Die EZB als Krisenmanager - Notenbanken steuern die Wirtschaft
Von Joachim Bischoff
Die Lage in der Euro-Zone hat sich in den vergangenen Monaten deutlich entspannt – zumindest wenn man die gesunkenen Risikoprämien für Staatsanleihen als Stimmungsindikator heranzieht. Doch die Euro-Krise bleibt im Urteil vieler Ökonomen einer der zentralen Risikofaktoren für den weltweiten Konjunkturgang.
In der EU ist die Kritik an der Austeritätspolitik angesichts der anhaltenden Schrumpfungstendenz in der Ökonomie und von Rekordarbeitslosigkeit besonders unter jungen Menschen entschiedener vorgetragen worden. Wie sehr die Schuldenkrise in Europa die Konjunktur belastet und zunehmend auch Deutschland erreicht, zeigen die Autoabsatzzahlen.
Während die Bekämpfung der Schuldenkrise Europa lähmt und auch bisherige Wachstumstreiber wie China, Brasilien, Russland und Indien deutlich an Dynamik verlieren, überzeugen die USA mit ihren Wachstumszahlen. Die weltgrößte Volkswirtschaft scheint auf dem Weg der Besserung. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Regierung wegen des ungelösten Haushaltsstreits in diesem Jahr Ausgabenkürzungen in Höhe von 85 Mrd. US-Dollar umsetzen muss. Das bremst das Wachstum – bringt es aber nicht zum Erliegen.
In dieser Situation richten sich die Hoffnungen wiederum auf die europäische Zentralbank. Sie könnte ihren Leitzins angesichts der Rezession im Großteil der Währungsunionsländer senken und damit über eine Verbilligung der Kredite zusätzliche Impulse für die Realökonomie liefern. Der aktuelle Leitzinssatz von 0,75% liegt im Vergleich mit anderen wichtigen Notenbanken im oberen Bereich. Eine Leitzinssenkung könnte Banken trotz Krise und steigender Anforderungen an ihre Kapitalausstattung zur Vergabe von mehr Krediten ermuntern.
Allerdings gibt es auch deutlich kritische Stimmen gegen eine weitere Zinssenkung. Eine Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes von 0,75% auf 0,5% oder darunter würde der Realwirtschaft vermutlich wenig bis gar nichts bringen. Angesichts einer Inflationsrate von 1,7% ist der Realzins negativ und das Schlüsselproblem liegt nicht in der Zinsbelastung, sondern der schrumpfenden gesamtgesellschaftlichen Nachfrage.
Vor allem in den Krisenländern der südlichen Euro-Zone dürfte die Wirkung einer Zinssenkung begrenzt sein. Die Kredite für mittelständische Unternehmen in Spanien und Italien sind doppelt so teuer wie die für deutsche Konkurrenten. Die EZB hat das Problem dieser »Fragmentierung der Finanzmärkte« schon lange auf der Agenda. Doch sie hat dafür noch kein Rezept gefunden und fordert stattdessen die öffentlichen Investitionsbanken auf, günstige Kredite zu vergeben.
In diesem Widerspruch – die EZB als Akteur bei der Verteidigung der Euro-Zone einerseits, sowie die EZB-Politik als letztlich krisenverschärfender Faktor andererseits – hat das Bundesverfassungsgericht noch einige Hauptklagen gegen den europäischen Stabilitätsfonds (EMS) zu verhandeln. Es beschäftigt sich vor allem mit der Zulässigkeit des EZB-Programms zum möglichen unbegrenzten Anleihenkauf (OMT).
