Es kann immer wieder Verwerfungen geben
Der Ökonom Joachim Bischoff über aktuelle Krisentendenzen im Weltfinanzsystem
Joachim Bischoff (geb. 1944) ist Ökonom, Mitherausgeber der Monatszeitschrift »Sozialismus« und im Lektorat des VSA-Verlags tätig. Die globale Finanzkrise seit 2007 hat er in mehreren Büchern analysiert. Zuletzt erschien von ihm (und Christoph Lieber) »Die ›Große Transformation‹ des 21. Jahrhunderts. Politische Ökonomie des Überflusses vs. Marktversagen«. Mit Bischoff sprach Guido Speckmann.
nd: Fünf Jahre nach der Lehman-Pleite: Ist die Weltwirtschaftskrise inzwischen überwunden?
Bischoff: Nicht nur ich, sondern die große Mehrheit der Ökonomen sieht die Gefahren, die durch den schweren Absturz der Realökonomie und durch die Brüche im internationalen Finanzsystem hervorgerufen wurden, noch nicht beseitigt.
Kürzlich meinte ein Finanzinvestor, dass sich die Situation an den Finanzmärkten im Moment so anfühle wie 2007. Steht eine neue Finanzkrise bevor?
Einerseits ist der akute Krisenzustand im Finanz- und im Bankensystem deutlich entschärft worden. Andererseits hat sich in allen kapitalistischen Hauptländern die Realökonomie noch keineswegs wieder so weit erholt, dass zu einem normalen Akkumulationsrhythmus zurückgekehrt werden konnte. Es gibt immer noch Spannungen zwischen dem zu großen Finanzsektor und der Realökonomie. Solange das nicht aufgelöst wird, kann es immer wieder Verwerfungen geben.
Sehen Sie Tendenzen zu einer neuen Blasenbildung?
Das ist ein wesentliche Faktor, der immer noch nicht gelöst ist. In den vergangenen fünf Jahren ist der überwiegende Teil der öffentlichen Unterstützungszahlungen in das Bankensystem geflossen und nur ein Bruchteil in die Stützung der Realökonomie. Der Finanzsektor ist immer noch viel zu groß, was auch auf die öffentliche Intervention der USA, Großbritanniens und der Eurozone zurückzuführen ist. Doch ohne diese wäre der Absturz wesentlich drastischer verlaufen.
Wäre es besser gewesen, im Jahr 2008 auch Lehman Brothers mit Staatsgeld zu retten?
Das ist eine hypothetische Überlegung. Wenn die Eliten im September 2008 geahnt hätten, welche Dimensionen die Pleite annehmen wird, wäre es klüger gewesen, Lehman zu retten. Aber dieses Wissen entstand erst mit den von Lehman ausgehenden Schockwirkungen.
War die bis heute anhaltende Niedrigzinspolitik die richtige Anti-Krisen-Strategie?
Die umstrittene Niedrigzinspolitik hatte lange vor der Lehman-Pleite unter dem Chef der US-Notenbank Fed, Alan Greenspan, zur Aufblähung des Immobiliensektors nicht nur in den USA geführt. Aus marxistischer Sicht ist entscheidend, dass eine Tendenz zur beschleunigten Akkumulation von Geldkapital schon vorher existierte. Das war und ist die eigentliche Grundkonstellation. Nach dem Platzen der Immobilienblase setzten größere, gleichwohl unzureichende Entwertungsprozesse ein. Zudem sind die auf den Weg gebrachten Regulierungsmaßnahmen unzureichend. Das heißt: Es gibt noch immer ein reichliches Kapitalangebot und ohne Weiteres kann die Fed nicht einfach den Zinssatz nach oben setzen, was sie für den Herbst angekündigt hat. Viele gehen davon aus, dass das in kleinen Schritten passiert. In einigen Schwellenländern führt dies momentan zu Kapitalabzug und Währungsabwertungen.
Besteht die Gefahr einer neuen Asienkrise, vergleichbar mit der von 1997/98?
Grundsätzlich ausschließen kann man das nicht. Der Umfang der Kapitalabflüsse aus Indonesien und Indien ist sehr groß. Doch die Situation ist nicht ohne Weiteres zu vergleichen .
Wie ließe sich das Überangebot von Kapital denn verringern ?
Gänzlich falsch ist die derzeitige Spar- oder Austeritätspolitik. Diese verstärkt das Missverhältnis zwischen Finanz- und Realökonomie noch weiter. Man müsste vielmehr eine nachfrageorientierte Förderungspolitik betreiben und eine Reduzierung des Finanzsektors anstreben. Damit ist natürlich das folgende Grundproblem aufgeworfen: Will man mit einer rigorosen wettbewerbspolitischen Orientierung aus dieser Konstellation herauskommen? Oder ist nicht die Förderung einer Binnenmarktentwicklung die viel tragfähigere Strategie?
Zunächst wurde ja mit Konjunkturprogrammen auf die Krise reagiert. Wieso erfolgte dann der Übergang zur Austeritätspolitik?
Das Bewusstsein in den politischen Auseinandersetzungen ist nach wie vor unzureichend, was die Notwendigkeit von Investitionen in öffentliche Infrastruktur anbelangt. Überdies muss die soziale Ungleichheit als wirkliche Ursache berücksichtigt und eine Verschärfung der Verteilungsrelationen verhindert werden, damit eine Entwicklung hin zu mehr öffentlichem Konsum und Infrastruktur eingeschlagen werden kann. Insofern sind wir mit gefährlichen Entwicklungslinien konfrontiert.
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