Schäuble (Bundesfinanzminister), Jean-Claude Juncker (luxemburgischer Ministerpräsident) und andere ließen die Griechen wissen, ein Austritt ihres Landes aus der Währungsunion stelle für die Eurozone kein großes Problem dar. Sie wollen damit den griechischen Wählern sagen, daß das Troika-Diktat nicht aufgeweicht wird und sie beim nächsten Wahltermin am 17. Juni gefälligst systemtreue Parteien zu wählen haben.
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