In einer Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesbank ihre Kritik und Ablehnung dieser EZB-Politik bekräftigt. Mit dem unbegrenzten Anleihekaufprogramm OMT und dem Versprechen, alles für die Rettung der Einheitswährung zu tun, mache sich die EZB gegenüber Regierungen erpressbar. Bundesbankpräsident Weidmann hatte im EZB-Rat gegen das Kaufprogramm gestimmt und in Stellungsnahmen mehrfach massiv Kritik an der Rettungspolitik geäußert, die nach Ansicht der Bundesbank nichts mit dem eigentlichen Mandat der Zentralbank zu tun hat – nämlich für Preisstabilität zu sorgen. Sie lehnt die geplanten Staatsanleihen-Käufe ab, mit der die EZB im Notfall die Pleite eines Euro-Landes verhindern will. Das Risiko, dass ein Land aus der Währungsunion ausscheide, kann nach Auffassung der Bundesbank keine Rechtfertigung für ein Eingreifen der Zentralbank sein. Auch sei es nicht ihre Aufgabe, die Zinslast von Krisenstaaten zu erleichtern. Zudem könnten Käufe die Unabhängigkeit der Zentralbank gefährden, die aber die Voraussetzung für eine »erfolgreiche Erfüllung der Hauptaufgabe, die Wahrung der Preisstabilität« sei. Befinde sich die EZB erst einmal auf einem abschüssigen Kurs, sei eine Umkehr nur schwer möglich.
Das Handeln der EZB ist kein Alleingang. Die wichtigen westlichen Notenbanken schultern heute erheblich mehr Risiken als vor Ausbruch der Finanzkrise. Die wichtigen Zentralbanken haben im Kampf gegen die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise alle die sehr kurzfristigen Leitzinssätze auf nahe Null gesenkt und die Versorgung mit Krediten durch verschiedene Ankaufoperationen von Anleihen und Sicherheiten ausgeweitet.
Eine Abkehr von dieser expansiven Geldpolitik ist nicht in Sicht. In normalen Zeiten erweist sich jegliche Bemühung einer Zentralbank, die kurzfristigen Zinsen zu lange zu niedrig zu halten, als fatale Weichenstellung. Nicht nur haben sich die Zentralbankbilanzen innert kürzester Zeit markant verlängert, auch die Zusammensetzung der Aktiva und Passiva hat sich stark verändert. Doch das Ausmaß der geschulterten zusätzlichen Risiken hängt entscheidend von der Politik ab, die die Notenbanken der jeweiligen Länder zur Krisenbekämpfung verfolgt haben.
Die expansive Geldpolitik der Notenbanken ist mittlerweile als Vorgehensweise weithin akzeptiert, um in der akuten Krisenkonstellation eine Zerstörung der Zahlungsketten, die sich verstärkende Entwertung der Vermögenstitel und die Implosion des Finanzsystems zu verhindern. Aber für die weitere Entwicklung wird die Wirksamkeit dieser expansiven Geldpolitik zu Recht in Zweifel gezogen.
Sechs Jahre, nachdem die Welt in den Nachwehen der globalen Finanzkrise ganz unten angekommen war, sind die Folgen der quantitativen Lockerung erstaunlich asymmetrisch. Die massiven Liquiditätsinjektionen waren zwar wirksam, als es darum ging, die Kreditmärkte wieder freizugeben und die Welt aus der Krise zu holen, aber die nachfolgenden Bemühungen haben nichts hervorgebracht, was auch nur annähernd mit einer normalen zyklischen Erholung der Kapitalakkumulation vergleichbar wäre.
Auch die EZB hat alles getan, um Spekulationen auf ein Scheitern der Euro-Zone zu bekämpfen. Sie war einerseits erfolgreich und hat doch andererseits keinen Grund, mit ihrer eigenen quantitativen Lockerung zufrieden zu sein. Trotz einer Verdoppelung ihrer Bilanzsumme auf etwas mehr als drei Bio. Euro (vier Bio. US-Dollar), ist die Eurozone zum zweiten Mal in sechs Jahren in die Rezession gerutscht. Die Maßnahmen der EZB haben hinsichtlich der Umsetzung von lang erwarteten strukturellen Veränderungen im Wirtschafts- und Währungsraum wenig erreicht. Krisengeschüttelte Ökonomien an der europäischen Peripherie leiden noch immer unter einer nicht haltbaren Schuldenbelastung und einem ernsthaften Produktivitäts- und Wettbewerbsproblem. Und ein fragmentiertes europäisches Bankensystem bleibt eines der schwächsten Glieder der regionalen Kette.
