Das Finanzwesen ist immer systemrelevant

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE.

14.07.2012 / linksfraktion.de, 12. Juli 2012, DIE FRAKTION IN DEN MEDIEN

Beitrag in der Reihe: Was ist systemrelevant? (www.linksfraktion.de)

In der letzten Woche hat Sahra Wagenknecht an dieser Stelle anschaulich dargestellt, dass es für den Alltag der Menschen viel wichtiger ist, dass Busse und Bahnen fahren und Arztpraxen und Krankenhäuser geöffnet sind, als dass die Investmentbanker und Finanzjongleure ihrer Arbeit nachgehen. Das ist vollkommen richtig. Das Perverse am derzeitigen Finanzsystem ist aber nicht in erster Linie, dass das Tun der Investmentbanker den meisten Menschen und der Gesellschaft nichts nützt und sie trotzdem horrende Gehälter beziehen. Das ist schlimm genug und inakzeptabel. Noch schlimmer ist aber, dass diese Investmentbanker, sobald sie Fehler machen beziehungsweise sich verzocken, riesige Schäden für die gesamte Gesellschaft verursachen.

Wir leisten uns heute ein Finanzsystem, das unnötigerweise extrem verwundbar ist. Nur um einigen wenigen unermessliche Gewinnmöglichkeiten zu eröffnen, sitzen wir als Gesellschaft auf einem Finanzpulverfass. Die Sprengkraft dieses Pulverfasses ist sehr hoch, und ich halte wenig von der These, der Staat solle nicht ständig irgendwelche Banken wegen ihrer vermeintlichen Systemrelevanz retten. Die großen Banken haben tatsächlich das Potential, beim Zusammenbruch der Funke zu sein, der das Pulver entzündet. Wenn eine große Bank zusammenbricht, sich die Menschen aus Angst um ihre Ersparnisse in Schlangen vor dieser und anderen Banken sammeln, sie dann aus Angst vor dem Wertverlust des Geldes die Geschäfte leerkaufen, Vorräte hamstern, das Zahlungssystem zusammenbricht und keine Löhne und Gehälter mehr gezahlt werden können, dann ist dies eine schwerwiegende Bedrohung des sozialen und physischen Friedens in der Gesellschaft.

Solange wir also auf dem Pulverfass sitzen, bin ich extrem dagegen, die Entzündlichkeit des Pulvers herunterzuspielen oder sie sogar probeweise mal auszutesten. "Wer glaubt, dies führe über eine heilsame Marktbereinigung zu einer reibungslosen Rückkehr zu einer blühenden Wirtschaft, sitzt einem Grundirrtum des Ordoliberalismus", so formulieren es mehrere Genossinnen und Genossen aus NRW in einer Reaktion auf den Aufruf von Hans-Werner Sinn1).

Der Fehler liegt nicht darin, auf dem Pulverfass den Funken zu vermeiden. Der Fehler liegt vielmehr darin, sich überhaupt in die Nähe oder gar auf das Pulverfass begeben zu haben. Eine linke Bankenpolitik steht daher vor der Aufgabe, zügig und zugleich vorsichtig vom Finanzpulverfass herunterzusteigen, sich schnell zu entfernen und dann aus sicherer Entfernung die Pulverfässer zu entschärfen beziehungsweise kontrolliert zur Explosion zu bringen.

Dabei ist aber auch klar, dass strengere Auflagen, ein besseres Bankmanagement oder auch eine Verstaatlichung in der Zukunft die geschäftspolitischen Fehler und Pulverfässer der Vergangenheit nicht einfach beseitigen können. In Deutschland bekommen wir dies mit dem Fiasko der (verstaatlichten) HRE und ihrer Bad Bank (FMS Wertmanagement) durch Milliardenverluste vor Augen geführt.

Wir dürfen in Zukunft nicht mehr zulassen, dass einzelne Banken, Versicherungen oder Schattenbanken das Potential haben, das Finanzsystem und in der Folge die gesamte Gesellschaft zu gefährden. Leider sind wir davon heute weit entfernt.

