Bund, Länder und Kommunen: Der Umgang mit der Schuldenbremse
Interview mit Axel Troost
In dieser Woche trat der neue Bundestag erstmals zusammen. Wieder mit dabei ist auch Dr. Axel Troost, der ehemalige Bremer Landessprecher und jetzige Wahl-Leipziger.
Am kommenden Mittwoch (30. Oktober 2013) ist der Bundestagsabgeordnete wieder in Bremen zu Gast, diesmal als Referent der Linksfraktion. Ab 17 Uhr wird Troost im Rahmen der Informationsveranstaltung der Linksfraktion einen Vortrag zur Schuldenbremse halten.
Vorab führte unsere Redaktion mit ihm ein Gespräch. Die Fragen stellte Michael Horn:
REDAKTION: Herr Troost, in wenigen Wochen verabschiedet die Bremische Bürgerschaft unter dem Diktat der Schuldenbremse den Landeshaushalt für die Jahre 2014/2015. Was ist eigentlich eine Schuldenbremse, welche Auswirkungen hat sie?
DR. AXEL TROOST: Die so genannte Schuldenbremse bezeichnet den 2009 geänderten 3. Absatz des Artikel 109 des Grundgesetzes. Sie sieht vor, dass ab dem Jahr 2020 die Bundesländer in wirtschaftlich normalen Zeiten keine neuen Schulden mehr aufnehmen dürfen. Nur in Zeiten konjunktureller Krisen und in Notfällen, wie bei Naturkatastrophen, ist die Aufnahme neuer Schulden gestattet.
Die Schuldenbremse bewirkt, dass Bundesländer jedes Jahr nur so viel Ausgaben tätigen dürfen, dass sie die eingenommenen Steuern, Gebühren, Beiträge und sonstige Einnahmen nicht übersteigen. Dies klingt zunächst logisch und richtig, insbesondere wenn dies anhand des Beispiels der schwäbischen Hausfrau dargestellt wird. Dass die Haushalts- und Finanzpolitik eines Bundeslandes nicht wie ein Privathaushalt geführt werden kann, vergessen viele Menschen.
In manchen Situationen ist es sinnvoll, auf einen ausgeglichenen Haushalt zu verzichten. Beispielsweise um Brücken, Straßen, Schulgebäude und Krankenhäuser vor dem Zerfall zu schützen oder zu ersetzen. Diese Investitionen können nicht einfach um mehrere Jahre aufgeschoben werden, bis ausreichend Geld angespart worden ist. Ganz zu schweigen davon, dass eine Verschiebung von Instandsetzungsarbeiten in vielen Fällen nicht nur zu deutlich höheren Kosten führt als eine rechtzeitige Reparatur. Durch die Verzögerung werden auch andere Bereiche in Mitleidenschaft gezogen. Baufällige Straßen führen ebenso zu zusätzlichen Beschädigungen an Autos, gesperrte Straßen und Brücken können für Transportunternehmen teuer werden.
Bund, Länder und Kommunen können doch aber nur Geld ausgeben, was sie haben. Deshalb scheint doch die Regelung sinnvoll, die Staatsverschuldung Deutschlands zu begrenzen und das Haushaltsdefizit abzubauen.
Wie bereit in der vorherigen Frage ausgeführt, ist dies viel zu kurz gegriffen. Zum ersten ist es zwar richtig, dass dauerhaft hohe Haushaltsdefizite und hohe Staatsschuldenstände zu einer finanzpolitischen Instabilität führen. Daraus abzuleiten, dass die Aufnahe von Schulden grundsätzlich falsch sei, ist jedoch nicht korrekt.
Ein Verbot zur Aufnahme neuer Schulden begrenzt die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte. Anstelle Impulse für die Zukunft zu generieren, sind sie zur Durchsetzung eines Kürzungsdiktates verdammt. Alleine im Jahr 2012 ist der Investitionsrückstand der Kommunen - nach Schätzungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau - um über 20 auf rund 128 Milliarden Euro angestiegen. Die dringend notwendige Fortsetzung des Kita- und Ganztagsschulausbaus ist dabei noch nicht einmal erfasst.
Ein Begrenzung des Haushaltsdefizits und der Staatsverschuldung ist nur sinnvoll, wenn die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte erhalten bleibt und ausreichend Finanzmittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben vorhanden sind. Einen Defizitabbau ausschließlich durch Kürzungen zu erzwingen, ist aus finanz- und haushaltspolitischen Überlegungen vollkommen falsch. Vor allem aber werden die zukünftigen Generationen hierdurch immer stärker belasten, weil zuallererst an den Ausgaben gespart wird, die sie am meisten beanspruchen oder die sie auch in Zukunft noch nutzen können - Soziales, Bildung, Infrastruktur, Gesundheit.
