Trotz Kritik an deutschen Exportüberschüssen kein Politikwechsel in Sicht
Von Axel Troost
Ende November letzten Jahres hatte die EU-Kommission eine Prüfung von Deutschlands anhaltend hohem Exportüberschuss angekündigt. Nach einigen Wochen kommt jetzt das erwartete Ergebnis: Die EU-Kommission rügt die enormen deutschen Exportüberschüsse der letzten Jahre. Um Schaden von der Euro-Zone abzuwenden, fordert die Brüsseler Behörde mehr Investitionen zur Stärkung der Binnennachfrage.
Der EU-Kommissar Rehn argumentiert: „In Deutschland gibt es regelmäßig einen Überschuss, der zwar auf eine extrem starke Wettbewerbsfähigkeit, aber zugleich auf geringe Investitionen im Inland hinweist.“ Es gehe der EU-Kommission nicht darum, Deutschland einseitig zu kritisieren. „Ich würde mir im Gegenteil wünschen, dass jedes Land so gut bei den Ausfuhren ist wie Deutschland.“ Deutschland hat 2013 Waren im Wert von rund 199 Mrd. Euro mehr exportiert als importiert. Das ist nicht nur der bislang größte Exportüberschuss der deutschen Geschichte, sondern auch der größte weltweit. Die USA aber auch der Internationale Währungsfonds (IWF) zählen ihn zu den großen internationalen Ungleichgewichten, der die Stabilität der Weltwirtschaft gefährden.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) weist die Rüge zurück: die Bundesregierung strebe genau mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen einen Beitrag zum Abbau der Ungleichgewichte an. „Exzessive und dauerhafte Ungleichgewichte“ seien zweifellos eine Gefahr für die Stabilität der Währungsunion. Wirtschaft und CDU/CSU äußerten hingegen wenig Verständnis für die Kritik aus Brüssel. Und für die Linkspartei halte ich fest: die Maßnahmen der Bundesregierung werden wie in der Vergangenheit keinen wirklichen Politikwechsel bringen.
Mit den „vereinbarten Maßnahmen“ meint Gabriel die Stärkung der Binnenkonjunktur unter anderem mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro und „starken Investitionsimpulsen für eine leistungsfähige Infrastruktur“ in Deutschland. Angemessene Löhne sind für Gabriel „nicht nur sozialpolitisch, sondern auch wirtschaftlich geboten.“ Steigende Realeinkommen, aber auch die Rentenpläne der Regierung führten wesentlich dazu, dass das Wirtschaftswachstum durch die Binnenkonjunktur getragen werde. Künftig soll neben der Bekämpfung prekärer Beschäftigung die „produktivitätsorientierte Lohnentwicklung“ gelten. Denn der von Produktivität und höheren Preisen abgesteckte Spielraum wurde über viele Jahre hinweg nicht ausgeschöpft.
Kein Zweifel: die Einführung eines allgemeinen, flächendeckenden Mindestlohnes in Deutschland ist ein sowohl binnenwirtschaftlich für Deutschland Fortschritt und hat auch positive Auswirkungen für die Spaltung in der EU und Euro-Zone. Aber dieser Schritt reicht nicht aus.
Die Regierung räumt durchaus ein, dass die Krise noch nicht überwunden ist. Aber was die Regierungskoalition als einen „umfassenden politischen Ansatz“ ansieht, ist nicht mehr als das, was seit 2010/11 praktiziert wird: „Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine strikte, nachhaltige Haushaltskonsolidierung mit Zukunftsinvestitionen in Wachstum und Beschäftigung in sozial ausgewogener Weise.“ Die angebliche Stabilitätsunion der großen Koalition wird die Euro-Zone weiter spalten und trägt maßgeblich zur politischen Instabilität in Europa bei. Letztlich wird durch den Übergang zur autoritären Austeritätspolitik die tief verwurzelte Idee der europäischen Zusammenarbeit beschädigt.
Das Plädoyer für Austeritätspolitik, garniert mit Investitionsprojekten, die oft nur aus anderen Haushaltsposten neu zusammengestellt werden, ist auch das, was von der EU-Kommission erwartet wird. So wünscht sich EU-Kommissar Olli Rehn, dass „jedes Land so gut bei den Ausfuhren ist wie Deutschland“ und fordert von Italien oder Frankreich eine striktere Umsetzung des aus Deutschland geforderten Austeritätskurses. Er kritisiert die schwache Wettbewerbsfähigkeit und die hohe Haushaltsverschuldung Italiens und fordert die neue Regierung auf, jetzt die notwendigen Reformen durchzusetzen. Auch für Frankreich sieht er Handlungsbedarf: Es gebe ein wachsendes Handelsdefizit, und die Löhne seien weiterhin vergleichsweise hoch.
