Zehn Fehler in der Eurokrise im Jahr 2012
Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Auch 2012 wurde die Eurokrise nicht gelöst, es gibt Probleme zuhauf. Wie rote Fäden ziehen sich verschiedene Fehler durch die Maßnahmen und Etappen der Krise. Hier eine Übersicht.
(1) Bundesregierung auch 2012 weiter als Schulden-Domina
Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Für die Bundesregierung sind Staatsschulden das vorrangige Übel, dass es zu bekämpfen gilt. Doch die Krise ist viel mehr als eine Staatsschuldenkrise. Für seine Haushaltspolitik hat Griechenland zwar tatsächlich nicht den alternativen Nobelpreis verdient. In Irland und Spanien waren aber Finanz- und Immobilienblasen das Kernproblem. Auch das Standort- und Steuerdumping ist eine wichtige Krisenursache, weil es zu Verwerfungen und fehlenden Steuereinnahmen führt. Dennoch gebärdete sich die Bundesregierung auch 2012 weiter als Schulden-Domina und setzte ihre einseitige Sicht in vielerlei Verhandlungen durch. Ob bei Fiskalvertrag, ESM oder neue Regeln zur haushaltspolitischen Überwachung - die Bundesregierung war immer die treibende Kraft, um Ausgabenkürzungen und Defizitabbau vorzuschreiben.
(2) Sparpolitik: auch 2012 ohne Rücksicht auf soziale Rechte
Ähnlich wie die Bundesregierung setzte die Troika auch 2012 weiter auf Sparpolitik mit der Brechstange: Krisenstaaten haben ihre Haushalte zu konsolidieren und damit das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Weil die Troika ihre Finanzhilfen stoppen kann, wenn nicht zu ihrer Zufriedenheit „reformiert“ wird, wurden so die massiven Kürzungen bei Löhnen, Renten, Sozialleistungen und öffentlichen Dienstleistungen auch 2012 durchgesetzt. Soziale Rechte kommen unter die Räder.
(3) Sparpolitik: auch 2012 ökonomisch fatal
Die Sparpolitik ist aber auch ökonomisch falsch. Die Troika legitimiert sie durch rosige Prognosen. Tatsächlich brach die Wirtschaft bislang immer deutlich stärker ein, als die Troika selbst in den pessimistischsten Szenarien vorhergesagt hatte: die Sparprogramme würgen die Wirtschaft ab und die Steuereinnahmen sinken. Die Troika hat dieses Problem lange Zeit heruntergespielt. Inzwischen gehen Ökonomen des IWF davon aus, dass jeder Euro weniger Staatsausgaben die Wirtschaftsleistung um bis zu 170 Cent reduziert, was die Haushaltskonsolidierung konterkariert. Die EU will von solchen Rechnungen nichts wissen. Derweil ist 2012 die gesamte Eurozone in die Rezession gerutscht. Auch für 2013 rechnen Ökonomen mit einer Rezession.
(4) ESM: Schlechtes Provisorium nun durch dauerhafte Einrichtung abgelöst
2012 trat der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) in Kraft. Dieser kann Finanzhilfen von insgesamt bis zu 500 Milliarden Euro an Staaten gewähren, wenn sich diese im Gegenzug zu einer strikten Sparpolitik verpflichten. Bisher hatte diese Rolle die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) übernommen, der aber nur als Provisorium gedacht war. Mit dem ESM wird eine mangelhafte Rettungseinrichtung nun quasi institutionalisiert.
(5) Fiskalvertrag: Mit Korsett in den Marathon
2012 wurde auch der Fiskalvertrag aufs Gleis gesetzt. Der Fiskalvertrag verpflichtet die unterzeichnenden Staaten (alle EU-Staaten außer Großbritannien und Tschechien) auf verbindliche Haushaltsregeln, insbesondere eine Schuldenbremse. Nur Staaten, die den Fiskalvertrag unterzeichnet haben, erhalten Zugang zu Mitteln des ESM. Der Fiskalvertrag engt die Spielräume für die Haushaltspolitik deutlich ein, sowohl was Investitionen als auch Krisenreaktionsmaßnahmen betrifft. Besonders ärgerlich ist auch, dass es keinen europäischen Ansatz gibt, den schädlichen Steuerwettbewerb zu beenden und die Einnahmebasis zu verbessern. Die unterzeichnenden Staaten werden mit dem Fiskalvertrag also praktisch in einem Korsett in einen Marathon geschickt.