Was kann, was sollte Bremen in seiner derzeitigen Situation machen?
Bremen bleiben nur zwei Möglichkeit, um zumindest mittelfristig mit einem blauen Auge davon zu kommen. Zum ersten sollte Bremen die Verhandlungen um den Länderfinanzausgleich nutzen, um seine Finanzsituation zu verbessern. Dies kann entweder durch eine stärkere Umverteilung der Finanzmittel zu seinen Gunsten erfolgen, oder indem Teile der Ausgaben im Bremer Landeshaushalt von Dritten übernommen werden.
Beispielsweise könnte ein so genannter Altschuldenfonds aufgelegt werden, durch den Bremen seine Zinszahlungen reduzieren könnte. Alternativ könnte der Bund, so wie er es bereits bei den Kommunen gemacht hat, einen größeren Teil der Sozialausgaben übernehmen, die aufgrund von Bundesgesetzen von den Bundesländern (mit-)finanziert werden müssen.
Dies kann jedoch nur eine Zwischenlösung sein, denn der oben bereits erwähnte Investitionsrückstand der Kommunen zeigt, dass nicht nur der Bremer Landeshaushalt unterfinanziert ist. Eine bessere Verteilung des Mangels ist zwar bereits ein Fortschritt, kann jedoch nicht das Ziel sein.
Daher sollte Bremen zweitens auf eine Erhöhung der Steuereinnahmen bestehen. Die öffentlichen Haushalte sind unterfinanziert. Wenn es zu keinen weiteren Einschnitten bei öffentlichen Leistungen kommen soll, ist dies unumgänglich.
Sie haben 27 Jahre in der sicherlich schönsten Hansestadt Deutschlands gelebt und kennen sich hier noch gut aus. Welche Auswirkungen sehen Sie für das kleinste Bundesland, wenn im Jahr 2020 das Verbot der Nettokreditaufnahme der Länder in Kraft tritt.
Für 2020 sieht meine Prognose düster aus, solange sich nichts an den Steuereinnahmen oder dem Länderfinanzausgleich verändert. Ob Bremen die Schuldenbremse ab 2020 dauerhaft einhalten kann, ist für mich noch weitgehend offen. Denn die Folgen eines Sparkurses, wie Bremen ihn derzeit ansteuert, sind nur schwer zu prognostizieren. Zwar orakeln viele ÖkonomInnen die Kürzungen hätten auf das Wirtschaftswachstum - und damit auch auf die Steuereinnahmen - keinen Einfluss. Dieselben ÖkonomInnen haben jedoch mit den gleichen Theorien und Modellen bereits mit ihren Prognosen für Griechenland kräftig danebengelegen.
Besondere Sorgen machen mir allerdings die vielen Projekte im Bereich Soziales, Bildung und Kultur. Immer dort, wo kaum oder gar keine bundeseinheitlichen Standards definiert sind, werden vor allem Minderheiten und sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen weiter an den Rand der Gesellschaft verbannt.
Bremen besitzt bereits heute kaum noch Finanzmittel, um entsprechende Initiativen zu unterstützen. Die jeweiligen Landesregierungen werden zu Verwaltern des Mangels degradiert, ohne über Spielräume für politische Entscheidungen zu verfügen. Schlimmer noch, es steht zu befürchten, dass Bildungs-Projekte wie die Inklusion dauerhaft beschädigt werden. Die fehlenden Finanzmittel für die Umsetzung und der daraus resultierende schwierigere Unterricht in Klassen mit den betroffenen Kindern wird dazu führen, dass die Ablehnung der Inklusion weiter zunimmt.
Ein Jahr vorher läuft der Länderfinanzausgleich aus. Über diese Regelung unterstützen reichere Bundesländer die ärmeren Bundesländer, um gleiche soziale Verhältnisse in der Bundesrepublik herzustellen. Bayern lehnt es ab, weiterhin ärmere Gebiete wie Bremen oder das Saarland zu unterstützen, obwohl es selbst Jahrzehntelang von dieser Vereinbarung profitierte. Wie stellen Sie sich Neuordnung der Länderfinanzen vor?
Für eine Reform des Länderfinanzausgleichs sind aus meiner Sicht die folgenden acht Punkte zu beachten:
1. Auskömmliche Finanzausstattung aller Bundesländer und Kommunen. Länder und Kommunen sind strukturell unterfinanziert. Insbesondere bei Gültigkeit der Schuldenbremse muss ihre Finanzausstattung deutlich erhöht werden.
2. Voller Einbezug der Kommunen in den LFA. Derzeit wird nur 64 Prozent des kommunalen Steueraufkommens im LFA berücksichtigt. Diese Sonderregelung bevorzugt die wirtschaftsstarken Bundesländer, die in aller Regel auch über finanzstärkere Kommunen verfügen. Dieses Privileg muss abgeschafft werden.
