Eine Logik des Niedergangs – Auswüchse formaler Denkkultur

Von Karl Mai

30.04.2013 / 30.04.2013

1. Zur Fragestellung

Die deutsche Öffentlichkeit wird durch manche ihrer eifrigsten Politiker fehlgeleitet, und zwar in der Verschuldungsfrage des Staates. Vor allem durch die alltäglichen Anstrengungen von Exponenten der derzeitigen Regierungskoalition. Die fortgesetzte Propagierung eines formal-eindimensionalen Denkens, wie sie sich rund um die „Sparpolitik“ manifestiert, manipuliert oder irritiert die Menschen: Hierbei werden elementare volkswirtschaftlich negative Rückwirkungen der „Sparpolitik“ ignoriert oder geleugnet, wie sie makroökonomisch zur normalen Einsicht in die Grundzusammen­hänge gehören. Es erscheint öffentlich fast als Tabu-Bruch, die gekürzten bzw. gemin­derten fiskalischen Ausgaben als relevant für die Reduzierung der Wachstumsraten zu interpretieren.

Zwischen Haushaltspolitik und Wirtschaftsentwicklung existieren jedoch beiderseitig wirkende Verflechtungen. Diese bestehende materielle Rückkopplung unbedingt zu betonen bedeutet: komplexe Logik contra formal-eindimensionales Denken! Manche Experten und auch Politiker vergessen gern, dass diese Reflexivität bereits ein­drucksvoll statistisch belegt wurde.

Obwohl der vorstehend vereinfachende Vorgang sich bekannter Weise vorwiegend im Kreis der Bundesregierung und ihrer tragenden Parteien vollzieht, sind auch Vertreter von Landesregierungen, wie z. B. in Sachsen-Anhalt, hiervon auffällig beeinflusst. Nun soll beispielhaft gezeigt werden, welche Absichten oder Wirkungen diese formale Denk­kultur anstrebt und welche gravierenden Fehler dies einschließt.

2. Zur aktuellen Debatte in Sachsen-Anhalt

Zunächst zur Sachlage in Sachsen-Anhalt, wo derzeit eine dramatisch erscheinendeZuspitzung eines Konfliktes zwischen Landeskabinett und breiter regionaler Öffent­lichkeit droht.i

Dies lässt sich anhand der jüngsten „Offenbarungen“ zweier prominenter verant­wortlicher Regierungsvertreter Sachsen-Anhalts belegen: von Ministerpräsident Haseloff (CDU) und seinem Finanzminister Bullerjahn (SPD). Deren „Offenbarungen“ stehen im Kontext zur gegenwärtigen verschärften Politik der fiskalischen Sparmaß­nahmen bei der Vorbereitung des Landeshaushalts für 2013/2014, für die rigorose „Einsparungen“ als Leitlinie vom Landeskabinett beschlossen wurden. Auf diese Planungsvorgaben wurden inzwischen von einigen politischen Partei-Exponenten u.a. im Landtag mit großen Vorbehalten reagiert, insbesondere, weil ausdrücklich und bedingungslos auch eine abrupte Schließung der medizinischen Universitätsklinik in Halle als notwendig hingestellt wurde.

Als Begründung gab kürzlich MP Haseloff vor dem Landtag an, dass die rigorosen Verkürzungen von Haushaltsplanansätzen dadurch motiviert seien, dass hierfür die vergangenen Bewilligungen pro Landeseinwohner weit über dem „üblichen Durch­schnitt“ anderer Flächenländer in Deutschland lägen und dies nicht mehr rechtfertigt werden könnte in Anbetracht der riesigen Verschuldungslast des Landeshaushalts von 20,650 Mrd. Euro (kumulativ) und der daraus resultierenden Soll-Zinsen von jährlich über 700 Mio. ¤.ii Da auch die künftigen Zuführungen aus Bundesmitteln aus dem „Solidarpakt II“ bis 2019 bis auf null weiter sinken, erscheint Haseloff die vorgegebene Reduzierung der Haushaltsansätze für 2013/2014 unumgänglich, um die gigantische fiskalische Gesamtverschuldung rasch - wie als Leitbild vorgesehen - um jährlich zu­nächst ansteigend und ab 2019 konstant um ca. 300 Mio. ¤ zu reduzieren. Inzwischen wurde bekannt, dass bei einer Kürzung des Etats der Hochschulen um jährlich 5 Mio. ¤ und insgesamt um 50 Mio. ¤ 16 % des derzeitigen Hochschulbudgets oder 8 % des gesamten Wissenschaftshaushalts im Lande betroffen sind.iii

