Interview: Gitta Düperthal
Am heutigen Freitag soll der »Umfairteilen«-Kongreß in der Technischen Universität in Berlin beginnen. Worum geht es, wenn an diesem Wochenende etwa 800 Teilnehmer in elf Foren und 80 Workshops über Verteilungsgerechtigkeit diskutieren?
Wir wollen Alarm schlagen und die Öffentlichkeit auf die wachsenden Ungerechtigkeiten sowie den Trend zu überzogenen Einkommensunterschieden aufmerksam machen. Der Kongreß hat den wissenschaftlichen Anspruch, Ursachen des Problems zu untersuchen und Alternativen aufzuzeigen. Es geht um eine Art ökonomischer Alphabetisierung: Was auf den Finanzmärkten geschieht, ist derart kompliziert, daß viele Menschen Wissenslücken und Verständnisschwierigkeiten haben. Wir werden Forderungen an die politisch Verantwortlichen formulieren und an die Öffentlichkeit appellieren, sich gegen die neoliberalen Verhältnisse zur Wehr zu setzen.
Wir wollen zwar den Reichtum aus der Tabuzone holen, jedoch nicht an die Sparkonten herangehen, wenn wir eine Vermögenssteuer fordern: Es geht darum, die Finanzmärkte von Kapital zu befreien, das nicht mehr produktiv ist. Wir fordern eine einmalige Vermögensabgabe, um die aktuelle Krise zu bekämpfen. Nur so können die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen verbessert und öffentliche Ausgaben finanziert werden. Ein europaweites Programm für einen sozialökonomischen Umbau muß her. Wir werden auch die klassischen Forderungen stellen, um Steuerdumping und Steuerflucht zu bekämpfen und die Finanzmärkte zu regulieren.
Das Umfairteilen-Bündnis ist breit angelegt – Sozialdemokraten und Grüne sind auch dabei. Wieviel Rücksicht muß der Kongreß auf diese beiden Parteien nehmen?
Im Trägerkreis sind diese Parteien nicht vertreten – sicherlich gibt es darin einige Gewerkschafter, die das eine oder andere Parteibuch haben. Dem Bündnis gehören vor allem Gewerkschafen an – allen voran der DGB – sowie ATTAC, Medico International und Sozialverbände. Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund ist dabei, aus Österreich beteiligen sich die Gewerkschaft der Privatangestellten, die Wiener Arbeiterkammer und das Denknetz, ein »Think Tank« gewerkschaftlich orientierter Wissenschaftler. In diesem Kreis ist es einfacher, sich auf Forderungen zu einigen als mit Parteienvertretern. Daraus könnte eine europäische Initiative entstehen.
Am übernächsten Wochenende finden in Frankfurt am Main die Blockupy-Proteste statt. Ein Sprecher der Bewegung, die dort Banken blockieren will, vermutete schon, die Teilnahme von SPD und Grünen werde »Umfairteilen« daran hindern, die Abschaffung der Agenda 2010, der Troika sowie des Kapitalismus zu fordern. Stimmt das?
Im Programm des »Umfairteilen«-Kongresses gibt es durchaus Referenten, die sich für eine Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft einsetzen. Und die Teilnehmer werden sich sicherlich auch gegen die Agenda 2010 aussprechen.
Wie steht das »Umfairteilen«-Bündnis zu Blockupy?
Aus ATTAC-Sicht sind der Kongreß und Blockupy kein Gegensatz, sie ergänzen einander. Der Kongreß hat eine analytische Aufgabe, Blockupy ist mehr aktionsorientiert. ATTAC ist in beiden Bündnissen aktiv und unterstützt sie. Auf dem Kongreß wird Blockupy einen Workshop und einen Informationsstand haben, die Teilnehmer werden aufgerufen, sich an der Bankenblockade zu beteiligen. Ich gehe davon aus, daß die ATTAC-Vertreterin bei der abschließenden Podiumsdiskussion ebenfalls dazu aufrufen wird.
ATTAC muß also keinen Spagat machen?
Im Gegenteil, wir sehen uns in der Rolle eines Scharniers. ATTAC möchte die politischen Kräfte der verschiedensten Strömungen zusammenführen, die sich gegen diesen zugespitzten Kürzungs- und Sparkurs zur Wehr setzen.
SPD und Grüne sind zwar nicht im Trägerkreis, unterstützen »Umfairteilen« aber von außen her. Und Blockupy wird von der Linkspartei favorisiert …
Zugegeben, es ist nicht einfach, beides zu kombinieren. Leider haben wir es nicht geschafft, beide Strömungen zu einer gemeinsamen Veranstaltung zu bewegen – aber ist es nicht auch ein Erfolg, zwei Veranstaltungen zu haben, die nur eine Woche auseinander liegen?