"Hier ist Deutschland Schlusslicht"

Interview mit Rosemarie Hein, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

14.05.2013 / linksfraktion.de, 13.05.2013

Die Fraktion DIE LINKE setzt sich in dieser Woche mit einem Antrag für eine kostenfreie Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten ein. Warum?


Rosemarie Hein:
Für eine gesunde Entwicklung brauchen alle Kinder eine gesunde und regelmäßige Ernährung – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern oder arbeitstätigen Eltern, denen wenig Zeit fürs Kochen zuhause bleibt. Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler verlässt das Haus früh morgens ohne Frühstück. Wie sollen sie da hoch konzentriert über den Tag kommen, wenn es nicht einmal das Mittagessen gibt? Besonders durch den Ausbau des Ganztagsangebots ist eine gute Verpflegung in Kita und Schule unabdingbar. Und kein Kind sollte zum Bittsteller beim Essen werden, wie es derzeit oft vorkommt. Die Gesellschaft trägt die Verantwortung für ihre kommende Generation.

Was muss getan werden, damit Schulen und Kindertagesstätten das mit ihrer bisherigen Ausstattung überhaupt leisten können?

An vielen Schulen gibt es keine Küche oder Mensa. Es braucht daher unter anderem die entsprechenden Räumlichkeiten und auch das entsprechend bezahlte Fachpersonal. Regionale, saisonale und ökologische Küche wäre natürlich am besten, nicht aufgewärmter Einheitsbrei. Um das alles umzusetzen, müssen die finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Der Bund drückt sich vor seiner Verantwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse und zeigt mit dem Finger auf die finanziell klammen Kommunen. Wir brauchen dringend Bundesmittel zum Aus- und Neubau von Küchen und Mensen. Für die Qualität sind verbindliche Standards, verankert in den Schulgesetzen, für die Kitas im SGB VIII, notwendig. Das Thema Ernährung muss verstärkt im Lernalltag vorkommen.


Wie schneidet Deutschland in puncto Kita- und Schulessen im Vergleich mit anderen Ländern ab?

Hier ist Deutschland Schlusslicht. In Schweden und Finnland – beides mit hohen Bildungserfolgen – ist kostenfreies Schulessen selbstverständlich. Nur ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland nimmt am Schulessen teil. Auch bei der Qualität herrscht in Deutschland ein düsteres Bild: Zu oft werden den Schulkantinen Qualitätsmängel bescheinigt. Dabei geht es um die Qualität der Speisen, aber auch um die Arbeitsbedingungen und die räumliche Situation der Esseneinnahme. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, wenn wir unseren Kindern gerecht werden wollen.

Seit gut zwei Jahren gibt es nun das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket, das als Prestigeobjekt von Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) gilt. Eltern, die Hartz IV beziehen, können für ihre Kinder finanzielle Unterstützung beantragen, für Nachhilfe, für den Sportverein, aber auch für das Schulessen. Hat’s geholfen?

Nein. Kein bisschen. Da hilft Frau von der Leyen ihr jüngst schön geredetes Zahlenwerk auch nicht weiter. Seriöse Erhebungen weisen im Detail leider andere Resultate auf: Maximal ein Viertel der Kinder bis zum 18. Lebensjahr haben eine der Paketleistungen mit allen Bestandteilen erhalten. Nur etwa jeder Fünfte unter 18 Jahren nimmt die Leistungen zur Lernförderung in Anspruch. Auch bei der Teilhabe an Kultur und Bildung sieht die Wirklichkeit anders aus. Wir brauchen stattdessen eine Kindergrundsicherung. Das Geld des Teilhabepakets kommt besser an, wenn es direkt in die Kitas und Schulen geht und nicht über Umwege.

Als das Bildungs- und Teilhabepaket zum 1. April 2011 auf den Weg gebracht wurde, gab es viel Ärger um den bürokratischen Aufwand. Gutscheine gegen Antrag, Jobcenter und Kommunen schienen überfordert. Ist es nach wie vor ein bürokratisches Monster?

Ja, war es und wird es auch bleiben. Hier liegt der Geburtsfehler dieses Pakets. Es geht so viel Geld auf der Tippeltappeltour hin zu den Kindern und Jugendlichen verloren, dass am Ende wenig bei ihnen ankommt. Ein Antragswust für Eltern, Lehrer, Vereine und Verwaltungen. Die Verantwortlichen im Jobcenter können nicht wirklich wissen, was ein Kind denn so brauchen könnte.

Was stört Sie an der Argumentation, dass Ministerin von der Leyen dabei vor allem an die Kinder dachte? Höhere Regelsätze hätten schließlich von den Eltern missbraucht werden können.

Diese Argumentation beschämt all diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, und stellt alle unter Generalverdacht. Aus dieser plumpen Argumentation heraus ist ja erst der bürokratische Irrsinn entstanden. Das Ergebnis war absehbar und mittlerweile haben wir es schwarz auf weiß: bürokratische Unkosten, die am anderen Ende fehlen, und eine mangelnde Inanspruchnahme von Leistungen, weil es einerseits für viele die Beantragung zu undurchsichtig ist und andererseits die eigenen Kinder nicht den Hartz-IV-Stempel aufgedrückt bekommen sollen. Das hat auch was mit Würde zu tun.

Von der Leyen will die Ende 2013 auslaufende Förderung für den Einsatz von Schulsozialarbeitern auslaufen lassen. Was halten Sie davon?

Ich halte es für einen fatalen Fehler, an Schulsozialarbeit einzusparen. Schon jetzt müssen die Länder und Kommunen Querstraßen nehmen, um Schulsozialarbeit irgendwie gerade so finanzieren zu können. Schulsozialarbeit ist ein wesentliches und unabdingbares Instrument zur Herstellung von Chancengleichheit in der Bildung und muss an jeder Schule stattfinden. Vielen Schwierigkeiten von Kindern und Jugendlichen kann durch die vielfältigen und wirkunsgvollen Möglichkeiten von Schulsozialarbeit frühzeitig begegnet werden. Schulsozialarbeit muss aus unserer Sicht im Jugendhilferecht des SGB VIII als Regelleistung verankert werden und wir brauchen ein Bundesprogramm mit Beteiligung der Länder zur Finanzierung flächendeckender Angebote der Schulsoziarbeit.

Am 8. Juni findet eine Konferenz der Fraktion DIE LINKE zum Thema „ Mit links gemeinsam lernen – Die Gemeinschaftsschule für alle“ in Berlin statt. Worum geht es und was erhoffen Sie sich?

Im Mittelpunkt linker Bildungspolitik steht das Konzept der Gemeinschaftsschule. Dieses Konzept ist unsere Alternative zur derzeitigen ausgrenzenden Organisation von Schule. Mittlerweile können wir auf einen breiten Erfahrungsfundus zurückgreifen, etwa in Berlin. Wir wollen mit dieser Konferenz einerseits den gegenwärtigen Stand der Gemeinschaftsschulen erfassen und Perspektiven entwickeln. Ich freue mich auf die interessanten Referenten und Referentinnen aus der Praxis, der Wissenschaft und der Politik und den regen Meinungsaustausch. Ich finde es spannend, unser Profil weiter zu schärfen. Ich lade alle Interessierten dazu ein, sich auf unserer Konferenz mit einzubringen.