(6) Ungleichgewichte werden nicht abgebaut
Seit Einführung des Euros haben sich in den Eurostaaten gigantische Ungleichgewichte aufgebaut. Die notorischen deutschen Exportüberschüsse sind nicht nachhaltig, weil sie andere Volkswirtschaften in eine Verschuldungssituation gegenüber Deutschland treiben, die sie nicht durchhalten können. Eine wichtige Ursache dafür sind die stagnierenden deutschen Reallöhne seit Einführung des Euro. Nur deutliche Lohnzuwächse in Deutschland würden es den anderen europäischen Staaten erlauben, wieder Boden gegenüber der deutschen Wirtschaft wiederzugewinnen.
Der offizielle Frühwarnbericht der EU für 2012 leugnet das Problem. Kein Wunder: Deutschland hatte verhindert, dass entsprechende Regeln vorgesehen wurden.
(7) Die großen Banken und die Finanzmärkte machen weiter was sie wollen
Die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, stellt in einem Kommentar am 20.12.12 feststellt: „Das Finanzsystem als Ganzes ist noch nicht viel sicherer, als es zur Zeit des Zusammenbruchs von Lehman Brothers im September 2008 war. Es ist immer noch zu komplex, die Aktivitäten sind immer noch in zu großen Institutionen konzentriert, und das Schreckgespenst des "too big to fail" lebt weiter. Anhand fortwährender Exzesse und wiederholter Skandale wird sichtbar, dass sich die Finanzkultur nicht wirklich verändert hat.“ – Deutlicher kann nicht gesagt werden, dass auch in 2012 keine wirkliche Re-Regulierung auf den Kapitalmärkten und im Bankensystem erfolgt ist.
(8) Fauler Kompromiss zur Bankenunion Spanische Bankenrettung: Finanzsektor nicht vergesellschaftet
Im Juni beschloss der Europäische Rat überraschend, dass der ESM zukünftig direkt Banken rekapitalisieren kann, sobald eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht errichtet worden sei. Dieser Beschluss entwickelte ein merkwürdiges Eigenleben. Die Bankenaufsicht war damals eher zweitrangig, es ging um Gelder für Bankenrettungsmaßnahmen, damit der Teufelskreis zwischen Staats- und Bankenschulden durchbrochen würde. Letzteres wurde wieder auf die lange Bank geschoben. Nun soll zunächst die EZB zu einer zentralen Aufsichtsbehörde aufgebaut werden, obwohl zahlreiche wichtige Fragen ungeklärt sind.
Im Sommer 2012 bekam der spanische Staat dann Milliardenkredite aus dem EFSF für seine notleidenden Banken bereitgestellt. Die Auflagen für die Banken gingen zwar in die richtige Richtung, z.B. die Verkleinerung des Geschäftsvolumens oder die Deckelung der Vorstandsgehälter. Es fehlte aber der Wille, dies zur Gelegenheit zu nehmen, den spanischen Bankensektor umzubauen, d.h. auf seine Kernaufgaben zu schrumpfen und wieder unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen.
(9) Reform der Währungsunion: Aussichtsloses Unterfangen
Europa wird zusehends gespalten. Die demokratische Legitimation der Regierungen reicht nicht aus, um die Verhandlungen zu führen. Sie tun es trotzdem Die Parlamente sind nur Zaungäste (und die Eurozone hat nicht einmal ein eigenes Parlament). Der weitgehend unbekannte EU-Ratspräsident Van Rompuy hat zwar unlängst Vorschläge zur Weiterentwicklung der Währungsunion vorgelegt, die aber durchgefallen sind. Derzeit rächt sich, dass das Europäische Parlament so wenige Rechte hat und es keine wirklichen Verfahren gibt, wie die Bevölkerung per Referendum oder ähnlichem an der weiteren Zukunft der Währungsunion beteiligt werden kann.
(10) Griechenland: Rettungsstrategie offensichtlich gescheitert
Auch das zweite offizielle Hilfspaket für Griechenland hat nicht dazu geführt, dass das Land seine Schulden langfristig wieder selber bedienen kann. Stattdessen steigen die Schulden unaufhörlich weiter. Obwohl sie Anfang 2012 durch einen Schuldenschnitt abgesenkt worden waren, sorgten die Sparprogramme für einen weiteren Einbruch der Wirtschaft. Damit ist das Griechenlandprogramm offensichtlich gescheitert.
Im November 2012 mussten die Eurostaaten erneut verhandeln, nachdem ihnen der IWF gedroht hatte, aus dem Hilfsprogramm auszusteigen. Herausgekommen ist ein halbgarer Kompromiss, die Sparprogramme gehen weiter. Spätestens nach der Bundestagswahl dürfte die nächste Debatte um einen neuen Schuldenerlass wieder beginnen.
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