Falsche Krisenpolitik- Ein Aufsatz zur Euro-Krise

Von Hans Oette

24.07.2012

1. Widersprüchlichkeiten

Es fehlt nicht an Dramatik. Trotz großer Anstrengungen wurde die Euro-Krise bisher nicht gebändigt. Manche Fachleute befürchten eine verheerende Wirtschaftskrise. Demnächst stellen die deutschen Verfassungsrichter die Politik der Rettungsschirme und den von Brüssel zu kontrollierenden Fiskalpakt auf den Prüfstand. Die Bevölkerung in Europa fühlt sich teils im Stich gelassen und teils, besonders in Deutschland, zu Un­recht mit fremden Schulden belastet. Sowohl ein Ausscheiden südeuropäischer Länder aus dem Euro als auch deren Verbleib soll zwei- bis dreistellige Milliardensummen kos­ten. Ist hier eine Falle zugeschnappt? Wurden Mega-Gewinne erzielt, die nun Andere bezahlen müssen?

Kürzlich appellierte Bundespräsident Gauck an Kanzlerin Merkel, die Euro- Rettung sol­le der Bevölkerung besser erklärt werden. Es wird nicht verstanden, warum Deutsch­land für fremde Schulden einstehen soll, und warum unser Staat beim Fiskalpakt wich­tige Befugnisse aus der Hand geben soll. Bürokraten aus Brüssel, die nicht vom Volk gewählt wurden, würden dann die Haushaltspolitik kontrollieren. (Personen, die etwa bei der Aufnahme Griechenlands in die EU im Tiefschlaf gewesen sein müssen.)

Am 11.07. hinterfragte die ARD- Sendung Plusminus den weit verbreiteten Glauben, dass vor der Pleite stehende Banken vom Staat gerettet werden müssen. Ist dieser Glaube nur durch die Macht der Banken entstanden? Ein extremes Beispiel für ihre Macht bot Stefan Mappus, der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der sich beim Kauf der EnBW- Aktien von einem Bankmanager wie eine Marionette dirigie­ren ließ.

Wird etwa ein Tante-Emma- Laden in Griechenland gerettet, wenn er wegen der Spar­maßnahmen (unverschuldet) pleite geht? Es wird zwar gesagt, Banken würden wie Ozeanriesen beim Sinken Vieles in ihrer Umgebung mitreißen. Aber dann sollte der Staat besser die Unternehmen entschädigen, die durch die Pleite der Bank Geld zu ver­lieren drohen. Die Unternehmen lassen sich aus den Büchern der Bank leicht feststel­len.

Großbanken und Fonds wird erlaubt, mit Rohstoffen, Nahrungsmitteln und mit völlig un­durchsichtigen Finanzkonstrukten zu spekulieren. Sie dürfen Schattenbanken eröffnen, um darin Schrottpapiere zu verstecken, und mit Milliardeneinsätzen Aktienkurse hoch treiben, um damit hehre Gewinne zu machen, ohne einen wirklichen Wert geschaffen zu haben. Die Zeche bezahlen Menschen auf der ganzen Welt, z. B. durch erhöhte Ausgaben für Nahrungsmittel und Energie. Selbst die Finanztransaktionssteuer wurde bisher erfolgreich verhindert.

In den USA ließ man in letzter Zeit gut ein Dutzend Banken pleite gehen, auch so ge­nannte systemrelevante, und die Welt ging kein bisschen unter. Aber auch in den USA schreitet die Staatsverschuldung munter weiter. Fordert also der Fiskalpakt zu Recht, die Verschuldung der Staaten einzudämmen? Werden dadurch die Finanzmärkte beru­higt?

In einem dramatischen Appell haben allerdings vor kurzem über 700 Topökonomen die europäischen Regierungen vor der Sparpolitik gewarnt und sie zu einem Kurswechsel aufgefordert. Ihre Warnung: Europas Sparpolitik wiederhole derzeit die wirtschaftspoliti­schen Fehler, die zur Großen Depression der 30er-Jahre geführt hätten. "Derzeit domi­nieren wieder dieselben Ideen scharfer Konsolidierung der Staatsfinanzen ", heißt es in dem Aufruf.

