Finanztransaktionssteuer: EU verschärft Maßnahmen gegen Steuerumgehung
Kommentar zum neuen Direktiventwurf der EU-Kommission von Peter Wahl
Der Entwurf für die Finanztransaktionssteuer (FTS), den die EU-Kommission diese Woche für die Koalition der Willigen im Rahmen der Vertieften Zusammenarbeit vorgelegt hat, ist im Großen und Ganzen identisch mit dem Text, den sie schon 2011 für die EU-27 vorbereitet hatte. Also: breite Steuerbasis mit Aktien, Anleihen und Derivaten; Steuersatz 0,1% für Aktien und Anleihen und 0,01% für Derivate; Steuerpflicht jeweils für Käufer und Verkäufer, usw. Der damalige Entwurf war den Vorstellungen der Zivilgesellschaft und heterodoxer Ökonomen recht nahe gekommen. Aber jetzt gibt es sogar noch eine angenehme Überraschung: die Maßnahmen gegen die Umgehung wurden noch einmal verschärft.
Der alte Entwurf enthielt nur das sog. Herkunftsprinzip. D.h. alle Finanzinstitutionen, die ihren juristischen Sitz im Geltungsbereich des Gesetzes haben, sind steuerpflichtig. Wenn also die Deutsche Bank in Hongkong eine beliebige Aktie verkauft oder ein beliebiges Derivat kauft, ist die Steuer fällig. Das ist schon ganz gut, lässt aber doch noch die Möglichkeit offen, durch Verlagerung des Geschäfts auf eine juristisch unabhängige Tochter oder über Abwicklung über Dritte die Steuerpflicht zu unterlaufen. Zwar wird die Bank vorher durchrechnen, was teuerer kommt: die Steuer zu zahlen oder die Geschäftsverlagerung, die natürlich auch Kosten verursacht. Aber für einige Geschäftsmodelle, wie den Hochfrequenzhandel, würde sich die Verlagerung auf jeden Fall rentieren.
Und genau hier soll jetzt zur Ergänzung des Herkunftsprinzips das sog. Ausgabeprinzip zum Einsatz kommen. Demnach werden alle Vermögenswerte, die aus dem Geltungsbereich des Gesetzes stammen, registriert. Bei Aktien, Anleihen und börsengehandelten Derivaten ist das ohnehin schon der Fall. Für außerbörslich gehandelte Derivate wird gerade im Rahmen der Regulierung des Derivatehandels für die meisten Produkte der Handel über eine zentrale Clearingstelle mit Registrierungspflicht vorbereitet.
Sollte sich das Ausgabeprinzip durchsetzen, bedeutet dies, dass jeder Vermögenstitel, der aus dem Geltungsbereich des Gesetzes stammt, also deutsche Aktien, französische Anleihen, italienische Derivate, besteuert wird. Wenn dann eine japanische Bank einem US-Hedgefonds eine Volkswagenaktie verkauft, wird die Steuer fällig - selbst wenn das Geschäft auf dem Mond durchgeführt würde. Und da die Finanzindustrie alle ihre Geschäfte heute über einige wenige elektronische Plattformen abwickelt, ist die Eintreibung der Steuer technisch sehr einfach.
Mit ihrem neuen Vorschlag packt die Kommission ein Erzübel der Globalisierung an: die Möglichkeit des hochmobilen Kapitals sich dem regulatorischen Zugriff des Staates jederzeit und in Sekundenschnelle zu entziehen. Die Maßnahme hat deshalb politische Brisanz weit über die FTS hinaus. Wenn die Sache sich herumspricht, wird es einen Aufschrei geben und die Banker werden alle ihnen nahestehenden Regierungen, Medien und Professoren aufbieten. Nicht nur um den Untergang des Abendlandes zu beschwören. Auch jene Länder, die Steuerhehlerei als Standortvorteil nutzen, werden den Vorschlag als Angriff auf ihre Souveränität werten.
Die entsprechenden Kandidaten haben sich auch schon prompt in Stellung gebracht: bei der ersten Verhandlungsrunde am 13. Februar haben einige der nicht an der Vertieften Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten in durchgesickerten internen Statements erklärt, sich rechtliche Schritte vorzubehalten, wenn die FTS ihre Wettbewerbsbedingungen und die Regeln des Binnenmarkts tangieren würde Angeführt wird die Truppe erwartungsgemäß von der Regierung ihrer Majestät, der City of London. Ähnliche Stellungnahmen kamen von den Ministaaten Malta und Luxemburg.
Der Fall des Großherzogtums Luxemburg entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Dessen Staatschef Juncker, bis vor kurzem Vorsitzender der Euro-Gruppe, lässt ja sonst keine Gelegenheit aus, sich als Super-Europäer in direkter Nachfolge von Pippin dem Kurzen zu präsentieren. Aber wenn es um die Wurst bzw. die Bankprofite geht, ist ihm das Hemd der heimischen Banken allemal näher als der europapolitische Rock.
Im Ton etwas gemäßigter und ohne Androhung juristischer Schritte ist eine gemeinsame Erklärung von Schweden, Dänemark, Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn, die aber gleichwohl anmahnten, dass "die Interessen der nicht am Verfahren der Vertiefen Zusammenarbeit teilnehmenden Länder in der weiteren Arbeit berücksichtigt werden."
Es bleibt spannend mit der Finanztransaktionssteuer.
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