Aus einem Rentenpaket wird ein Rentenpäckchen!

Rede von Matthias-W. Birkwald

04.04.2014 / www.linksfraktion.de, 03.04.2014

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) Drucksache 18/909

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Nahles, Sie haben Ihr Rentenpaket vorgelegt, und ich sage: Ja, aber. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir immer nur über Rentenkürzungen diskutiert. Jetzt diskutieren wir endlich einmal über bessere Leistungen für Rentnerinnen und Rentner. Das findet die Linke gut.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit Ihrem Rentenpaket gehen Sie mehrere Schritte in die richtige Richtung, aber

(Zurufe von der SPD: Ah!)

in Ihrem Rentenpaket finden sich ‑ jetzt bitte gut aufpassen ‑ zwei Gerechtigkeitslücken, ein großer Konstruktionsfehler, ein Tropfen auf den heißen Stein, eine Mogelpackung, eine zaghafte Verbesserung und eine offene Großbaustelle. Das, meine Damen und Herren, findet die Linke schlecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Überschrift für Ihr Rentenpaket lautet: Manches wird besser, aber nichts wird gut.

Gehen wir die Punkte mal im Einzelnen durch:

Die sogenannte Mütterrente. Die Absicht ist gut: mehr Gerechtigkeit bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Aber die Umsetzung ist schlecht.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Was?)

Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, Herr Kauder, soll es ab dem 1. Juli insgesamt gut 57 Euro Mütterrente im Westen und knapp 53 Euro im Osten geben. Das ist die erste Gerechtigkeitslücke; das ist ungerecht und das ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall sind im Osten geborene Kinder auf dem Rentenkonto ihrer Eltern immer noch weniger wert als im Westen geborene Kinder. Das ist beschämend.

(Beifall bei der LINKEN)

Für Kinder, die nach 1992 geboren wurden, wird es ab Juli im Westen 85 Euro und im Osten 79 Euro auf dem Rentenkonto von Mutter oder Vater geben. Das ist die zweite Gerechtigkeitslücke. Ich frage Sie, Frau Nahles: Was soll das? - Sie sagen, Sie schlössen die Gerechtigkeitslücke bei den Kindererziehungszeiten, doch das stimmt nur zur Hälfte. Jedes Kind muss der Gesellschaft gleich viel wert sein, und zwar völlig egal, ob es in Leipzig geboren wurde oder in Köln, ob es 1960 geboren wurde oder 2010. Deswegen sagt die Linke: Wir wollen für jedes Kind rund 86 Euro auf dem Rentenkonto von Mutter oder Vater haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie wollen die Mütterrente ernsthaft aus Beiträgen der Versicherten finanzieren. Das bedeutet ganz schlicht: Die Altenpflegerin zahlt für die Mütterrente der Ärztin. Das ist der große Konstruktionsfehler in Ihrem Rentenpaket, und zwar aus zwei Gründen: Kindererziehung ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Reiche, Beamtinnen und Beamte, Rechtsanwälte, Steuerberaterinnen, Architektinnen und Politikerinnen und Politiker müssen sich an ihrer Finanzierung beteiligen. Deshalb muss diese Mütterrente unbedingt aus Steuermitteln finanziert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles andere ist verfassungswidrig. Der zweite Grund: Dieses Geld fehlt dann bei der echten Armutsbekämpfung. Das ist das zweite Problem bei der Finanzierung der Mütterrente.

Das wird bei den Erwerbsminderungsrenten deutlich. Auch hier, Frau Nahles, ist Ihre Absicht gut: Wer krank ist, darf nicht mit Almosen abgespeist werden. - Aber auch hier ist Ihre Umsetzung schlecht. Ihr Vorschlag bringt Kranken, die nicht mehr arbeiten können, gerade mal 36 Euro netto. Das ist besser als nichts, aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Beifall bei der LINKEN)

Niemand wird freiwillig krank, und darum sage ich: Die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente müssen gestrichen werden, und zwar komplett. Das brächte im Schnitt 77 Euro im Monat. Wir Linken sagen: Die Zurechnungszeit muss um drei statt um zwei Jahre verlängert werden. Insgesamt brächte das 130 Euro mehr. Ich sage: So holt man kranke Menschen aus der Grundsicherung heraus, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Noch besser wäre es übrigens, wenn die Beschäftigten gar nicht erst dauerhaft krank werden würden. Dazu brauchen wir - Sie haben ja die Reha erwähnt - gute Rehamaßnahmen. Die kosten Geld, und die Babyboomer kommen so langsam ins Rehaalter; das haben Sie erkannt. Darum wollen Sie mehr Geld für Rehamaßnahmen ausgeben. Das ist gut. Aber warum um Himmels willen, Frau Nahles, wollen Sie das Rehabudget ab 2017 wieder zurückfahren? Die Deutsche Rheuma-Liga

… bezweifelt …, ob die geplanten Maßnahmen ausreichen, um den wachsenden Bedarf an Rehabilitationsmaßnahmen zukunftssicher zu gestalten.

