Frankreichs neu erfundene Sozialdemokratie?

Von Bernhard Sander

25.01.2014 / sozialismus.de, vom 22.01.2014

Die Sozialistische Partei Frankreichs, die seit 2012 mit absoluter Machtfülle in den Institutionen die Geschicke des Landes mehr verwaltet als lenkt, kann sich nicht zu einem konsistenten Anlauf einer Re-Regulierungspolitik entschließen und die Linke der Linken verstrickt sich im Vorfeld der Kommunalwahlen in internen Auseinandersetzungen.

Die PS, die eigentlich eine sozialdemokratische Partei ist, hat immer noch erhebliche Kontaktflächen zum untergegangenen neoliberalen Zeitgeist, aber auch zum Glauben an nationale Souveränität.

Allerdings schwankt die Partei 30 Jahre nach ihrem Antritt für einen »Sozialismus in den Farben Frankreichs« und dem unmittelbar darauf einsetzenden Siegeszug des Neoliberalismus heute zwischen zwei Polen, was sich zunächst begrifflich erkennen lässt: Sind Löhne nun Kosten der Arbeit oder ihr Preis, sind es Soziallasten oder -beiträge, geht es um einen Wettbewerbschock oder um einen Sozialpakt? Die Verstrickungen in das neoliberale Gedankengut wirken nach.

Damit aber fällt die Profilierung gegenüber dem bürgerlichen Lager (vor allem der UMP) schwer. Worin liegt die Identität der Sozialdemokraten? Schon 1979, also noch vor dem Machtantritt von Sozialisten und Kommunisten, hatte ihr Michel Foucault vorgehalten, dass »es keine autonome sozialistische Gouvernementalität gibt«. Der Sozialismus der PS könne nur die Macht ausüben, »gestützt auf eine Rationalität, die nicht ›sozialistisch‹, sondern ›liberal‹, also ›neoliberal‹ ist, und in diesem Moment spielt der Sozialismus und seine Formen der Rationalität einfach die Rolle des Gegengewichts, des Korrektivs, des Schmerzmittels«.

In der PS-Regierung konkurrieren zwei Narrative: In dem einen geht es um »Aufbruchstimmung«, in dem anderen um »volkswirtschaftlichen Patriotismus«. Aus dem ersteren folgt die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die Förderung von Zukunftstechnologien, die Flexibilisierung der Arbeitskraft usw. (Gallois-Report) und damit die Anknüpfungsfähigkeit, aber auch die Verachtung für den gescheiterten neoliberalen Kosmos.

Aus dem »volkswirtschaftlichen Patriotismus« folgt die vorübergehende Verstaatlichung maroder Stahlwerke, das Verbot von Entlassungen bei Unternehmen mit Aktiengewinnen, Ent-Globalisierung, staatliche Investitions- und Nachfrageförderung (Montebourg) und damit der Anschluss an das protektionistische Gedankengut der vom Rechtspopulismus Gefährdeten.

Die Unentschiedenheit der Regierung zwischen diesen beiden Konzepten mündet in Lähmung statt in der versprochenen Veränderung. Zusammen mit der Unsicherheit, wie der Krise der Finanzwelt effektiv zu begegnen ist, und der dazu im grotesken Widerspruch stehenden Dauerpräsenz der Politiker in allen Kommunikationskanälen, ergibt sich daraus der Eindruck, dass die Linke an der Regierung nur einen Prozess sozial moderiert und abfedert. François Hollande in seiner Bilanz zu den ersten 100 Tagen: »Ich glaube dass es für Frankreich besser ist, dass die Linke diesen Wandel gestaltet, dass sie es auf dem Verhandlungswege tut und in Gerechtigkeit, ohne die Schwächsten zu verletzen oder sie zu beachten.«

Um sich aus der Befangenheit vom Neoliberalismus zu lösen bzw. davon, diesem zugeordnet zu werden, müsste die PS erst einmal erklären können, wieso es soweit gekommen ist. Dies schließt nicht nur eine Erklärung der Finanz- und Währungskrise ein, sondern auch das Eingeständnis, welche negativen Folgen die Globalisierung und die politischen Konzepte des Dritten Weges gehabt haben. In der Wahrnehmung der »Mittelschichten« dominiert, dass es immer weniger zu Leben reicht, dass »die Politiker uns vergessen haben«, und dass täglich irgendwo im Land rd. 1.000 Arbeitsplätze unwiderruflich zerstört werden.

Ein Bewusstsein davon, wessen Interessen man in diesem Wandel verteidigt, scheint die Sozialdemokratie verloren zu haben. Bis in die Sprache hinein wird erkennbar, dass es nicht die Produzenten sind. Und diese beschleicht das Gefühl, dass es doch nur wieder die Rentiers und Börsenjobber sein könnten. Eine wirklich ausstrahlende »große Erzählung« müsste auch in der PS die »Fabel, dass die Depression die notwendige Konsequenz von vorauf gegangenen Sünden ist, die in der Folge auch nicht abgemildert werden dürfen« (Krugman), ersetzen.

Hollandes allgemein mit Schröders Basta-Rede verglichener Auftritt beim Neujahrsempfang ist weit davon entfernt, das Dilemma zu lösen. Er stellt sich zwar auf die Seite der Modernisierung. Er verprellt damit die Gewerkschaften und vor allem die Linke der Linken, denen er überhaupt seine Wahl zu verdanken hat.

Gegenüber dem Front National wird er damit nicht punkten können. Es ist die Mischung aus Abstiegserfahrung, Europa-Skepsis, Verlust von sozialstaatlichem Schutz, Ressentiments und Sozialprotest in Verbindung mit wieder erstarkten neoliberalen Werten und Glaubenssätzen, die das Programm des FN attraktiv erscheinen lässt. Marine Le Pen kann deshalb Hollandes Programm als Flucht in den Neoliberalismus und Zerschlagung des Sozialstaats, mithin als Aufgabe des nationalen Zusammenhalts und Unterwerfung unter das Diktat Merkels geißeln.