Ist der Konflikt dadurch zu lösen, dass man nicht die Ausgaben der Staaten senkt, son­dern ihre Einnahmen erhöht? Doch auch dagegen wird eingewandt, Steuern würden der Wirtschaft schaden oder sie gar abwürgen. Doch wird dabei möglicherweise über­sehen, dass Steuern nicht gleich Steuern sind? Es ist ein Unterschied, ob kleine Leute und mittelständische Unternehmen besteuert werden, oder reiche Konzerne und Perso­nen, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrem vielen Geld.

2. Mehr Klarheit anhand eines Modells

In dieser unübersichtlichen Situation kann ein Modell für mehr Klarheit sorgen, das die Geldströme zwischen den Ländern zeigt, siehe folgendes Bild. Es ist gegenüber der Realität stark vereinfacht, was aber notwendig ist, um das Wesentliche sichtbar zu ma­chen.

Das Bild zeigt zunächst die internationalen Finanzmärkte. Hierzu sollen der Einfachheit halber alle Banken und anderen Geldhäuser gehören, die Geld oder Wertpapiere auf­bewahren und bewegen, seien sie in einer Kleinstadt oder auf einem Offshore- Finanz­platz auf den Bermudas.

Die Unruhe der Finanzmärkte besteht darin, dass sich dort niemand mehr findet, der den wirtschaftlich schwachen EU-Ländern noch Geld (Staatsanleihen) geben will, außer zu Zinssätzen, die diese Länder zugrunde richten würden. Zur Vereinfachung sind nur ein wirtschaftlich starkes Land (Deutschland) und ein wirtschaftlich schwaches Land (Spanien) dargestellt. Die hohe Verzinsung ergibt sich aus der Sorge, dass das wirt­schaftlich schwache Land die Anleihen nicht verzinsen und zurückzahlen kann.

Nun wird ein Rettungsschirm aufgespannt, das heißt, Deutschland garantiert (bis zu einem gewissen Höchstbetrag) die Rückzahlung der spanischen Schulden. Aber trotz Vergrößerung des Schirms (auf astronomische Summen) reagieren die Märkte weiter­hin nervös. Ohne frisches Geld ist aber der spanische Staat pleite. Denn er muss stän­dig aus früheren Anleihen Geld zurückzahlen.

Dazu kommt, dass jetzt auch spanische Banken von der Pleite bedroht sind. Also kom­men sie, wie jüngst beschlossen, ebenfalls (direkt) unter den Rettungsschirm. Das heißt, sie können sich weiteres Geld leihen, weil Deutschland ihre Schulden übernimmt, falls sie das Geld einschließlich Zinsen nicht zurückzahlen können. (Ursprünglich sollte der spanische Staat das Geld bekommen und es dann den Banken weiterleiten. Aber damit konnte sich die deutsche Bundeskanzlerin nicht durchsetzen.)

Jedes Land besteht, vereinfacht, aus den Verbrauchern, dem Produktionsapparat, dem Staat und Banken. Zwischen den Verbrauchern und dem Produktionsapparat haben wir den Geldkreislauf der Realwirtschaft. Wirtschaftlich stark ist ein Land, wenn es einen starken Produktionsapparat hat, wie insbesondere Deutschland. Damit kann es einen hohen Exportüberschuss erwirtschaften. Aus diesem ergibt sich der Geldstrom „Ein­nahmen aus Exportüberschuss“.

Genauer müsste man an diesen Pfeil „Zahlungsbilanz“ oder „Leistungsbilanz“ schrei­ben. Hierin sind noch solche Posten wie die Überweisungen ausländischer Arbeitneh­mer in ihre Heimat und Nettozahlungen an die EU berücksichtigt. Aber auch diese Bi-lanzen zeigen, verursacht durch unseren Exportüberschuss, insgesamt einen Geld­strom von weit über 100 Milliarden Euro jährlich vom Ausland nach Deutschland.

