Die Eroberung der Gemeingüter - In Zeiten der Krise werden die Rufe nach einer anderen Art des Wirtschaftens immer lauter
Von Laura Valentukeviciute
Wasser, Bildung, Mobilität, aber auch Rente, Luft und Biodiversität sollten aus Sicht von Kapitalismuskritikern der Logik von Wettbewerb, Effizienz und Gewinnmaximierung entzogen werden. Gesellschaftlich hat ein Umdenken eingesetzt, es spiegelt sich aber bislang kaum in politischen Entscheidungen wider.
In Zeiten der Krise werden die Rufe nach einem dritten Weg immer lauter. Und dabei geht es nicht um den sogenannten goldenen dritten Weg, den Konzerne und ein immer noch großer Teil der PolitikerInnen mit Public Private Partnerships (PPP) anstreben. In der emanzipatorischen Debatte ist mit dem dritten Weg die Gemeingüterwirtschaft gemeint. Also die Art und Weise des Wirtschaftens, bei der im Mittelpunkt nicht Wettbewerb, Effizienz und Gewinnmaximierung stehen, sondern das Recht der Menschen auf alle Güter, ohne die ihre Existenz gefährdet und nicht in Würde möglich wäre. Dies umfasst nicht nur klassischerweise Wasser, Abwasser, Bildung oder Mobilität, sondern auch Rente, Luft, Biodiversität und vieles mehr. Gemeingüter minimieren Lebensrisiken, indem sie die Kosten dafür auf mehrere Schultern in der ganzen Gesellschaft verteilen. Das setzt aber die Bereitschaft voraus, nicht nur eigene Risiken, sondern auch die Risiken der Mitmenschen zu übernehmen. Das alte Wort dafür ist Solidarität.
Gemeingüter ist ein neuer Begriff im deutschsprachigen Raum, mit dem wir gerade erst warm werden. Der Begriff »Öffentliche Güter« ist weiter verbreitet und wird häufig als Äquivalent für Gemeingüter benutzt, wobei es besonders in Deutschland eine Debatte darüber gibt, wo genau der Unterschied zwischen den beiden Begriffen liegt. Im Gegensatz zur deutschen Diskussion ist die Unterscheidung in anderen Ländern wie Griechenland, England oder Italien so gut wie nicht existent. Die Antiprivatisierungsgruppen dort bezeichnen auch die für uns klassischen öffentlichen Güter (public goods) wie die Wasserversorgung als Gemeingüter (commons).
Diese Gruppen und manche Gemeingütertheoretiker machen keinen substanziellen Unterschied zwischen Gemeingütern und öffentlichen Gütern, aber einen Unterschied darin, wie diese Güter verwaltet werden. Denn im Falle der öffentlichen Güter gilt das Delegationsprinzip: Die öffentliche Hand übernimmt die Verwaltung und Kontrolle. Indes werden die Gemeingüter partizipativ von allen NutzerInnen verwaltet.
Aus den Fehlern der Privatisierungspolitik zu lernen heißt auch, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen - die öffentlichen Güter zu Gemeingütern zu machen. Diese Tendenz wird an aktuellen Beispielen sichtbar: Die »Bewegung 136« in Griechenland schlägt für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ein soziales Management durch Genossenschaften auf nachbarschaftlicher Ebene vor und der Berliner Energietisch fordert, dass im Gesetz, das Anfang Februar in die zweite Runde eines Volksentscheides geht, BürgerInnenbeteiligung und demokratische Kontrolle durch NutzerInnen möglich ist.
Solche Ansätze erfordern politische Umbrüche. Als Erstes muss sich die Vorstellung verfestigen, dass die BürgerInnen das Recht haben zu wissen, was mit ihren Gemeingütern passiert. Auch müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass die BürgerInnen an der Entscheidungsfindung partizipieren. Das Debakel um die Offenlegung der Privatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe hat gezeigt, dass an diesem Punkt noch sehr viel zu tun ist: Der erfolgreiche Volksentscheid wurde von den PolitikerInnen praktisch ignoriert.
Eine zarte Blüte auf dem Feld der BürgerInnenbeteiligung ist die seit dem 1. April 2012 mögliche Europäische Bürgerinitiative. Damit können EU-BürgerInnen die Europäische Kommission auffordern, sich mit bestimmten Fragen zu befassen. Die ersten Initiativen sind gestartet, es geht dabei beispielsweise um die Verhinderung von Wasserprivatisierung, um die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens oder um einen menschenfreundlichen Verkehr.
Allzu viel sollte man sich allerdings von den europäischen Bürgerbegehren nicht versprechen, weil sich die Europäische Kommission nach einem erfolgreichen Ausgang lediglich mit dem Thema beschäftigen muss. Bindende Wirkung hat es nicht. Trotzdem kann dieses Instrument für viele ein Anfang sein, sich um die Sachen zu kümmern, die uns alle angehen. Dabei ist mit einer Unterschrift nur der erste Schritt getan. Mitsprache und demokratische Kontrolle können nur wir selber mit Leben füllen und sie kommen erst dann, wenn wir uns aktiv dafür einsetzen.
Laura Valentukeviciute engagiert sich bei Attac und arbeitet als Koordinatorin beim Verein »Gemeingut in BürgerInnenhand«. Die Sozialwissenschaftlerin gehört zu den vier linken Aktivisten, die ab jetzt jeden Dienstag im »nd«-Bewegungsblog über Debatten und Aktionen der Bewegungen informieren, sie kommentieren oder kritisieren.
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