Einigung auf Fiskalpakt – ein politisches Schmierentheater
Von Wolfgang Lieb, Nachdenkseiten
Da hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Woche dem Parlament gegenüber der Regierung und deren Tendenz, politisch brisante Entscheidungen mittels Geheimdiplomatie über die europäische Ebene durchzusetzen, nachdrücklich den Rücken gestärkt, doch die Opposition denkt nicht daran ihre parlamentarische Macht einzusetzen. SPD und Grüne könnten angesichts der notwendigen Zweidrittelmehrheit im Bundestag zur Verabschiedung des Fiskalpakts wie kaum bei einer anderen Entscheidung in dieser Legislaturperiode politischen Druck ausüben, doch Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Cem Özdemir und Jürgen Trittin spielen bestenfalls parlamentarisches Schmierentheater. Da hauen SPD und Grüne ein paar Wochen lang auf die Pauke und wollen dem Publikum einpauken als hätten sie eine Alternative zur Regierung anzubieten, doch jedem einigermaßen Kundigen war von Anfang an klar, dass es nur viel Lärm um nichts war.
Es war doch von vorneherein klar, dass SPD und Grüne dem Fiskalpakt (und so nebenbei auch dem finanzträchtigen Rettungsschirm ESM) zustimmen würden, schließlich sind sie wie die CDU/CSU und die FDP für die sog. „Schuldenbremse“ und haben deren Verankerung im Grundgesetz 2009 zugestimmt. Die Partei- und Fraktionsspitzen von SPD und Grünen hätten also ihrem früheren Verhalten zuwiderhandeln müssen, wenn sie der von Merkel auf der europäischen Ebene nach deutschem Vorbild durchgesetzten „Schuldenbremse“ eine Absage erteilt hätten.
(Warum eine solche Absage wichtig und richtig gewesen wäre, haben wir auf den NachDenkSeiten vielfach begründet, u.a. „Was ist angesichts der hohen Schulden am Fiskalpakt so falsch?” )
Es hat bei SPD und Grünen noch nicht einmal Kritik daran gegeben, dass die „Schuldenbremse“ für ganz Europa viel strenger ist, als die Regelung im deutschen Grundgesetz. Der Zwang, die deutsche Staatsschuld auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken, greift früher als bei der sog. „Schuldenbremse“ und der Deutsche Bundestag wird völkerrechtlich gezwungen, über Jahre hinweg 25 Milliarden Euro „einzusparen“, ohne auf die wirtschaftliche Lage und ohne auf die sozialen Folgen Rücksicht nehmen zu können. Im Gegenteil, jede andere politische Entscheidung des Parlaments hätte ein europäisches Gerichtsverfahren mit massiven Bußgeldern zur Folge.
Keine dieser Oppositionsparteien hat ernsthaft moniert, dass der Fiskalpakt praktisch nicht mehr rückholbar ist, weil er keine Kündigungsmöglichkeit vorsieht. Selbst wenn wir in Deutschland die sog. Schuldenbremse im Grundgesetz – dank schlechter Erfahrungen oder besserer Einsicht – korrigieren wollten, wäre der deutsche Gesetzgeber an das EU-Recht und vor allem auch an die Sanktionen aus diesem europäischen Vertrag gebunden.
Diese Einschränkungen der Souveränität des Haushaltsgesetzgebers und dieser Eingriff in das Grundgesetz wird – nun einmal mehr – nur noch das Bundesverfassungsgericht verhindern können. Es hat den Bundespräsidenten auch schon gemahnt, dieses Gesetz nicht zu unterzeichnen, bevor das oberste Gericht diese zentralen Fragen nicht ausreichend prüfen konnte. Zum Glück gibt es im Bundestag noch eine Fraktion, wie die Linke und einige mutige Politiker wie die frühere Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin, die das Gericht in Karlsruhe anrufen werden.
Weil aber die Zustimmung zum Fiskalpakt durch SPD und Grüne gar nicht mehr in Frage stand, mussten deren Parteispitzen irgendetwas anbieten, um kritischen Stimmen innerhalb der eigenen Reihen als auch der jeweiligen Beschlusslagen der Parteien wenigstens ein Stück weit entgegen zu kommen. Da sowohl in der Bevölkerung als auch an der Basis der Parteien noch ein rudimentäres Bewusstsein vorhanden ist, dass die sog. Staatsschuldenkrise ursächlich etwas mit der Finanzkrise und dem Zockerverhalten der Banker zu tun hat und da jedermann weiß, dass die Finanzwirtschaft bisher für den riesigen Schaden, den sie weitgehend allein verursacht hat, überhaupt nicht zur Verantwortung herangezogen wurde, tat man so, als ob man die Zustimmung zum Fiskalpakt von einem Entgegenkommen der Bundesregierung bei der Finanztransaktionssteuer abhängig machen wollte.
