Urlaub mit dem Chef
Von Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Erholung? Fehlanzeige! Wenn Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Familien und Freunden in den Urlaub fahren, ist oft der Chef mit dabei. Nach einer aktuellen Umfrage muss jede und jeder dritte Beschäftigte auch im Urlaub für den Chef erreichbar sein. 2011 traf dies nur auf jeden Vierten zu. Moderne Kommunikationstechnologien wie Handy, Smartphone, Notebook machen es möglich, dass viele Berufstätige in Deutschland auch außerhalb ihrer Arbeitszeit zu erreichen sind. Das betrifft eben nicht nur das Wochenende und den Feierabend, sondern auch die Erholungszeit im Urlaub.
Von Entspannung also keine Rede. Wenn nicht gegengesteuert wird, greift diese Entgrenzung der Arbeit immer mehr um sich. Auf der Strecke bleibt die Gesundheit. Das kann bis zum Burnout und der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit führen. Auch das Zusammenleben mit Familie und Freunden ist gefährdet.
Das Problem liegt nicht nur in der unmittelbaren Verfügbarkeit für den Chef. Fast jeder zweite Angestellte in Deutschland beschäftigt sich während des Urlaubs und der Freizeit mit seiner Arbeit. Als wichtigster Grund für die Urlaubsarbeit wird das Verantwortungsgefühl (35 Prozent) genannt, gefolgt von "spontan aufkommenden Projekten" (33 Porzent) und "weil einfach viel zu tun ist" (28 Prozent). In vielen Jobs hat der einzelne Beschäftigte mehr Verantwortung. Dem Zugewinn an mehr eigenständigem Arbeiten steht der Druck gegenüber, alle Aufgaben selbst erledigen zu müssen. Wird hier keine klare Grenze gezogen, wird der Zugewinn an Freiheit zur Selbstausbeutung.
Für DIE LINKE ist klar: Urlaub ist zum Erholen da - nicht zum Arbeiten. Die Politik kann die hohe Zahl der Urlaubsarbeiter nicht hinnehmen. Wir brauchen verbindliche Auflagen für die Arbeitgeber, um die Beschäftigten zu schützen. Es muss klar geregelt werden, wann tatsächlich Freizeit ist, in der Beschäftigte weder erreichbar sein noch auf Abruf bereit stehen dürfen. Das Einhalten dieser Regeln muss ausreichend kontrolliert, Verstöße wirksam sanktioniert werden.
Das Problem des Urlaubsarbeiters breitet sich in der Mitte der Gesellschaft aus. Nach Angaben von Gesundheitsexperten nutzen vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittlerem Einkommen im Urlaub beruflich die neuen Kommunikationsmöglichkeiten. Berufstätige dieser Einkommensspanne in den Unternehmenshierarchien sind stark weisungsgebunden und üben gleichzeitig Leitungsfunktionen aus. Überproportional betroffen sind auch Personen in sozialen Berufen oder Berufen, die in weltanschaulichen und politischen Kontexten ausgeübt werden.
Die Entgrenzung von Arbeit ist auch im Bundestag ein Thema. Moderne Techniken erlauben den Arbeitgebern einen neuen Zugriff auf die Arbeitskraft. Die Bundestags-Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" weist darauf hin, dass "digitale Arbeit mit steigendem Mobilitätsgrad tendenziell aus dem Anwendungsbereich vorhandener Schutzvorschriften" herausfällt. Es gebe einen dringlichen "Handlungsbedarf im Hinblick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz".
Bundesarbeitsministerin von der Leyen (CDU) lehnt aber ein Handeln der Politik ab. Sie will dies Arbeitgeber und Gewerkschaften regeln lassen - wohl wissend, dass es hier kaum Regelungen gibt und nur eine kleine Minderheit der Betriebe entsprechende Vereinbarungen über die Verfügbarkeit außerhalb der regulären Arbeitszeit abgeschlossen haben. So bleiben Millionen Beschäftigten im Zugriff der Unternehmen.
Dass etwas geschehen muss, zeigt ein Blick nach Europa. Hier ist das Problem der Urlaubsarbeiter noch viel stärker verbreitet. Der Anteil der Angestellten, die im Urlaub und der Freizeit arbeiten, liegt im EU-Durchschnitt bei 58 Prozent. In den Krisenländern Italien und Irland trifft dies bereits auf drei Viertel der Beschäftigten, in Spanien auf zwei Drittel der Beschäftigten zu. Hier spielt die Angst vor dem Jobverlust eine Rolle. In Deutschland hält sich aus Angst vor dem Jobverlust schon jeder Zehnte im Urlaub auf Abruf.