Hinzu kam der überraschende Akt, dass die im Lande angesehene Landesministerin für Wissenschaft und Wirtschaft, Birgitta Wolff, im Konflikt mit dem vorgegebenen Sparkurs des Landeskabinetts von MP Haseloff plötzlich entlassen wurde, wonach offeneEmpörung im Lande ausbrach. Eine Welle von kritischen Äußerungen gegen dieses rigorose Vorgehen schwoll an. Die harten Einpeitscher des „Sparkurses“ im Landes­kabinett gerieten in die Defensive, und sogar die SPD-Landeschefin und SPD-Fraktionsvorsitzende Katrin Budde erklärte, mit Gegenvorschlägen vor der Beschluss­fassung des Haushalts aufzuwarten.iv Auch der Magdeburger OB Trümper und der Hallesche OB Wiegand (beide keine Landes-Kabinettsmitglieder) bekundeten in der Presse eine generelle Ablehnung dieses Vorgehens zur Schließung der Uni-Klinik in Halle. OB Trümper erklärte ganz grundsätzlich: „Es muss gleichzeitig in die Bereiche investiert werden, in denen künftig Einnahmen erzielt werden können und die die Wettbewerbsfähigkeit des Landes langfristig sichern. Ministerpräsident Reiner Haseloff und Finanzminister Jens Bullerjahn wollen die Haushaltsprobleme allein durch drastische Ausgabenreduzierungen lösen. Diese Kürzungen gelten in besonderem Maß für die Universitäten und Hochschulen im Land...“v Trümpers gesunder, sachlicher Menschenverstand wirkte naturgemäß entkrampfend.

3. Warum verschärfter Sparkurs?

Der logische Hintergrund für den rigorosen „Sparkurs“ der Landesregierung bildet die These, dass es richtig sei, die vorgeblich überhöhten Ausgaben für die medizinische Einrichtung einer zweiten Landesuniversitätsklinik (außer der Magdeburger) generell zu streichen. Im Widerspruch dazu wird gleichzeitig und fortgesetzt jedoch einen Schwer­punkt „Bildung und Wissenschaft“ in Sachsen-Anhalt als zukunftsweisend propagiert. Die Messlatte dafür bilden die spezifischen „Ausgaben pro Einwohner „, die infolge der tendenziellen demografischen Abnahme der Wohnbevölkerung weiterhin über­proportional im Vergleich zu den westlichen Bundesländern steigen. Solcher Anstieg stehe ebenfalls im Widerspruch zu anderen zwingend notwendigen Aufgaben der künftigen Landesentwicklung, ebenso zur langfristig prognostizierten Haushaltslage.

Jedoch bildet der Landeshaushalt nicht das alleinige gravierende Finanzierungs­dilemma für die Landeswohnbevölkerung. Hinzu kommt der „Sparkurs“ auf nationaler Ebene infolge der hohen gesamtdeutschen Staatsverschuldung, dessen Auswirkungen ebenfalls „je Einwohner“ zu tragen sein werden.

4. Der „nationale Hintergrund“ belastet zusätzlich

Die kumulierte Haushaltsverschuldung hat im nationalen Maßstab gigantisch zuge­nommen, und ihr vermeintlicher Abbau bildet das drohende Haushalts-“Damokles­schwert“ für ganz Deutschland. Auch die drückende Verschuldung auf kommunaler Ebene (Städte und Gemeinden) fällt zunehmend ins Gewicht. Die Summe der kumulativen Gesamtschulden aller Ebenen erweist sich hier als unlösbares Tilgungs­problem des deutschen Fiskus, verstärkt durch die Last aller zu tragenden Soll-Zinsen. Nach offiziellen Angaben der Statistik betrug die deutsche Gesamtschuldensumme zu Ende 2012 immerhin die gewaltige Summe von 2.166,28 Milliarden ¤, die relativ zum Jahres-BIB 81,9 % erreichte.