Als Folge davon hat Spanien, wie alle wirtschaftlich schwachen Länder, einen massiven Geldabfluss durch Importüberschuss.

Die Pfeile „Überschüsse“ deuten an, dass übriges Geld reicher Bürger jedes Landes auf die Finanzmärkte fließt. Die Überschüsse sind der Teil der Ersparnisse, die nicht inves­tiert (also z. B. zum Bau neuer Produktionsanlagen verwendet) werden. Aus diesenÜberschüssen (und aus der Geldvermehrung durch die Bankenwelt) entstanden die Bil­lionen, die sich auf den Finanzmärkten tummeln.

Überschüsse im obigen Sinn können auch bei Unternehmen entstehen. Aber man kann diese übrig behaltenen Geldmengen den reichen Eigentümern der Unternehmen zuord­nen.

Die Geldströme kann man auch, wie beim bargeldlosen Zahlungsverkehr, als Zunahme von Forderungen oder Schulden verstehen, was aber weniger anschaulich ist.

Nun ist es wie in einem privaten Haushalt: Geht reichlich Geld nach draußen, muss die­ser Abfluss irgendwie wieder ausgeglichen werden. Im vorliegenden Fall bleibt dem „Haushaltsvorstand“, dem Staat, nichts anderes übrig, als die Leckverluste durch Anlei­hen von den Finanzmärkten auszugleichen. Der Staat hat dadurch, dass er mehr Geld ausgab, als er einnahm (durch sein deficit spending) die Leckverluste ausgeglichen und die Wirtschaftskrise abgewendet. Das ist zwar vereinfacht, zeigt aber doch das Wesent­liche.

Der Staat kann Geld in die Wirtschaft einspeisen, z. B. durch Sozialausgaben und durch die Förderung alternativer Energieerzeugung. Beides bringt zusätzliche Nachfrage, also Absatz und Aufträge für die Unternehmen und schafft / erhält damit Arbeitsplätze. Denn längst ist nicht mehr das Angebot, sondern die Nachfrage der Engpass im Wirtschafts­ablauf, die den Umsatz bestimmt.

Als Beleg dafür, dass die Nachfrage den Umsatz bestimmt, mag die griechische Wirt­schaft dienen, die infolge der Sparpolitik in 3 Jahren um 20 Prozent geschrumpft ist. Einkaufsläden und andere Unternehmen gehen pleite, die Arbeitslosigkeit wächst. Fa­milien können ihre Mieten und die Raten für erworbene Eigenheime nicht mehr bezah­len und landen auf der Strasse.

Der deutsche Staat hat zwei Billionen Euro Schulden angehäuft. Damit ist klar, dassviele Jahre lang mehr Geld in Form von Überschüssen auf die Finanzmärkte geflossen ist, als durch Exportüberschuss herein kam.

Länder wir Spanien und Griechenland sind doppelt belastet: Es fließen die Überschüsse ab, und dazu noch die Ausgaben für den Importüberschuss. Es ist also kein Wunder, dass sich der spanische Staat, um seiner Wirtschaft zu helfen, besonders hoch ver­schulden musste.

Dasselbe taten die spanischen Banken, wenn auch aus andern Motiven. Sie finanzier­ten (was vorwiegend ihre Schieflage verursachte) eine Immobilienblase. Der Bau gan­zer Geisterstädte brachte immerhin spanischen Unternehmen Aufträge und spanischen Arbeitern Arbeitsplätze. Doch nun fehlen die Käufer für die Masse der Immobilien, und die Löcher in den Bilanzen der Banken müssen mit Geld aus dem Rettungsschirm auf­gefüllt werden. Auch die Unverkäuflichkeit der hier geschaffenen Immobilien geht auf das Konto „Mangel an Nachfrage“.