Nun ist es so, dass sowohl Kanzlerin Merkel als auch Finanzminister Schäuble sich seit geraumer Zeit keineswegs mehr prinzipiell gegen eine solche Besteuerung von Finanztransaktionen gestemmt hätten. Anfänglich hatten sie allerdings noch gefordert, dass – wenn überhaupt – alle (also auch die Londoner City und die Wall Street) mitmachen müssten, danach war man bereit, auch auf europäischer Ebene darüber verhandeln. Man konnte sich seitens der Bundesregierung auch locker einer solchen Forderung anschließen, war man doch sicher, dass weder auf internationaler noch auf europäischer Ebene eine Verständigung zustande käme.
Steinmeier trat nach dem heutigen Einknicken gegenüber der Bundesregierung vor die Mikrofone und wollte als Erfolg vermelden, dass eine „Besteuerung der Finanzmärkte kommen“ werde – eine Transaktionssteuer nach dem Modell der Europäischen Kommission. Doch der raffinierte Wolfgang Schäuble war viel schneller und hatte dem SPD-Fraktionschef schon längst die Butter vom Brot genommen. Er hatte schon vor der gestrigen Sitzung signalisiert, dass er auf dem heutigen EU-Finanzministertreffen in Luxemburg vorschlagen werde, diese Steuer einzuführen, wenn mindestens neun EU-Länder mitziehen würden. Steinmeier gab sich mit der weichen Formulierung zufrieden, dass die Bundesregierung sich bereit erklärt habe „eine Besteuerung der Finanzmärkte möglichst bis Ende 2012 auf den Weg zu bringen“.
Und wenn dann die Bedingungen der FDP, nämlich dass der Finanzplatz Deutschland und dass die deutsche Versicherungswirtschaft keinen Schaden nehmen dürfen, nicht erfüllt werden, dann ist eben keine Finanztransaktionssteuer „möglich“. Begründungen dafür lassen sich dann schon finden.
So sehen also sozialdemokratische Erfolge aus: Die SPD stimmt dem Hauptanliegen der Regierung, nämlich dem Fiskalpakt zu, in der Hoffnung, dass die Bundesregierung neun andere Länder findet, mit denen sie dann einen wie auch immer gearteten Kompromiss über eine dann möglichst noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringende Besteuerung der Finanzmärkte finden kann. Das ist Politik nach der Art des Märchens „Hans im Glück“, man tauscht einen Goldklumpen, um letztlich einen Stein in der Hand zu haben und man ist glücklich darüber, wenn dieser Stein dann auch noch ins Wasser fällt.
Aber Halt, SPD und Grüne haben ja in ihrem heldenhaften oppositionellen Kampf der Bundesregierung noch ein Weiteres abgerungen, nämlich ein „Maßnahmenpaket für Wachstum und Beschäftigung“. Voller Stolz verkündet Cem Özdemir nach der Einigung mit der Bundesregierung einen „Kurswechsel der Koalition“ und er redete davon, dass sich Merkel „vom reinen Sparkurs verabschiedet“ habe.
Na großartig, sollen wir nun wohl meinen.
Von einen „Kurswechsel“ kann jedoch tatsächlich keine Rede sein. Selbst der „Wachstumsterminator“ (New Statesman) Merkel hat inzwischen die weltweite Kritik nicht mehr an sich abprallen lassen können, dass der von ihr verordnete europäische Austeritätskurs gegen die Wand fährt. Die Wachstumseinbrüche nicht nur in den südeuropäischen Staaten und die dramatisch ansteigende (Jugend-)Arbeitslosigkeit lassen sich schließlich nicht mehr länger beschönigen. Also hat unsere Kanzlerin die Rhetorik leicht verändert und redet neuerdings gleichfalls ständig von Wachstum – natürlich nie ohne gleichzeitig die Notwendigkeit der von ihr sogenannten Konsolidierung zu betonen.
