Axel Troost: Griechenland - die Therapie wirkt: der Patient stirbt
Bei ihrem Staatsbesuch in Griechenland verteidigte Bundeskanzlerin Merkel den harten Sparkurs. In den letzten beiden Jahren sei viel geschafft worden, auch wenn noch etliches zu tun bleibe. Zum Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone waren freilich nur unbestimmte Allgemeinheiten zu hören. Persönlich wünscht sich die Kanzlerin, dass Griechenland in der Euro-Zone verbleibe. Über die Auszahlung der nächsten Tranche, die für Griechenland der nächste wichtige Schritt ist, könne sie nichts vorwegnehmen, denn der Bericht der Troika stehe noch aus. Die Bewältigung der Krise werde nicht über Nacht mit einem Paukenschlag gelingen und auch mit der Auszahlung einer weiteren Hilfstranche sei der Prozess nicht abgeschlossen.
Nüchtern betrachtet gilt es festzuhalten: der aufgezwungene Sparkurs - für den eben gerade auch die schwarz-gelbe Koalition steht - hat nicht das gebracht, was er eigentlich hätte bringen sollen, nämlich durch eine massive Reduktion des Haushaltsdefizits und einen Schuldenschnitt die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu schaffen. Alle Beteiligten müssen konstatieren, dass die Szenarien der Troika-Kommission grandios gescheitert sind. Angesichts der desolaten makroökonomischen Verfassung Griechenlands ist nicht absehbar, wie in naher Zukunft eine Rückkehr auf einen Pfad soliden Wachstums – eine Voraussetzung für einen nachhaltigen Schuldenabbau – gelingen kann. Zwar hat sich die Wettbewerbsfähigkeit von Griechenland verbessert, gleichwohl ist man aber weit von jener „kritischen Masse an Strukturreformen“ entfernt, die für eine Wiederbelebung des Wachstums nötig wäre.
Das Land befindet sich im fünften Jahr der Rezession, und die jüngsten Statistiken lassen keine Trendwende erkennen. Im Gegenteil: auch für das laufende und das kommende Jahr rechnet die Troika mit einer Kontraktion, so dass die Wirtschaftsleistung kumulativ um mehr als ein Viertel geschrumpft wurde. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung bedeutet weniger Steuereinnahmen. Dies bedeutet im neoliberalen Konzept eine neue Sparrunde - ein Anziehen der Steuerschraube oder weitere Ausgabenkürzungen. Längst sind die Grenzen dessen, was die griechische Gesellschaft ertragen kann, überschritten. Zu Recht warnt nicht nur der Ministerpräsident Samaras dieser Tage
vor einem Zerfall der Gesellschaft Griechenland, aber auch die herrschende Politik in der Euro-Zone stecken tief in einer politischen Sackgasse. Das auferlegte enge Korsett der Sparmaßnahmen hat eben keine Trendwende gebracht und wird entgegen dem gesunden Menschenverstand fortgeführt werden; bei einem weiter so, ist ein Staatsbankrott unausweichlich. Die Risiken einer solchen Insolvenz sind so unkalkulierbar wie die Folgen eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone.
Griechenland wird selbst nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IMF) sein Ziel der Schuldenreduzierung bis 2017 nicht erreichen. Die griechische Gesamtverschuldung werde in fünf Jahren über 150% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen.
Im Zusammenhang mit den Finanzhilfen für Griechenland ist eine Verschuldung von 137% des BIP geplant. Dieses Ziel hatte Griechenland mit dem IMF und der Europäischen Union (EU) vereinbart, und zwar als Basis des 130-Mrd.-¤-Rettungspakets. Nach diesem Programm soll Griechenland ab 2014 einen Haushaltsüberschuss von 4,5% des BIP erwirtschaften, um die Gesamtverschuldung bis 2020 auf 120 Prozent des BIP zu reduzieren. Laut dem aktuellen IMF-Bericht ist ein Haushaltsüberschuss nunmehr frühestens 2016 zu erwarten.
Dass die neoliberalen politischen Eliten ein Scheitern ihres politisch-ökonomischen Sanierungskurses einräumen, ist unwahrscheinlich. Schon das laufende Programm, das erst im März 2012 beschlossen worden war, sah vor, dass das Land acht Jahre unter einer Austeritätspolitik bleibt und dann bei einem Schuldenstand von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ankommt. Selbst das ist eine Schuldenquote, die sehr hoch und für Griechenland möglicherweise nicht tragbar ist. Früher oder später könnte es dann ohne einen weiteren Schuldenschnitt nicht gehen.
Was Griechenland außerdem braucht ist eine Art Marshall-Plan. Die Abwärtsspirale der Wertschöpfung in diesem Land muss zügig gestoppt und neues Wachstum ermöglicht werden. Griechenland fehlen hochwertige, international wettbewerbsfähige Beschäftigungsstrukturen. In der Industrie mangelt es an Arbeitsplätzen mit hohen Anforderungen an das Humankapital, ebenso wie im Dienstleistungsbereich, wo eine Konzentration auf Handel und Tourismus stattfand. Griechenland soll nach IWF-Einschätzungen durch einen rapide steigenden Dienstleistungsüberschuss, vornehmlich von der Expansion des Tourismus getragen, sowie durch einen leichten Handelsbilanzüberschuss seine Leistungsbilanz aus der Schieflage führen. Damit wird ein neues exportgeleitetes Wachstumsmodell unterstellt, das aber erst das Ergebnis umfangreicher Strukturreformen sein kann. Die Anlageinvestitionen in Griechenland sind in der letzten Zeit drastisch gesunken, insofern müssen neue Investitionen durch neue Finanzpakete und internationale Kredite ermöglicht werden.
Das nachhaltige Wachstum kann nicht erneut aus einem expandierenden staatlichen und privaten Konsum oder einer neuen Welle von Immobilienspekulationen resultieren, da billige Kredite nicht mehr zu haben sind. Das neue Wachstum kann nur aus einer umfassenden Stärkung des Binnenmarktes entwickelt werden, in dessen Zentrum zunächst sicherlich auch öffentliche Investitionen stehen müssen.
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