Wir dürfen aber nicht den falschen Schluss ziehen, das Finanzwesen sei grundsätzlich eine Bedrohung für das gesellschaftliche System. Es macht Sinn und ist wünschenswert, dass es Geld und Kredit gibt, dass wir Ersparnisse bilden können und dass es für private und öffentliche Investitionen Finanzierungen gibt. Von daher ist eine Gewährleistung - und notfalls Stützung und Rettung - eines Finanzsystem durch den Staat richtig. Wir müssen aber die Risiken drastisch herunterfahren, die das Finanzsystem grundlegend bedrohen. Die Banken müssen per Gesetz in ihrer Tätigkeit eng auf die ZEF-Funktionen begrenzt werden. ZEF steht für den Zahlungsverkehr - Gewährleistung von Zahlungsströmen über Bankkonten, die Bereitstellung von Bargeld etc. -, die Ersparnisbildung - einfache und sichere Instrumente zum privaten Sparen - und die Finanzierung öffentlicher und privater Investitionen. Die Banken, die sich schon in der Vergangenheit nach seriösen Maßstäben an dieses Geschäftsmodell gehalten haben, sind weitgehend unbeschadet durch die Krise gekommen. Sie haben die Steuerzahlerinnen und -zahler keinen Cent gekostet und waren zugleich das Rückgrat der Kreditversorgung kleiner und mittelständischer Unternehmen in der Krise. Wir kennen sie alle: Es sind die kleinen Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen vor Ort.

Jede moderne Gesellschaft braucht ein Finanzwesen und jedes noch so gut angelegte Finanzwesen kann systemisch gefährdet werden. Wenn in einer Region wegen einer Naturkatastrophe oder wegen des Niedergangs eines Wirtschaftszweigs die Schuldner reihenweise ausfallen und die Volksbanken und Sparkassen in Schieflage geraten, dann ist es völlig richtig und notwendig, dieses Finanzsystem zu stützen. Es ist gut, das in so einem Fall im Rahmen der schon heute bestehenden so genannten Institutssicherung erst einmal die Sparkassen und Volksbanken anderer Regionen ihren Brüdern und Schwestern zur Hilfe eilen. In letzter Instanz ist aber klar: Für die Gesellschaft ist es immer die teurere Option, ihr Finanzsystem zusammenbrechen zu lassen. Wichtig ist, dass im Zuge einer Rettung keine privaten Gewinne zur Seite geschafft werden und dass die Nutznießer des Finanzsystems entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit an den Kosten der Rettung beteiligt werden. Es ist daher besser, die Bankeinlagen aller zu garantieren und sie als Gläubiger zu schonen, um die Kosten dieser Garantie dann in einem gerechten Steuersystem zielgenau denselben Superreichen als Steuern oder einer zusätzlichen Vermögensabgabe aufzubrummen. Wenn wir generell die Gläubiger heranziehen, dann treffen wir auch Omas Sparbuch, die Altersrücklage der selbständigen Hebamme oder die Gewinnrücklagen klein- und mittelständiger Unternehmen für künftige Investitionen.

Die Stabilisierung des heutigen deregulierten Finanzsystems ist extrem teuer. Wir haben aber gleichzeitig sehr großen privaten Reichtum in viel zu wenigen Händen, der zur Kostenübernahme herangezogen werden muss. Ein ZEF-Finanzsystem der Zukunft kommt viel seltener, vielleicht nie, in eine systemische Krise. Wenn doch, dann sind die Kosten viel niedriger und können von einer hoffentlich egalitäreren Gesellschaft viel leichter geschultert werden. So oder so: Das Finanzwesen ist systemrelevant und muss stabilisiert werden.


1) Astrid Kraus, Wolfgang Lindweiler, Alex Recht, Bernhard Sander und Alban Werner, Zum Protestbrief von 172 deutschsprachigen Ökonomen