Mit einer Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken und Beschwörung der Wettbewerbsfähigkeit auf der Grundlage des Fiskal- und Wettbewerbspakts wird man nicht weiterkommen. Wenn Gabriel bekräftigt, dass die Lohnentwicklung – einschließlich Mindestlohn – entscheidend für die Stabilisierung des Binnenmarktes ist, und dass in der Konsequenz dieses Arguments auch die Steuer- und Sozialpolitik eine nachfragestärkende Funktion haben, dann müssten Lohnzuwächse, die den verteilungsneutralen Spielraum ausschöpfen, für die gesamte Euro-Zone gelten. Damit würden lohnkostenbedingte Wettbewerbsverzerrungen vermieden und ein Beitrag zum Ausgleich der Leistungsbilanzen geleistet.
Doch wenn das richtig ist, dann ist der Ansatz des Fiskal- und Wettbewerbspakts, wie er in den Krisenländern von der Troika umgesetzt und auf die anderen Mitgliedstaaten der EU übertragen wird, in den Hauptelementen falsch. Denn da sind massive Lohnkürzungen und Personalabbau im öffentlichen Dienst sowie Privatisierungen vorgesehen, die explizit auch lohnsenkende Effekte in der privaten Wirtschaft auslösen sollen. Um diese Effekte zu verstärken werden nationale Tarifsysteme so umgebaut, dass die kollektive Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt wird.
Der Mythos von der Wettbewerbsfähigkeit
Der Wachstumspakt und die Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Ländern der Euro-Zone sind absolut unzureichend. Seit dem Beschuss des Europäischen Rats im Juni 2012 sind die Verhältnisse letztlich schlimmer geworden. Es gibt Alternativen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat bereits 2012 einen »Marshall-Plan für Europa« vorgeschlagen, bei dem über einen Zeitraum von zehn Jahren jedes Jahr zusätzliche Investitionen in Höhe von 260 Mrd. Euro (ca. 2% des BIP) getätigt würden. Ein Europäischer Zukunftsfonds würde Anleihen emittieren, die von allen teilnehmenden Mitgliedsstaaten garantiert werden. Das Startkapital für den Fonds käme von einer einmaligen Vermögensabgabe.
Die EU-Politik muss neben einer Sanierung des Bankensektors und einer Bereinigung des Staatsschuldenproblems durch eine gemeinsame Fiskal- sowie eine kohärente Wirtschaft- und Sozialpolitik ergänzt werden. Um diesen Prozess zu befördern und insbesondere die großen Handelsungleichgewichte in der Euro-Zone endlich zu überwinden, schlagen wir die Ablösung des Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU durch eine „Europäische Ausgleichsunion“ vor, die sich als Gegenpol zum heute vorherrschenden Modell einer vor allem auf Sparpolitik ausgerichteten „Austeritätsunion“ versteht. Ausgleich bedeutet statt dessen ein gemeinsames Hinwirken auf einen Ausgleich von beiden Seiten, d.h. von Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen und solchen mit Defiziten, bei dem die Länder mit der ökonomisch stabileren Position einen wesentlichen Beitrag leisten müssen.
Die bislang durchgesetzte Strukturpolitik in den Krisenländern ist nicht nur wirtschaftlich kontraproduktiv, sondern auch in sozialer Hinsicht gefährlich, da sie die europäische Gesellschaft in die Armut treiben und zu einer stärkeren gesellschaftlichen Polarisierung führen. Aufgrund der durch die Krise noch verschärften sozialen Spannungen bereiten die Sparmaßnahmen den Nährboden für politische Spannungen und wachsende rassistische Ressentiments. Sie bedrohen damit nicht nur den sozialen Frieden in Europa.
Ausgangspunkt der Europäischen Ausgleichsunion ist die verbindliche Einrichtung von Obergrenzen für Leistungsbilanzungleichgewichte. Pro Jahr soll ein Land in der Ausgleichsunion nur noch Leistungsbilanzüberschüsse bzw. -defizite von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) machen dürfen. Dieser kurzfristige Puffer für konjunkturelle Schwankungen wird ergänzt um eine längerfristige Begrenzung der Ungleichgewichte auf den Umfang der jährlichen Exporterlöse.[1]
Für ein Land wie Deutschland bedeutet ein Ausgleich der Leistungsbilanz eine gewaltige, langfristige Aufgabe und erfordert sowohl Maßnahmen zur Steigerung der Importe als auch eine Senkung der Exportabhängigkeit.
Die Überwindung der verhärteten deutschen Exportüberschüsse und damit ein Abbau der Europa dominierenden deutschen Gläubigerposition ist nicht nur ein Gebot ökonomischer Vernunft, sondern könnte zur Gretchenfrage einer friedlichen Zukunft des Kontinents werden. Die Europäische Ausgleichunion ist daher als ein Beitrag zu verstehen, um den ökonomischen Fehlentwicklungen – auch in Deutschland – entgegenzutreten und auf einen Pfad der solidarischen Annäherung und des Ausgleichs in Europa zurückzukehren.
[1] Vgl. ausführlich Axel Troost und Philipp Hersel, Die Euro-Krise als Zäsur: Eine neue Finanz-, Geld und Währungspolitik in Europa. Aus: LUXEMBURG, Gesellschaftsanalyse und linke Praxis (16. Apr 2012) www.axel-troost.de
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