Hört auf mit dem Geschwätz – handelt endlich
Von Otto König und Richard Detje
Im Verlauf der Großen Krise ist die Arbeitslosigkeit in den kapitalistischen Metropolen – den Mitgliedstaaten der OECD – um 16 Millionen gestiegen. Ein Zuwachs um ein Drittel auf gegenwärtig 48 Millionen.[1] Auch im fünften Krisenjahr ist kein Ende dieser äußerst depressiven Entwicklung absehbar.
Die Prognosen der International Labour Organization (ILO) besagen, dass im siebten Krisenjahr – 2015 – weltweit weitere acht Millionen arbeitslos sein werden – heute sind es 200 Millionen. Ein zusätzlicher Anstieg um vier Prozent pro Jahr.[2] Der depressive Kern ist der Euro-Raum mit einer Arbeitslosenquote im Mai von 12,1%. Für zumindest sechs Staaten in Europa prognostiziert die OECD auch mittelfristig steigende Arbeitslosenzahlen: Griechenland, Italien, Niederlande, Polen, Portugal und Spanien.
Das war nicht von vornherein so (s. Abb.).
Im Vergleich zur Entwicklung in den USA war der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Euro-Europa zunächst – wenn auch von einem höheren Niveau kommend – deutlich moderater, was von relativ erfolgreicherer Antikrisenpolitik zeugt. Allerdings bereits in diesen Jahren nicht aufgrund überzeugenderer Stabilisierungspolitik (die konjunkturpolitischen Impulse der USA waren keineswegs schlechter). Der Unterschied war maßgeblich sozialstaatlicher Natur: deren »eingebaute Stabilisatoren« wirkten. Doch bereits im Herbst 2010 lief die Entwicklung auseinander. In der OECD-Welt wurde es zumindest nicht fortwährend schlechter, in den USA ging die Arbeitslosenquote zurück – allerdings nur schleppend auf Niveaus, die bis hinauf zum Direktorium der Zentralbank als nach wie vor viel zu hoch angesehen werden, um eine nachhaltige Erholung zu ermöglichen.
Anstieg der Arbeitslosigkeit in und nach der Krise
Atemberaubend (»breathtaking«) war die Verschlechterung in Europa. Seit Mitte 2011 vollzieht sich auf den Arbeitsmärkten eine Entwicklung, die mit der der ersten Krisenjahre vergleichbar ist – aber bereits länger anhält und damit zu einem höheren Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat als in jenen Anfangsjahren, in denen der Schock des Absturzes auch der politischen Klasse in die Knochen fuhr, das Szenario einer erneuten »Great Depression« durchaus realistisch und dementsprechend Gegensteuern angesagt war.
Austeritätspolitik in einer Potenz, die es zuvor selbst in den Hochzeiten des Neoliberalismus eines Ronald Reagan und einer Margaret Thatcher nicht gegeben hat, treibt das Arbeitsmarktdesaster voran. In den 27 EU-Ländern waren insgesamt 5,5 Millionen junge Menschen arbeitslos, davon 3,5 Millionen im Euroraum. Damit haben etwa ein Viertel aller EU-Bürger_innen unter 25 Jahren keinen Job. In Griechenland und Spanien sind es weit mehr als die Hälfte. Italien, Portugal und Kroatien als neues 28. EU-Land liegen nur knapp darunter. Welch‘ ein Zynismus, wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble angesichts dieser Entwicklung feststellt: »Europa und die Jugend Europas haben ihre beste Zeit noch vor sich.«
Was wird geboten? Politikinszenierung! Die findet gegenwärtig auf zwei Flugrouten statt. Die eine geht nach Athen: zuerst Merkel, dann Schäuble aus nichtigen symbolischen Anlässen. Die andere über einen Umweg über Brüssel nach Berlin.
Erst wurde auf dem EU-Gipfel Ende Juni wolkenreich eine »Jugendgarantie« für Beschäftigung und Ausbildung verkündet. Dafür sollen 6 Mrd. Euro locker gemacht werden. Rein rechnerisch sind dies bei 5,5 Mio. arbeitslosen Jugendlichen gerade mal 1.070 Euro pro Kopf für zwei Jahre – makroökonomisch kaum mehr als ein Brosamen. ILO-Experten sehen dagegen einen Bedarf von mindestens 21 Mrd. Euro, um bei der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit Wirkung zu erzielen.