3. Was ist zu tun?

Unser Modell zeigt, dass die Mehrausgaben der Staaten derzeit notwendig sind, um die abfließenden Überschüsse reicher Bürger (denen ja auch die Unternehmen gehören) auszugleichen. Allerdings sollten die Mehrausgaben nicht durch Anleihen bei den Rei­chen (über die Finanzmärkte) finanziert werden. Richtig wäre es, was wiederum das Modell zeigt, diese Überschüsse durch Besteuerung abzuschöpfen und dann der Wirt­schaft wieder zuzuführen.

Damit würde die Krisengefahr gebannt, ohne dass sich die Staatsverschuldung ständig erhöht. Es müssten dazu hohe Einkommen sowie große Vermögen und Erbschaften höher als bisher besteuert werden. Damit ließe sich die Staatsverschuldung wahlweise langsamer erhöhen, auf dem gleichen Stand halten oder abbauen. Auch würde das Wirtschaftswachstum nicht mehr als Vorbeugung gegen die Krise benötigt. Denn esermöglicht ja, dass die im Bild dargestellten Überschüsse eine rentable Anlagemöglich­keit finden. Man könnte dann das Wachstum den Bedürfnissen der Menschen und den Erfordernissen des Umweltschutzes anpassen.

Selbst ein völliger Abbau der Staatsschulden durch Steuern wäre nicht unbillig, denn immerhin steht z. B. der deutschen Staatsverschuldung von zwei Billionen Euro ein Net­to-Vermögen von acht Billionen Euro gegenüber, das sich im wesentlichen in den Hän­den einer dünnen Oberschicht befindet, und das sich durch Vermögenseinkommen lau­fend vergrößert. Zusätzlich sind über die Staatsverschuldung alle Bürger an diese Oberschicht verschuldet. Ein Abbau der Schulden wäre eine Art Schuldenerlass. Schul­denerlässe gab es in früheren Kulturen schon, z. B. im jüdischen Staat durch die Sab­bat- Jahre.

Käme dagegen auch der deutsche Staat an die Obergrenze der Verschuldung, nicht zu­letzt durch die Verpflichtungen aus den Rettungsschirmen, würde die nächste Wirt­schaftskrise zur Superkrise. Denn dann hätte der Staat nicht mehr die Mittel für Ab­wrackprämien, Kurzarbeitergeld und um marode Banken bzw. deren Gläubiger zu ret­ten. In einer solchen Krise würde selbst der Wert von Riesenvermögen auf Werte nahe bei Null abstürzen. Regel: Baue einen Turm nie zu hoch, er könnte einstürzen.

Das Gebot, die Überschüsse durch Besteuerung abzuschöpfen, gilt natürlich für alle Länder. Empörung löste in letzter Zeit aus, dass Milliarden-Überschüsse von reichen Griechen ins Ausland transferiert wurden. Und dass das Angebot von griechischer Seite abgelehnt wurde, dass deutsch Steuerbeamte den griechischen Finanzämtern unter die Arme greifen.

Einer angemessenen Besteuerung des Reichtums und der hohen Einkommen und der großen Gewinne stellen sich leider noch viele Steuerschlupflöcher, verschwiegene Schweizer Banken, Steueroasen und Korruption in den Weg. Dazu gesellt sich der Steuersenkungswettbewerb unter den Staaten. Mit niedrigen Steuern und niedrigen Umweltstandards lassen sich große Unternehmen ins Land locken oder im Land halten. Auf diesem Gebiet ist dringendst mehr internationale Solidarität erforderlich.

Ein großes Hindernis für angemessen Besteuerung ist auch die verbreitete Vorstellung, der Staat müsse sparen, dürfe also die Gewinne nicht wegsteuern. Dann würden sie in­vestiert, und es würde mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze geben. Verkürzt heißt das „Sparen stärkt die Produktivkräfte“.

Doch wie schon ausgeführt, bestimmt heute die Nachfrage und nicht mehr das Angebot den Umsatz. Gewinne werden nicht investiert, wenn der Markt gesättigt ist, sondern fließen auf die Finanzmärkte. Die Sättigung belegen auch die vollen Regale in den Supermärkten. Sättigung bedeutet hier, die einen können, die andern wollen nicht mehr kaufen (weil sie schon genug haben). In einer „jungen“ Wirtschaft mit einem kleinen Produktionsapparat dagegen ist der Produktionsapparat der Engpass, der den Umsatz bestimmt.