3. Stärkere Einbindung des Bundes. Leistungen von Kommunen und Ländern, die auf einem individuellen Anspruch der Leistungsempfänger aufgrund von Bundesrecht beruhen, sollen nach Möglichkeit auch vom Bund getragen werden.
4. Aufgabengerechte Finanzausstattung. Der bisherige LFA sorgt für eine Angleichung der Einnahmen der Bundesländer. Die Ausgabenstrukturen werden dabei nicht berücksichtigt. Dabei unterscheidet sich insbesondere die Anzahl der Armen und Sozialhilfeberechtigten zwischen den Bundesländern ganz erheblich, die wiederum hohe Ausgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge erfordern. Ein „Soziallastenfaktor“ könnte ein Ansatz für ein Korrekturmaß sein.
5. Die drei Stadtstaaten stehen besonderen Aufgaben gegenüber, die erhöhte Ausgaben erfordern und damit erhöhte Einnahmen rechtfertigen. Auch andere Sonderbedarfe, die gut begründbar sind, sollten im LFA berücksichtigt werden.
6. Steuergerechtigkeit sicherstellen. Um der Praxis des zu laxen Steuervollzugs ein Ende bereiten, mit dem einige Bundesländer sich illegal Vorteile verschafft haben, ist die Steuerverwaltung, die bisher in der Hand der Bundesländer liegt, auf den Bund zu übertragen.
7. Altschuldenfonds. Gerade im Hinblick auf die Schuldenbremse ist es unerlässlich, Länder und Kommunen von den Zinszahlungen zu entlasten, um eine aufgabengerechte Erfüllung der öffentlichen Daseinsvorsorge bundesweit sicherzustellen.
8. Solidarpakt III. Auch ein nach unseren Vorstellungen reformierter LFA berücksichtigt nur die im aktuellen Jahr verfügbaren Steuereinnahmen der Bundesländer und ihrer Kommunen sowie spezifische Aufgabenbedarfe. Strukturelle Mängel wie beispielsweise die vielerorts bereits ausgezehrte Infrastruktur können dabei nicht berücksichtigt werden. Deshalb wird auch nach 2019 ein über den Solidarzuschlag gespeister Solidarpakt III benötigt, der wirtschaftsschwache Regionen in Ost und West sowie Süd und Nord mit Infrastruktur- und weiteren Fördermitteln unterstützt.
Ihre Umsetzung ermöglicht die Herausbildung eines sozialen und solidarischen Föderalismus, der es den Bundesländern ermöglicht, ihre Ausgaben an den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung auszurichten. Gleichzeit kann die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sichergestellt werden.
Eine letzte Frage: In dieser Woche konstituierte sich der neugewählte Bundestag, in dem DIE LINKE offenbar die Opposition anführen wird, wenn es zu einer Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD kommt. Welche Auswirkungen wird diese Konstellation haben auf die Finanzen von Länder und Gemeinden?
Da die Koalitionsverhandlungen noch nicht richtig begonnen haben, ist eine Prognose sehr schwierig. Leider hat sich die SPD sehr schnell von den Forderung nach einer Besteuerung von großer Vermögen und einer Erhöhung der Steuern auf hohe Einkommen verabschiedet.
Es zeichnet sich daher bereits jetzt ab, das es keine echten Steuererhöhungen geben wird, die Ländern und Gemeinden die dringend benötigten zusätzlichen Einnahmen erbringen könnten. Lediglich eine stärkere Bekämpfung von Steuerbetrug könnte ihnen begrenzt zusätzliche Steuereinnahmen erbringen. Die einzige verbliebene konkrete Forderung aus dem Steuerkapitel des SPD Parteiprogramms - die Finanztransaktionsteuer - würde ausschließlich dem Bund zufließen.
Ebenso sind Forderungen nach einem Investitionsprogramm für die Infrastruktur und die Übernahme von sozialen Leistungen, die bisher die Kommunen tragen, sehr unspezifisch. Bei der Übernahme der sozialen Leistungen konzentriert sich die SPD zudem vor allem auf die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung. Eine Beteiligung des Bundes an diesen Kosten war jedoch bereits bei den Verhandlungen um den Fiskalvertrag zwischen CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen 2012 vereinbart worden. So ist bisher noch nicht abzusehen, wie viel Finanzmittel für welche Bereiche bereit gestellt werden und wer überhaupt davon profitieren wird. Da es jedoch kaum zusätzliche Einnahen beim Bund geben wird, steht für all dies nur ein eng begrenzter Finanzrahmen zur Verfügung.
Herr Troost, vielen Dank für dieses Gespräch. Wir freuen uns schon auf Ihren Vortrag am kommenden Mittwoch um 17 Uhr im Bremer DGB-Haus.
Weitere Infos zum Thema Landeshaushalt finden Sie hier.
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