Anders als etwa Francois Hollande oder Barack Obama und mit ihnen eine Mehrzahl nichtdeutscher Ökonomen sieht die Merkelsche Wachstumspolitik aber trotz der Rezession in vielen Ländern Europas und der weltweiten Wachstumsschwäche keine staatlichen Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft, also etwa Konjunkturprogramme vor, sondern die Kanzlerin will Wachstum durch „Strukturreformen“. Sie polemisiert gegen „Wachstum auf Pump“. Ganz nach dem neoliberalen Dogma entsteht nach den Vorstellungen der Kanzlerin Wachstum langfristig automatisch durch Lohnsenkungen, „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“, Sozialabbau und dem Rücknahme staatlicher Leistungen durch Privatisierung nach deutschem Vorbild. Die Volkswirtschaften müssen nach diesem Glauben also erst durch ein Tal der Tränen gehen, um dann in ein paar Jahrzehnten wieder wettbewerbsfähig zu werden und wachsen zu können. Das hat zwar noch nirgendwo geklappt, aber die neoliberale Glaubensgemeinschaft hält unbeirrt an ihrem Dogma fest, das da lautet: umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie unserer Theorie nicht entspricht.
Erst auf dem Gipfel in Mexiko am letzten Wochenende hat sich Merkel einmal mehr als Geisterfahrerin erwiesen, die obwohl mehr und mehr Staatenlenker gegen ihre Richtung fahren, unbeirrt der Meinung ist, dass sie auf der richtigen Spur ist.
Bevor die Opposition von einem „Kurswechsel“ der Regierung redet, sollte sie sich sicher sein, dass sie der Geisterfahrerin nicht nur hinterherfährt und sich allenfalls darüber freuen kann, dass nun, dadurch dass sie der Kanzlerin hinterher fahren, die Zahl die in die falsche Richtung fahren größer geworden ist.
Nimmt man das von der Opposition als Erfolg verbuchte „Maßnahmenpaket für Wachstum und Beschäftigung“ als Orientierungspunkt, so kann man bislang nur sagen, dass ziemlich alles unklar ist.
Eine der Maßnahmen soll sein, dass die Mittel aus dem schon vorhandenen EU-Strukturfonds besser als bisher eingesetzt werden sollen und das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank um 10 Milliarden aufgestockt werden soll, so dass die EIB pro Jahr 15 Milliarden mehr an Krediten etwa für Energie- und Breitbandnetze und Bahninfrastrukturen ausreichen könnte. Das ist weniger als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Der französische Parteifreund von Steinmeier und Gabriel, Francois Hollande, verlangt Investitionsmittel von mindestens 100 Milliarden.
Eine weitere dieser Maßnahmen sollen Gelder aus dem gleichfalls vorhanden Europäischen Sozialfonds zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sein. Wie viel Geld fließen könnte, liegt außerhalb der Reichweite der Bundesregierung und wie damit spanischen oder griechischen Jugendlichen, unter denen nahezu jeder Zweite ohne Arbeit ist, geholfen werden könnte, steht in den Sternen.
Soweit bisher bekannt ist, sollen als weitere Maßnahmen – gleichfalls aus dem Europäischen Sozialfonds – Unternehmen befristete Einstellungszuschüsse beantragen können um Jugendlichen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Welchen Effekt will man aber damit erzielen, wenn der Arbeitsmarkt in diesen Ländern ohnehin völlig darniederliegt?
Da man offenbar dieses Dilemma erkannt hat, soll zusätzlich die europaweite Arbeitsvermittlung (Eures) ausgeweitet werden. Dann können ja die portugiesischen, spanischen, italienischen oder griechischen arbeitslosen Jugendlichen zu uns nach Deutschland kommen und bei uns die Reservearmee der Arbeitskräfte vergrößern, damit wir hierzulande den aufkommenden Lohndruck ablassen können.
Nicht nur, dass dieses „Maßnahmenpaket für Wachstum und Beschäftigung“ maßlos dürftig, ja, was Förderung der europaweiten Mobilität angesichts vorhandener Integrationsprobleme mit Migranten anbetrifft, geradezu zynisch ist, wer darin auch nur eine Abmilderung der durch den Austeritätskurs verursachten Schäden erkennen will, der muss die Ursachen und das Ausmaß der europäischen Krise schlicht ignorieren. Da werden allenfalls Placebos verteilt.
Und mit solchen Placebos lassen sich die SPD und die Grünen ihre Zustimmung zu einem Systemwechsel weg von einem sozialstaatlichen Europa hin zu einem Kontinent in dem die Demokratie nur noch um das „Vertrauen der Märkte“ zu buhlen hat, abkaufen.
Sie haben für die Preisgabe ihres politischen Erbes weniger als ein Linsengericht bekommen.
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