Vor dem Hintergrund der Gesamtlage erscheint die „Sparlogik“ von Haseloff und Bullerjahn zumindest als Verengung zu einseitig-eindimensionalen und formalem Denken ohne jede erklärte Rücksicht auf gravierende materiell- physische Verluste in der Infrastruktur für Bildung und Wissenschaft oder auch für Verkehr bei den Landes­und Gemeindestraßen. Es zeigt sich hier der erkennbare Mangel an Flexibilität oder von souveränem Denken im Banne des neoliberalen „Gehorsams“ vor den formalen An­forderungen der dominanten Haushaltsbürokratie in Deutschland bzw. der derzeitigen EWU-Bürokratie.

5. Was besagt die „Mittelfristige Finanzplanung“ von Sachsen-Anhalt?

Dabei geben die Daten der aktuellen „Mittelfristigen Finanzplanung“ des Landes absolut keinen Anlass zu Optimismus, eher zu anhaltendem Pessimismus. Hiernach nehmen die Einnahmen (insgesamt) des Landeshaushalts gegenüber 2013 bis 2025 nicht wesentlich zu, nämlich nur von 10,0 Mrd. ¤ auf 10,152 Mrd. ¤. Die Ausgaben (insge­samt) sinken gegenüber 2013 bis 2025 von 10,0 Mrd. ¤ auf 9,789 Mrd. ¤ ab. Es besteht trotzdem ein ausgewiesener ungedeckter „Handlungsbedarf“ zwischen 2013 und 2022 von kumulativ 2,265 Mrd. ¤, der offenbar zu zusätzlichen rigorosen jährlichen „Spar­maßnahmen“ nötigen müsste.

Demgegenüber steigen zwar die prognostizierten eigenen Steuereinnahmen des Landes von 2013 bis 2025 um 2,055 Mrd. ¤ auf 135,7% an, jedoch sind hierin die großen Unsicherheiten der zukünftigen Konjunktur sowie der zwangsläufigen struk­turellen Änderungen der Wirtschaftsbasis weitgehend ausgeklammert - hierin spiegelt sich u.a. der prognostizierte „Landesoptimismus“ wider.

6. Die Folgen der „Sparpolitik“ der Landeregierung und Bundesregierung

Diese rigorose „Spar“-Haltung der Landesregierung von Sachsen-Anhalt, wenn sie sich durchsetzen sollte, ist ein „Rezept für den Niedergang“ - wie treffend der frühere Lan­desfinanzminister Paqué öffentlich erklärte.vi Diese Haushaltspolitik mündet in einen schleichenden Niedergang der Attraktivität der Landesinfrastruktur, in eine bedrückende bzw. drastische Verstärkung der Haushaltseinschränkungen auf Landes- und kommu­naler Ebene, in eine Perspektive weiterer relativer Verarmung oder sozialen Differenzierung infolge des Rückgangs von wirtschaftlichen Einkommen in ländlichen Regionen, deren Wohnbevölkerung obendrein künftig dramatisch rückläufig im arbeits­fähigen Alter prognostiziert wird. Es ist diese immanente Logik des Niedergangs, die von der Landesregierung so „schwungvoll“ ignoriert bzw. geleugnet wird.

Diese verkrampfte „Sparpolitik“ steht natürlich auch der jetzigen Bundesregierung als „dominierender Sachzwang“ zu Gesicht, die ihre neoliberalen Grundauffassungen gern hinter „europaweiten“ Zwängen oder Interessen verbirgt. Die schwarz-gelbe Regie­rungskoalition im Bundestag will sich erklärter Weise nicht von den praktizierten Prinzipien der Ausgabenbegrenzung abbringen lassen. Allerdings dreht sich hier von Brüssel her langsam der Wind zur einer besseren Anerkennung oder Berücksichtigung der makroökonomischen komplexen Rückwirkungen auf die realwirtschaftliche Realität, die neuerdings zu einer noch verkappten Relativierung oder Zurückdrängung der reinen „Sparideologie“ hinführt.

Halle/S., den 30.4.2013

Endnoten

i Siehe: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 29.4.2013, Seite 1

ii Zur Verschuldung siehe: „Mittelfristige Finanzplanung“ des Landes, siehe: www.sachsen­-anhalt.de, Tabellen Seite 34 ff

iii Siehe: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 30.4.2013, Seite 3

iv Siehe: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 25.4.2013, Seite 2

v Siehe: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 27./28.4.2012, Seite 3

vi Siehe: Fußnote 3