Mutter aller Streiks
Von Helena Smith, Übersetzung Holger Hutt
Griechenland Die Regierung lässt den Gürtel noch einmal enger schnallen, "zum allerletzten Mal", wie Premier Samaras beteuert, dem die Betroffenen mit einem Generalstreik antworten
Es hat den Anschein, als beruhige sich der internationale Finanzmarkt vorübergehend. Von der Europäischen Zentralbank (EZB) offerierte Sicherheiten wie die Option, gegebenenfalls Staatsanleihen aufzukaufen, die sich nur noch schwer refinanzieren lassen, zeigen Wirkung. Doch unter dieser Oberfläche driften die Euro-Staaten auseinander wie nie seit Bestehen der Währungsunion. Was sich in ihrer Haushaltspolitik abspielt, über Konjunktur oder Rezession entscheidet und sie Wettbewerbsfähigkeit kostet oder nicht, könnte unterschiedlicher, teilweise gegensätzlicher nicht sein. Das alles droht Europa bis zum Bersten auseinander zu treiben. In Griechenland gibt es heute und morgen einen Generalstreik. Gleiches ist für den 14. November zum Aktionstag der europäischen Gewerkschaften in Spanien und Portugal angekündigt. Es muss kein Prophet sein, wer darauf wartet, dass Regierungen dadurch nicht gefestigt, sondern eher ins Wanken geraten.
Besonders die zerbrechliche Regierungskoalition von Premier Antonis Samaras in Athen, die ein neues Sparpaket verabschieden will, um die Bedingung für weitere Hilfszahlungen zu erfüllen, die das Land vor dem Bankrott und im Euro halten sollen. Mit Kürzungen von über fünf Prozent des BIP ist das 13,5 Milliarden Euro schwere Paket stark umstritten und der Anlass für den ausgerufenen Generalstreik.
Alles für die nächste InjektionWie gefährdet die Regierung durch ihre Gefolgschaft gegenüber der Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF ist, kann der Tatsache entnommen werden, dass der Juniorpartner dieser Allianz der Konkursverwalter, die kleine Demokratische Linke (DL), angekündigt hat, nicht für das neue Sparpaket zu stimmen. Damit ist unter anderem vorgesehen, das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben, Löhne und Pensionen noch einmal zu kürzen sowie den Arbeitsmarkt radikal umzupflügen – das alles, um im Gegenzug eine Finanzspritze von 31,5 Milliarden zu erhalten und damit die todkranke griechische Ökonomie am Leben zu erhalten.
Angesichts der schlimmsten Rezession, die das Land seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt, und Rekordwerten bei Armut und Arbeitslosigkeit, argumentiert die Demokratische Linke, weitere Kürzungen bei Löhnen und Zusatzleistungen würden die Arbeiterschaft zugrunde richten, die ohnehin schon die Hauptlast der Krise zu tragen habe. Dimitris Hadzisokratis, Wirtschaftsexperte der DL, weist freilich Gerüchte zurück, seine Partei könnte die Koalition verlassen. Er gehe davon aus, der Protest der Bevölkerung werde geringer ausfallen als behauptet, da die Leute schließlich einsehen würden, dass es keine Alternative gebe.
Bankrott und Euro-AustrittIn der Tat, so sieht es auch Premier Antonis Samaras, der den Abgeordneten seiner Nea Dimokratia (ND) eintrichtert: Entweder die Maßnahmen werden im Parlament verabschiedet oder es winken Bankrott und Euro-Austrit. „Das Problem besteht nicht darin, ob die eine oder andere Maßnahme ergriffen wird, sondern darin, was passiert, wenn die Maßnahmen nicht beschlossen werden und der Kreditvertrag nicht weiter läuft. Samaras musste einräumen, dass der durchschnittliche Lohnabhängige in den vergangenen zwei Jahren bereits 35 Prozent seines Einkommens verloren hat. „Wenn wir jetzt gezwungen wären, den Euro zu verlassen, müssten wir innerhalb weniger Wochen Verluste hinnehmen, die mindestens doppelt so hoch wären. Unser Lebensstandard würde um ungefähr 80 Prozent sinken“, so der Regierungschef. Die jetzigen Kürzungen seien die „allerletzten“, die er der Nation auferlegen werde. Was Samaras ausblendet: Diese Nation rückt immer näher an den Punkt, an dem sie zerbricht.
Auch in der ehemals einflussreichen Pasok, die ebenfalls an der Koalition beteiligt ist, weigern sich sieben Abgeordnete, die Maßnahmen zu unterstützen. Auch sie halten es für kontraproduktiv, den Gürtel noch enger zu schnallen, wenn die griechischen Schulden alles andere als gezähmt sind, sondern im Jahr 2014 den Rekordwert von 192 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen werden, obwohl die privaten Kreditgeber im März einer Abschreibung von Staatsanleihen zugestimmt haben. „Jeder weiß, dass unsere Schulden völlig unhaltbar sind. Das lässt es noch sinnloser erscheinen, für diese Maßnahmen zu stimmen“, meint ein Pasok-Abgeordneter.
Die Stimmung in der Partei deutet darauf hin, dass die Regierung das Gesetzespaket nur mit einer dünnen Mehrheit verabschieden kann. Dies wird die chaotische Lage zuspitzen, da die Handlungsfähigkeit der Koalition immer stärker infrage gestellt wird. Es winken wieder einmal Neuwahlen.
Lesen Sie dazu auch Katja Kippings und Bernd Riexingers Presseerklärung auf die-linke.de
Ähnliche Artikel
- 25.10.2011
GREGOR GYSI: 90 Prozent unserer Zeit darauf verwenden, Politik zu machen
- 05.11.2012
- 26.04.2012
- 04.11.2012
- 03.11.2012