Die wahren Kosten von hohen Beständen von Wertpapieren in der Bilanz rühren für Notenbanken aber weniger vom direkten Verlustrisiko her, als vielmehr vom erschwerten Ausstieg aus der Krisenpolitik. Jene Zentralbanken, die »Quantitative Easing« betreiben, müssen damit rechnen, dass sie mit ihren Käufen und Verkäufen von Wertpapieren einen großen Einfluss auf die entsprechenden Marktsegmente haben. Dies ist beim Ankauf der Anlagen ja explizit so gewollt. Der Erwerb von Staatsanleihen soll die langfristigen Zinsen senken, der Kauf von Hypotheken-Papieren die Preise dieser besicherten Wertpapiere stützen.
Auch die EZB registriert, dass sich die schwache Wirtschaftslage in der Euro-Zone im Jahr 2013 fortgesetzt hat. Die Notenbank rechnet mit einer Erholung der Konjunktur im zweiten Halbjahr, die aber von großer Unsicherheit geprägt sein wird. Damit gab es Raum für Spekulationen über allfällige Zinssenkungen in den kommenden Monaten, sollte sich die Konjunktur weiter eintrüben. EZB-Chef Marion Draghi reagierte unter anderem auf Markt- und Medienspekulationen, wonach die Notenbank künftig auch Bankkredite an KMU als Pfand bei ihren regulären geldpolitischen Operationen annehmen könnte.
Die Erfahrungen mit einer entsprechenden Lockerung im Rahmen des zweiten Langfrist-Tenders[1] (LTRO) sind gemischt: Sie habe nur in einzelnen Ländern zu einer Entspannung bei der Unternehmensfinanzierung geführt, in anderen hingegen nur wenig oder nichts bewirkt. Die EZB kann eine mangelnde Kapitalbasis der Banken nicht kompensieren und auch keine Regierungsaufgaben übernehmen.
Die EZB räumt in ihren Berichten offen ein, dass die Risiken für das Euro-System wegen der Ausweitung der Liquidität im Jahr 2012 gestiegen sind. Sie argumentiert, die zusätzlichen Risiken seien bewusst eingegangen worden, weil der Nutzen der verschiedenen Liquidität zuführenden Maßnahmen als größer erachtet werden als die eingegangen Risiken.
Der Anteil der nichtmarktfähigen Sicherheiten hat stark zugenommen. Die EZB möchte so einerseits eine möglichst große Zahl an Banken zu ihren Geschäften zulassen, damit die Realwirtschaft möglichst breit von ihrer Liquidität profitiert. Andererseits muss sie mit dem eingegangenen Risiko umgehen können. Dafür hat das System mehrere Instrumente zur Hand wie die Abschläge auf Sicherheiten. Einen einfachen Ausweg aus dem Dilemma gibt es nicht.
Die Finanzkrise greift immer mehr den Kern des Kapitalismus an: die Preisbildung auf den Märkten und die Steuerung von Investitionen und Geldkapital durch die Zinsbewegung. Die angeblich von den Regierungen unabhängigen Notenbanken haben längst eine Form der Investitions- und Wirtschaftssteuerung etabliert, die immer weniger überzeugt und im Krisenszenario eingebunden bleibt. Es ist nicht absehbar, wie die Notenbanken aus diesem Teufelskreislauf ohne große Verwerfungen herauskommen können.
[1] Um die Eskalation der Schuldenkrise abzuwenden, hatte die EZB den Banken in zwei Runden insgesamt gut eine Billion an Zentralbankgeld zur Verfügung gestellt. Die Geschäfte vom Dezember 2011 und Februar 2012 haben eine Laufzeit von bis zu drei Jahren. Die Banken können die Mittel jedoch nach etwa einem Jahr vorzeitig tilgen. Rückzahlungen aus dem zweiten LTRO sind ab Ende Februar möglich.
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