"Margaret Thatcher – Milk Snatcher"
Von Ulrich Bochum
Die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher, die Großbritannien von 1979 bis 1990 regierte und das Land grundlegend veränderte, verstarb am 8. April 2013. Sie war die prägende politische Figur der 1980er Jahre, ihre politisch-ökonomische Agenda hinterließ ein tief gespaltenes Land.
In konservativen Kreisen bewundert für ihre unnachgiebige Haltung, von der Linken gehasst und verachtet für die Zerstörung des britischen Wohlfahrtstaates, verstand die Linke lange Zeit nicht, was mit dem Thatcherismus verbunden war, warum er einerseits das Land politisch polarisierte und trotzdem Wahlen gewinnen konnte. Ebenso wie Kohl (»Birne«) wurde Thatcher mit ihrem kleinbürgerlichen Hintergrund, ihrer Art zu sprechen(ihre Stimme klinge wie ein parfümierter Furz, meinte ein Theaterdirektor) und ihrem viktorianischen Moralismus zunächst nicht ernst genommen. Am Ende ihrer Regierungszeit war Labour gezwungen, sich zu reformieren und die Gewerkschaftsbewegung grundlegend geschwächt.
Der Begriff Thatcherismus als Kombination von ökonomischem Liberalismus und sozialem Konservatismus wurde durch die Zeitschrift Marxism Today geprägt, die sich früh mit einer Analyse des Thatcher-Projektes zur Umformung der britischen Gesellschaft beschäftigte. Dabei wurde klar, dass mit dem Regierungswechsel von Labour zu Thatcher im Jahr 1979 eine neue Ära begonnen hatte. So schrieb Stuart Hall in der Zeitschrift in seinem Essay »The Great Turning Right Show«, dass mit dem Antritt von Thatcher eine längere Periode der Rechtsentwicklung verbunden sei, auf die man sich einstellen müsse. Man habe es nicht mit einem zeitlich begrenzten Umschwung zu tun.
Margaret Thatcher war vor ihrer Zeit als Regierungschefin Erziehungsministerin im Kabinett von Edward Heath (1970-1974). 1971 schaffte sie die kostenlose Versorgung der Schüler mit Schulmilch ab und wurde als »Milk Snatcher« beschimpft. 1975 kandidierte sie gegen Edward Heath um den Parteivorsitz der Konservativen Partei und gewann überraschend. Edward Heath hatte nach nur einer Legislaturperiode die Wahl gegen Labour wieder verloren und war in der Konservativen Partei aufgrund politischer Nachgiebigkeit gegenüber der Linken und seiner Pro-Europa Haltung äußerst unpopulär. Ebenso wie Heath verfügte sie nicht über den üblichen Klassenhintergrund und die Manieren konservativer britischer Groß-Politiker.
Margaret Thatcher wurde Premierministerin am Ende eines chaotischen Jahrzehnts in Großbritannien. Gegenüber den Verhältnissen, die in den 1970er Jahren herrschten, mutet die Euro-Krise als Schönwetter-Periode an: Ölkrise, Stromabschaltungen, Drei-Tage-Arbeitswoche, Streiks, steigende Arbeitslosigkeit, Zahlungsbilanzdefizite, Währungskrise, Kredite des Internationalen Währungsfonds und am Ende stand der »Winter of Discontent«. Dieser dauerte von November 1978 bis März 1979 und war der härteste Arbeitskampf seit dem Generalstreik 1926.
Er begann so: Am 21 September wiesen die Beschäftigten bei Ford eine Lohnerhöhung von 5%, die etwa die Hälfte der Inflationsrate abdeckte, zurück und gingen in einen inoffiziellen Streik. Am 25 September streikten 57.000 Ford-Beschäftigte quer durch alle britischen Werke. Auf den Plakaten stand, Ford solle sich die 5% sonstwohin stecken. Anfang Oktober erklärte die zuständige Gewerkschaft TGWU (Transport and General Workers Union) den Streik für legitim. Mitte November offerierte Ford den Streikenden eine Lohnerhöhung von 17%, um sie dazu zu bewegen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Das Angebot wurde akzeptiert.
Dies war aber nicht im Sinne der Labour-Regierung unter Callaghan, die eine Begrenzung der Lohnerhöhungen durch eine 5%-Lohnleitlinie durchsetzen wollte. Die Regierung brachte im Parlament ein Gesetz ein, das von Unternehmen, die gegen die Lohnleitlinien verstießen, gezahlte Subventionen hätte zurückfordern können. Dieses Gesetz fiel durch, die angedrohten Sanktionen gegen Ford wurden zurück gezogen, die Gewerkschaften jubelten: »Wir haben als Speerspitze gehandelt«, meinte ein Funktionär der TGWU bei Ford.
Am 22 Januar 1979 streikten 1,5 Mio. Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. In den Winter-Monaten 1978/79 kam es landesweit zu unzähligen, meist inoffziellen, ungeplanten Streikwellen quer durch alle Branchen und Berufe. Letztlich wandte sich nach Monaten eines aus den Fugen geratenen öffentlichen Lebens die Stimmung gegen die Gewerkschaften und ermöglichte den Sieg der Konservativen Partei bei den für Mai 1979 angesetzten Unterhauswahlen. Thatcher erreichte eine Mehrheit mit 43% der Stimmen.
In den Augen Thatchers war Großbritannien durch den Nachkriegs-Wohlfahrtsstaat geschwächt worden. Sie konstatierte eine Kultur der Abhängigkeit von staatlichen Leistungen, übermächtige Gewerkschaften widersetzten sich notwendigen Arbeitsmarktreformen und die nationalisierten Industrien seien auf ganzer Linie gescheitert. Ein »natürlicher« Anteil von Arbeitslosigkeit sei durchaus nötig.
Das eigentliche Anliegen aber war eine breitere Verteilung des Privateigentums unter der Bevölkerung. Mit der Möglichkeit, die weit verbreiteten »Council Flats«, also die kommunalen Wohnungen, an die Mieter zu verkaufen, erlangte sie durchaus Popularität und Zustimmung unter den einfachen Leuten. Damit war die Grundlage für den Immobilienboom gelegt.
Unter Thatcher sank der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 17,6% auf 15,2% (1990). Zwischen 1990 und 2010 sank er dann noch weiter auf 9,7%. Die De-Industrialisierung Großbritanniens ist somit eher das Werk von New Labour, die sich sowieso nie recht vom Thatcherismus absetzen wollten. Blickt man zurück, dann ist der Thatcherismus eine Gegenreaktion gegen den wohlfahrtsstaatlichen Nachkriegs-Konsens. Tatsächlich war dieser Konsens aber schon vorher durch eine zerrüttete ökonomische Entwicklung zerbrochen.
Nachweise:
Andy Beckett (2009): When the Lights went out. What really happened to Britain in the seventies, London
Aditya Chakrabortty (2011): Why doesn't Britain make things any more? In: The Guardian 18.11.2011
Jason Cowley (2013): The Left struggeld to understand Margaret Thatcher, in: New Statesman 08.04. 2013
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