EZB-Politik im Dilemma: Die drohende Deflation enteignet die Sparer
Von Rudolf Hickel
Die geldpolitische Linie der Europäischen Zentralbank ist klar: Wirtschaft und Staat können sich für längere Zeit auf eine Versorgung mit Billiggeld einstellen. Derzeit zahlen die Banken für den Kauf von Liquidität von der Euro-Notenbank nur noch 0,25 Prozent an Zinsen. Und Mario Draghi hat noch einen drauf gesetzt. „Wir haben die Untergrenze noch nicht erreicht und könnten den Zinssatz grundsätzlich weiter senken“. Ein Nullzins, der den Banken kurzfristig Geld schenkt, ist noch vorstellbar. Wenn dann das preislose Geld die Banken immer noch nicht zur Vergabe billiger Kredite animieren sollte, wäre zumindest theoretisch ein Negativzins vorstellbar. Das kann nur heißen: Die Banken erhalten eine Zugabe für den Kauf der Liquidität.
Spätestens hier zeigt sich, dass die Geldpolitik mit ihrer hehren Absicht, die Wirtschaft anzukurbeln, mangels Wirksamkeit die Handlungsfähigkeit verlieren kann. Dagegen verdienen die Rechtfertigungen dieser Politik des fast kostenlosen Geldes von der Zentralbank große Anerkennung. Im Zentrum steht die Gefahr der Deflation. Diese wird heute schon durch die niedrige Inflationsrate im Euroraum mit unter einem Prozent signalisiert. Auch in Deutschland bewegt sich die Rate der Geldentwertung nur noch knapp über einem Prozent. Sie liegt damit unter der wie ein Schmiermittel wirkenden Zielinflationsrate von zwei Prozent. Deflation heißt, dass auf breiter Front die Preise sinken und damit die Gewinnerwartungen der Unternehmen schrumpfen. Gegen diese Gefahr einer sich festsetzenden Deflation, die nach den Erfahrungen in Japan Jahrzehnte andauern kann, richtet sich die monetäre Verbilligung der Nachfrage. Jedoch, dem über die Bankenwirtschaft erwarteten Übertragungsmechanismus in die reale Wirtschaft verweigert die wirtschaftliche Realität die Gefolgschaft. Banken sollten das fast geschenkte Geld nutzen, die Nachfrage nach Krediten zur Finanzierung von Investitionen in der Wirtschaft anzuregen. Die Gründe für das Scheitern dieser Transmission liegen auf der Hand. Zum einen sind nicht nur große Unternehmen wegen ihrer Liquidität nicht auf die Fremdverzinsung über die Finanzmärkte angewiesen. Zum anderen verhalten sich die Banken vor allem bei der Kreditvergabe kleinerer und mittlerer Unternehmen ausgesprochen restriktiv. Im Euroraum nimmt die Klage über eine Kreditklemme zu. Schließlich liegt der Kern gesamtwirtschaftlich unzureichender Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen in der realen Ökonomie. Mangels mittelfristig einigermaßen stabiler Gewinnerwartungen macht sich ein Investitionsattentismus breit. Übrigens, die realökonomisch begründbare Zurückhaltung bei der Kreditaufnahme erklärt auch die schrumpfenden Zinsen für die Sparer. Schließlich sind die Niedrigzinsen in der Nähe der Nullzone Folge der überschüssigen Liquidität der Banken, denen es an rentablen Anlagemöglichkeiten fehlt. Daher erzeugt am Ende die Notenbank nicht für die vielfach behauptete Enteignung der Sparer durch reale Verluste des Sparguthabens. In ihrer Geldpolitik spiegelt sich die nachfragelahme Realwirtschaft wieder. Würde sich die Deflation austoben, dann wären die Sparer Opfer durch Einkommens- und Arbeitsplatzverluste. Der Weg der Sparer aus dieser „fiskalischen Repression“ geht nur über eine Überwindung der deflationären Lage.
Die Notenbankpolitik bewegt sich in einem tragischen Dilemma. Sie setzt mit der billigen Geldversorgung die richtigen Signale gegen die drohende Deflation mit hohen Arbeitsplatzverlusten. Die Euro-Notenbank muss jedoch endlich erkennen, mit diesen geldpolitischen Instrumenten kann sie allein die Wirtschaftskrise nicht überwinden. Der richtigen Symbolik steht die Unwirksamkeit bitter gegenüber. Der Supermario droht zur Depressionsfigur zu mutieren. Aus diesem Dilemma führt nur eine Finanzpolitik, die die Binnenwirtschaften stärkt. Deshalb muss die staatliche Restriktionspolitik, die vor allem in den Krisenländern zu einer tiefgreifenden Rezession geführt hat, überwunden werden. An die Stelle des trostlosen EU-Fiskalpakts muss eine Infrastrukturoffensive und eine Stabilisierung sozialer Strukturen durchgesetzt werden. Steigende gesamtwirtschaftliche Produktion beschert den Sparern auch wieder ordentliche Zinsen. Die Geldpolitik kann nur ohne Differenzierung der Frage, was produziert werden soll, das Wirtschaftswachstum allgemein monetär unterstützen. Dagegen bietet die Finanzpolitik die Möglichkeit, demokratisch bestimmt zukunftsfähige Produktion etwa im Bereich der alternativen Energien, von Bildung und Forschung, Verkehrssystem und Vereinbarkeit von Familie und Beruf durchzusetzen.
Zuerst (in einer gekürzten Version) erschienen in der "taz" vom 15. November 2013
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