Der zweite Eckpfeiler neben der Umwandlung der staatlichen Kreditaufnahme in Steuereinnahmen ist die Herstellung von Außenhandelsgleichgewicht. Wird dagegen verstoßen, haben Länder wie Deutschland, wie unser Bild zeigt, ständig einen jährli­chen Milliarden- Zustrom, andere Länder dagegen einen entsprechenden Aderlass. Vor der Einführung des Euro konnten schwache europäische Länder ihre Währung abwer­ten und so den Import drosseln und ihren Export steigern. Durch seinen Exportüber­schuss konnte Deutschland Triumphe feiern als Hort von wirtschaftlicher Prosperität, Stabilität und niedriger Arbeitslosigkeit. Ist aber Exportüberschuss nicht auch Export von Arbeitslosigkeit?

Gewiss werden neben Konsumgütern und Waffen auch Produktionsgüter wie z. B. wertvolle Maschinen exportiert. Aber damit wurden die Kräfteverhältnisse, sprich die Richtung der Geldströme, nicht verändert.

Das wirtschaftliche „Recht des Stärkeren“ darf nicht fortbestehen. Denn neben Arbeits­losigkeit exportiert der Stärkere auch Verschuldung. Und der Exportüberschuss destabi­lisiert andere Staaten. In anderen Kontinenten wurde auf diese Weise viel zu wirtschaft­lichem Niedergang, Aufständen, Chaos und der Entstehung von Diktaturen beigetragen. In der EU geht es etwas humaner ab: Über die Rettungsschirme ist Deutschland dabei, seinen Exportüberschuss nachträglich selbst zu bezahlen. Genauer gesagt, unserem Staat werden dafür zusätzliche Bürgschaften und Schulden aufgeladen.

Mit Recht wird daher gefordert, in Deutschland höhere Löhne zu bezahlen, den Unter­nehmen wieder mehr Sozialabgaben aufzubürden, die Leiharbeit und Hartz 4 abzu­schaffen und Steuerersenkungen für Unternehmen rückgängig zu machen. Das würde andere Länder konkurrenzfähiger gegenüber Deutschland machen. Die US-Ökonomen Clyde Prestowitz und John Prout schlugen gar vor kurzem vor, nicht Griechenland solle heraus aus dem Euro, sondern Deutschland. Das Problem liege nicht in relativ schwa­cher Wettbewerbsfähigkeit einiger Krisenländer, sondern in der deutschen Hyperwett­bewerbsfähigkeit.

Doch auch in Deutschland ist man, wie in vielen andern Ländern, häufig in Sorge darü­ber, von dem gegenwärtigen Wirtschaftswunder China auskonkurriert zu werden, und dass Produktion in Billiglohnländer verlagert wird. Obwohl es anzusterben ist, wird man es so bald nicht schaffen, durch faire Löhne und eine Verbesserung ihres Produktions­apparats (Hilfe zur Selbsthilfe) alle Länder gleich konkurrenzfähig zu machen.

Um den ruinösen Wettbewerb innerhalb der EU und erst recht auf dem Weltmarkt zu entschärfen, wird man daher um dirigistische Maßnahmen nicht herumkommen. Sie müssen sich an dem Ziel des Außenhandelsgleichgewichts für alle Länder orientieren. Die EU schützt sich bereits durch Einfuhrzölle auf verschiedenen Sektoren gegen un­erwünschte Konkurrenz von außen. Inwieweit diese Importhemmnisse den betroffenen Ländern gegenüber fair sind, sei dahingestellt. Importzölle sind aber ein Werkzeug, um den bedrohlichen Verwerfungen durch Ungleichgewichte im Außenhandel entgegenzu­treten. Sie helfen den Schwachen, während die Starken sie entrüstet als Verstoß gegen heilige Regeln der Marktwirtschaft zurückweisen.

