Problemfall Steuerhinterziehung
Redaktion Sozialismus: NRW stellt Steuerabkommen mit der Schweiz in Frage
Ohne größere Fahndungsanstrengungen oder gar Einsatz von öffentlichen Mitteln sind in den letzten Tagen der Steuerfahndung Daten von 4.000 deutschen Kunden der Credit Suisse in der Schweiz in die Hände gefallen. Die weiteren Ermittlungen in Sachen Steuerhinterziehungen haben die politischen Behörden in Nordrhein-Westfalen ermutigt, das immer noch nicht ratifizierte Steuerabkommen mit der Schweiz im Bundesrat scheitern zu lassen.
Der SPD-Finanzminister Norbert Walter-Borjans unterstrich: »Die Ereignisse zeigen, dass eine entschlossene Steuerfahndung für unser Gemeinwesen unverzichtbar ist, solange es scheunentorgroße Schlupflöcher für Steuerhinterzieher gibt. Unsere Steuerfahnder müssen ungehindert ihrer Arbeit nachgehen können, nämlich kriminelle Hinterzieher aufzuspüren.«
Der Hinweis auf die Behinderung der Steuerfahnder bezieht sich auf eben dieses Abkommen, weil schon mit der Paraphierung eigentlich die bundesdeutschen Behörden keine Steuerdaten mehr ankaufen dürfen. Offenkundig hat die Steuerfahndung in Absprache mit dem Finanzministerium in Düsseldorf dieser Tage erneut eine Steuer-CD aus der Schweiz angekauft. Nach Insiderinformationen handelt es dabei um Kundendaten der Zürcher Dependance der Privatbank Coutts, einer Tochter der britischen Royal Bank of Scottland. Nach Presse-Informationen sollen darüber hinaus möglicherweise noch weitere Einkäufe folgen.
Diese Praxis der Steuerfahndung von Nordrhein-Westfalen torpediert das geplante Steuerabkommen. Mit dessen Unterzeichnung hatten sich Berlin und Bern im September 2011 verständigt, auf den Kauf gestohlener Daten zu verzichten. Das Abkommen sieht vor, dass in der Schweiz angelegtes Schwarzgeld legalisiert wird. Geplant ist dafür eine einmalige Nachversteuerung. Zudem sollen die Schweizer Institute bei deutschen Kunden künftig eine Abgeltungssteuer erheben. Im Gegenzug sollen die Kontobesitzer anonym bleiben und strafrechtlich nicht mehr belangt werden können.
Seitens der politischen Linken gibt es drei Einwände gegen dieses Abkommen:
- Der Verzicht auf den Ankauf von Daten ist eine Einschränkung der Steuerfahndung; darüber hinaus bleiben die Steuerhinterzieher anonym und können unbehelligt auch ihre Geldvermögen in andere Länder verlagern.
- Das Abkommen sieht eine pauschale Besteuerung deutscher Altvermögen bei Schweizer Banken von 21-41% vor – je nach Dauer und Höhe der Einlagen. Künftige Kapitalerträge deutscher Anleger in der Schweiz sollen so versteuert werden wie in der Bundesrepublik. Der Steuersatz von 41%, so schätzen versierte Steuerberater, ist ein Placebo. Das Gros der Anleger wird nur 21-35% auf das Vermögen berappen müssen, die allermeisten nur 21%.
- Die pauschale Vorab-Zahlung von knapp 2 Mrd. Euro durch Schweizer Banken an den bundesdeutschen Fiskus ist angesichts der vom Finanzministerium erwarteten Einnahme von ca. 10 Mrd. Euro völlig unverhältnismäßig.
SPD-regierte Länder hatten daher vor der Unterzeichnung avisiert, dass sie dem Steuerabkommen der Bundesrepublik mit der Schweiz die Zustimmung in der Länderkammer verweigern wollen. Mit dem Kauf der Steuer-CD erscheint es unwahrscheinlich, dass es wie geplant am 1. Januar 2013 in Kraft tritt.
Nach Schätzungen von Steuerfahndern der Bundesrepublik und der Deutschen Steuer-Gewerkschaft liegen alleine ca. 480 Milliarden Euro Gelder deutscher Anleger schwarz auf Konten der ausländischen Kreditinstitute. Vermutet wird, dass in der Schweiz mit ca. 170 Milliarden Euro der größte Anteil des hinterzogenen Vermögens deponiert ist.
Die massiven Hindernisse durch fragwürdige Steuerabkommen sind aber nur der geringste Teil des Problems. Nach Überzeugung der Steuer-Gewerkschaft könnten die Fahnder einen wesentlich größeren Beitrag für die Durchsetzung der Steuergerechtigkeit und der Gleichheit vor dem Gesetz leisten, wenn mehr Personal zur Verfügung stünde. Die derzeit eingesetzten Kräfte reichen bei weitem nicht, um das Arbeitsaufkommen zu bewältigen.
Die Steuerprüfung und Steuerfahndung ist überlastet. Die zuständigen Mitarbeiter müssen sich darauf beschränken, die wirklich großen Fälle zu bearbeiten. Der Rest bleibt liegen. »Bei der dünnen Personaldecke liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Steuersünder entdeckt wird, heute bei unter 10%«, machte ein Sprecher der Deutschen Steuer-Gewerkschaft bereits 2008 deutlich. Insgesamt entstehe dem Fiskus daher durch Steuervergehen jährlich ein Schaden von etwa 30 Milliarden Euro.
In dieses Bild passt die Bewertung des Bundesrechnungshof, der der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Steuerfragen ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. In einem Bericht, über den ie Financial Times Deutschland bereits im Januar dieses Jahres berichtete, heißt es, dass das Bundeszentralamt für Steuern von 2006 bis 2011 nur in drei Fällen die Initiative ergriffen habe, um eine Betriebsprüfung bei einem Unternehmen durchzuführen. Außerdem gibt es die von der Verwaltung geplante bundeseinheitliche Datei aller Großbetriebe bis zum heutigen Tag nicht. Auch eine geplante Datenbank für Steuerzahler mit Einkünften ab 500.000 Euro pro Jahr kam nicht zustande.
Als Beleg für die schlechte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern führte der Rechnungshof an, dass sich ein Bundesland heimlich über die Feststellungen des Bundeszentralamtes für Steuern hinwegsetzte. Die Bundesprüfer erfuhren nur durch Zufall davon und konnten so einen »Steuerschaden in Millionenhöhe« verhindern.
Die Betriebsprüfungen durch den Bund sind ein Beispiel für eine völlig ungenügende Umsetzung der Föderalismusreform. Bis zum Jahr 2006 waren die Prüfungen ausschließlich Sache der Länder, der Bund durfte lediglich mitwirken. Durch die Reform hat der Bund ein Initiativrecht, insbesondere für Fälle, die über Ländergrenzen hinweg reichen oder internationalen Bezug haben. Von diesem Recht macht der Bund aber in der Praxis fast keinen Gebrauch.
Auch hier ist die Personalausstattung ein Problembereich: Im März 2011 gab es dort 180 Bundesbetriebsprüfer, die 2010 bei immerhin 608 Prüfungen der Länder mitgewirkt hatten. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern krankt jedoch auch daran, dass wichtige Daten aus den Ländern beim Bund entweder gar nicht oder nur unvollständig ankommen.
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