Wenige Wochen später demonstrierten die europäischen Arbeitsminister und ihre Staatschefs im Berliner Bundeskanzleramt ihren Tatendrang. Sie beschlossen ein Maßnahmepaket, das sich wie eine siebzehnseitige Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit liest: Information der Jugendlichen durch Berufsberater während der Schulzeit über Ausbildungswege und Berufsbilder, Online- und Telefonberatung, persönliche Gespräche, Förderung von Fremdsprachen und Projekten zur grenzüberschreitenden Mobilität, vergünstigte Kredite für Unternehmen, die schwer vermittelbare Jugendliche einstellen. Genereller Tenor: Das deutsche duale Ausbildungssystem sei Vorbild in Europa. Es wurde »ein großes Rad gedreht«, bejubelte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz die Inszenierung des »Wahlkampf-Gipfels« der Kanzlerin, den die TAZ (05.07.2013) zu Recht als »Schmierentheater« charakterisierte.
Denn erst verordnen Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble gemeinsam mit der »Koalition der neoliberalen Willigen« den südeuropäischen Staaten ein rigides Kürzungsprogramm, das deren Wirtschaft noch tiefer in den Krisenstrudel zieht, gewerkschaftliche Tarifpolitik aushebelt, Arbeitsplätze vernichtet und die Armutszonen vergrößert, um sich dann für Medizin in homöopathischer Dosierung feiern zu lassen.
Unbestritten ist, dass in Spanien junge Leute ohne vernünftige Ausbildung jahrelang im Bausektor gejobbt haben und nach dem Platzen der Immobilienblase ohne berufliche Perspektive dastehen. Und unbestritten sind Mängel in Ausbildungssystemen, in denen praktische Berufserfahrungen nicht vermittelt werden. Dennoch besteht das Hauptproblem darin, dass es nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in Europa betrifft laut Eurofound alle jungen Menschen, auch die gut ausgebildeten. Gerade die sind es, deren Auswanderungsüberlegungen durch Länder wie die Bundesrepublik noch bekräftigt werden. Dabei liefert die jüngere ost-deutsche Geschichte hinlänglich Anschauungsmaterial darüber, was langfristig in jenen Regionen geschieht, aus denen qualifizierte Jugendliche mangels Perspektiven flüchten.
Die selbsternannten Kümmerer führen die »geringe Flexibilisierung des Arbeitsmarktes« als Beleg für die hohe Zahl der jugendlichen Arbeitslosen an. Entsprechend erschallt der einstimmige Ruf nach weiterer Deregulierung. Im Visier haben sie den tarifvertraglichen Kündigungsschutz für ältere Beschäftigte. Doch wenn Ältere künftig schneller gefeuert werden können, hilft das noch keinem Jungen zu einem Arbeitsplatz. Wenn aufgrund der Rezession die Wirtschaft schrumpft, die Investitionen zurück gefahren werden, werden die Unternehmer weiter Arbeitsplätze vernichten, statt neue zu schaffen. Auch hier könnte aus der eigenen Geschichte gelernt werden. Von 2000 bis 2012 ist in Deutschland die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der 15- bis unter 25-Jährigen um 13,2% gesunken, während die Zahl der Jugendlichen, die nur einen befristeten Job haben, um 25% auf 985.000 gestiegen ist – die der jungen Frauen sogar um 76%! Die Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarktes in Folge der Hartz-Gesetze hat vor allem zur Ausweitung prekärer Beschäftigungsformen geführt, von denen besonders junge Menschen betroffen wurden.
Förderprogramme können eine Brücke sein, doch wer Europas Jugend wirklich helfen will, muss die Austeritätspolitik beenden und in den südeuropäischen Staaten die Konjunktur mit Investitionsprogrammen ankurbeln. »Wir brauchen einen auf Jobs und produktive Investitionen fokussierten globalen Aufschwung sowie besseren Schutz für die ärmsten und verwundbarsten Gruppen.« (ILO-Generaldirektor Guy Ryder) Neben einem wirksamen »Sofortprogramm für Jugendbeschäftigung« werden vor allem Zukunftsinvestitionen in Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur benötigt. Der »Marshall-Plan« des DGB könnte ein Ansatz sein.
[1] OECD: World Employment Outlook 2013. Paris, 16. July 2013.
[2] ILO: World Employment Report 2013. Genever 2013.
Ähnliche Artikel
- 26.04.2012
- 25.10.2011
GREGOR GYSI: 90 Prozent unserer Zeit darauf verwenden, Politik zu machen
- 02.02.2013
- 18.12.2012
Auf des Messers Schneide - Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2013
- 27.11.2012