Ein Rückgang des Exports kann in Deutschland das Gespenst der Arbeitslosigkeit wie­der stärker auf den Plan rufen. Aber keine Angst. Wir müssen uns dann nur entschei­den, ob wir unseren Lebensstandard dadurch verbessern, dass wir die nicht mehr ex-portierten Güter selbst verbrauchen (also den Sozialabbau rückgängig machen, uns mehr Kitas, mehr Eigenheime und mehr Infrastruktur leisten), oder die Arbeitszeit ver­kürzen, was auch eine Verbesserung des Lebensstandards bedeutet.

Hat sIch die Politik in Europa auf diesem Weg aus der Krisenhektik befreit und sIch auch wieder einen finanziellen Handlungsspielraum geschaffen, kann sie sich besser als bisher solchen Aufgaben zuwenden wie der Energiewende, der Eindämmung der Klimaerwärmung und dem Hunger in weiten Teilen der Welt.

Schon vor Jahren stellten Experten der Weltbank in einer Studie fest, dass sich Armut und soziale Ausgrenzung zunehmend als Hemmschuhe für die Wirtschaftsentwicklung in armen Ländern erweisen. Spürbares Wachstum wird kaum zu erreichen sein, wenn die Lage der Armen nicht erleichtert wird, heißt es dort. Da man durch Exporte in diese Länder gut verdient hat, wäre also eine Gegenleistung nicht unangebracht. Manche Länder stimmen aus finanzieller Not ihrer Ausplünderung zu, z. B. der Rodung von Ur­wäldern. Den Regierungen dieser Länder müsste finanziell geholfen werden, mit ent­sprechenden Auflagen. Denkbar ist auch, den verarmten Menschen dort ein Stück Land von den Großgrundbesitzern abzukaufen. Man könnte auch den Armen ein kleines be­dingungsloses Grundeinkommen finanzieren, bis die dadurch entstehende Nachfrage die Wirtschaft in diesen Ländern auf die Beine gebracht hat.

Korrupte Eliten und Diktaturen, die in vielen Ländern einem Fortschritt im Weg stehen, sollten nicht mehr als nützliche Handelspartner, sondern mit allen Mitteln unter Druck gesetzt werden.

Spanien, Griechenland und Italien erhalten von Ratingagenturen Bewertungen auf Ramschniveau. Die Arbeitslosigkeit liegt in Spanien und Griechenland nahe bei 25 Pro­zent. Für Spanien musste das ursprünglich prognostizierte Wachstum für 2012 von einem Prozent auf minus zwei Prozent korrigiert werden. Durch die Sparmaßnahmen wird ein weiterer Abbau von 30 000 Stellen (besonders im Bergbau) erwartet. Der Staat gibt in diesen Ländern zwar weniger Geld aus. Aber zugleich werden bei diesem Sze­nario seine Steuereinnahmen in den Keller gehen, sodass die Beurteilung der Rating­agenturen korrekt ist.

Offenbar kann man die Märkte nicht damit beruhigen, dass man bei den kleinen Leuten spart, die ihr Geld wieder ausgeben und mit ihrer Nachfrage die Wirtschaft stützen. Ge­spart werden sollte bei der Rettung von Banken, denn bei ihrer Pleite wird in erster Linie Reichtum reduziert. Und vor allem sollte die Einnahmeseite der Staaten verbessert werden, indem man die Überschüsse der Reichen abschöpft, die sie weder für den Konsum noch (mangels rentabler Anlagemöglichkeiten) für Investitionen ausgeben.

Man bekämpft die Krise mit den falschen Rezepten. Dadurch findet ein Raubbau an Ressourcen statt: An unseren natürlichen Lebensgrundlagen, an der Verschuldbarkeit der Staaten und an dem Vertrauen in die Politik. Der gegenwärtige Demokratie- und Sozialabbau lindert zwar vorübergehend die Symptome der Krise, verstärkt aber zu­gleich ihre tieferen Unsachen. Die Warnung der 700 Topökonomen vor einer Abwärts­spirale ist also bitter ernst zu nehmen.