Steuerhochland Deutschland – für wen?
Von Wolfgang Kühn
Eine vom Paritätischen Wohlstandsverband jüngst initiierte Umfrage zeigte, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik einem Richtungswechsel in der Steuerpolitik zustimmt. Sie erkennt einen ganz erheblichen Investitionsbedarf im Bildungswesen und im sozialen Bereich und empfindet zugleich die private Vermögensanhäufung in Deutschland als eher ungerecht. Es gibt in Deutschland eine breiteste Übereinstimmung zu diesen Fragen über alle Schichten und parteipolitischen Präferenzen hinweg. Die kurze Studie gibt auch einen Hinweis darauf, dass die Zustimmung in der Bevölkerung zu einer stärkeren Besteuerung großer Einkommen und Vermögen entscheidend von den zur Verfügung gestellten Informationen abhängt.
Eine jüngst herausgegebene Studie des Statistischen Amtes der EU (Eurostat) bestätigt diese in der deutschen Bevölkerung vorhandene Grundstimmung.
Innerhalb der Europäischen Union gab es im zurückliegenden Jahrzehnt einen Wettlauf um Steuersenkungen, in dem die Bundesrepublik dabei einen vorderen Platz belegte. Insgesamt sank die Steuerquote – das Verhältnis des gesamten Steuer- und Abgabenaufkommens zum produzierten Bruttoinlandsprodukt im Euroraum – von 40,9 Prozent im Jahr 2000 auf 39,5 Prozent im Jahr 2011.
In der Bundesrepublik fiel die Senkung dieser Steuerquote noch bedeutend höher aus – sie fiel von 41,7 Prozent auf 39,1 Prozent im gleichen Zeitabschnitt und blieb seit 2010 unter dem Durchschnitt des Euroraums. Mit der Steuerquote des Jahres 2000 wäre hier in Deutschland im Jahr 2011 an Stelle von 590 Milliarden Euro 657 Milliarden Euro in die öffentlichen Haushalte des Landes geflossen, ein beträchtlicher Batzen mehr für den Finanzminister.
Von derartigen Steuersenkungen blieben allerdings die Massensteuern, insbesondere die Umsatzsteuer verschont. Das Gegenteil trat ein. Der implizierte Steuersatz auf Konsum, das ist das Verhältnis der Einnahmen aus Konsumsteuern zu den Konsumausgaben der privaten Haushalte, stieg nach den Berechnungen der EU-Statistiker in der Bundesrepublik von 19,2 Prozent im Jahr 2000 auf 20,1 Prozent im Jahr 2011. Inzwischen ist die Umsatzsteuer und nicht die Lohnsteuer zur ergiebigsten und sichersten Steuerquelle in der Bundesrepublik geworden. Dazu beigetragen hat besonders der durch die schwarz-rote Bundesregierung eingeführte abrupte Erhöhung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes von 16 auf 19 Prozent ab dem Jahr 2007.
Vollkommen entgegengesetzt verlief in Deutschland der entsprechende implizierte Steuersatz auf Kapitaleinkünfte. Er umfasst im Zähler die Steuern auf die Einkünfte der privaten Haushalte und Kapitalgesellschaften aus Ersparnissen und Investitionen sowie die Steuern auf in früheren Perioden gebildetem Kapitalvermögen. Während in der Eurozone dieser so berechnete Steuersatz von 29,9 Prozent im Jahr 2000 auf 28,9 Prozent nur etwas geringfügig zurückging, verminderte sich dieser Satz im gleichen Zeitraum in der Bundesrepublik von 27 Prozent auf 22 Prozent. Derartig niedrige Besteuerungssätze auf Kapitaleinkünfte haben neben den Niederlanden im EU-Gebiet nur noch die ehemaligen sozialistischen Länder. Diese rasante Senkung der Steuersätze in Deutschland spiegelt sich im Aufkommen an Körperschaftsteuer – der Steuer auf das Einkommen von inländischen juristischen Personen wie beispielsweise Kapitalgesellschaften, Genossenschaften oder Vereinen – deutlich wider. 2000 flossen davon noch 24 Milliarden Euro in die Steuerkasse, 2012 waren es ein Drittel weniger – nur noch 16,9 Milliarden Euro. Dieser Betrag entspricht fast dem Aufkommen an Tabaksteuer im gleichen Jahr von etwa 14 Milliarden Euro. Finanzminister Schäuble sollte so den hiesigen Rauchern Dank schulden, sie stabilisieren seinen Haushalt kontinuierlich und sicher und fast in gleicher Höhe wie alle großen Konzerne, Aktiengesellschaften der Bundesrepublik zusammengenommen.
Zuerst erschienen in Neues Deutschland, 24. Mai 2013
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