Das ist richtig. ‑ Ihr Vorschlag bringt nur eine zaghafte Verbesserung. Ich sage: Alle kranken Männer und Frauen, die eine Rehamaßnahme brauchen, sollen sie auch bekommen, und deshalb muss der Rehadeckel weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommen wir zur Rente ab 63/65. Liebe Arbeitgeber, hören Sie jetzt bitte mal gut zu. Es geht nicht um Privilegien; es geht um Menschen, die früh ins Berufsleben eingestiegen sind und ein Leben lang gearbeitet haben. Bisher werden diese Kolleginnen und Kollegen durch Abschläge bestraft. Nach 45 Beitragsjahren vorzeitig abschlagsfrei in Rente zu gehen, ist gerecht. Wer früh anfängt, muss auch früh aufhören können.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD ‑ Thomas Oppermann (SPD): Richtig! Aber was kommt jetzt?)

So weit, so gut, Herr Oppermann, aber das Ganze ist eine Mogelpackung; denn von der Regelung sind nur sehr wenige Jahrgänge betroffen. Nur wer zwischen dem 1. Juli 1951 und Silvester 1952 geboren wurde und die 45 Beitragsjahre zusammenbekommt, nur für den oder die gilt die Rente ab 63. Danach wächst sie in Zweimonatsschritten wieder auf zur Rente ab 65. Das ist eine Mogelpackung!

(Beifall bei der LINKEN ‑ Thomas Oppermann (SPD): Sehr langsam, Herr Kollege!)

Ein weiterer Kritikpunkt ist: Sie wollen ernsthaft Langzeiterwerbslose von der Rente ab 63 ausschließen. Ich frage Sie jetzt einfach einmal ‑ Frau Nahles, Ihr Vater ist Maurer, wie ich weiß ‑: Was ist denn der Unterschied zwischen einem Maurer, der einmal vier Jahre arbeitslos gewesen ist und einem Maurer, der viermal ein Jahr arbeitslos gewesen ist? Aus meiner Sicht haben beide dieselbe Lebensleistung erbracht, und deswegen müssen sie gleich behandelt werden. Die Linke fordert: Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei der Rente ab 63 mit berücksichtigt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Rente ab 63 ist übrigens auch deswegen eine große Mogelpackung, weil in Wirklichkeit für fast alle Menschen gilt, dass sie in Zukunft bis 66 oder 67 arbeiten müssen; wenn sie es denn können. Bei der großen Mehrheit wird das nicht der Fall sein. Sie wird weiterhin mit Abschlägen bestraft. An dieser Situation ändern Sie nichts. Das ist schlecht. Die Linke will deshalb die Rente erst ab 67 abschaffen, und zwar ohne Wenn und Aber. Das ist notwendig.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse Ihr Rentenpaket zusammen: Viermal gut gemeint, aber viermal schlecht gemacht.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Frau Nahles, Sie bauen in einem sanierungsbedürftigen Haus hier ein neues Waschbecken ein und da einen neuen Treppenabsatz an, aber Sie wagen sich nicht an das große Loch im Fundament. Das ist das Problem.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sie haben doch vom Bauen überhaupt keine Ahnung!)

Die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel tasten Sie überhaupt nicht an. Das ist Ihre offene Großbaustelle.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wenn es eine gibt, dann ist das der Berliner Flughafen!)

Deshalb wird das Rentenniveau weiter fallen ‑ das steht in Ihrem Gesetzentwurf drin ‑: auf 43,7 Prozent im Jahr 2030. Das bedeutet: Von einer Rente von ehemals 1 000 Euro werden dann nur noch 810 Euro übrig bleiben. So wird aus Ihrem Rentenpaket ein Rentenpäckchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Abwärtsspirale muss gestoppt werden.

Wir müssen die gesetzliche Rentenversicherung stärken, damit die Jungen, die heute in die Rentenkasse einzahlen, später eine Rente erhalten, die zum Leben reicht. Die Linke fordert echte Maßnahmen gegen Altersarmut. Außerdem wollen wir das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anheben; das war das Niveau im Jahr 2000, bevor Schröder und Riester die Rente ruiniert haben. Das Rentenniveau muss steigen, und zwar dauerhaft. Das wäre generationengerecht; denn das nutzt den Jungen und den Alten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Thomas Oppermann (SPD): Ein bildreicher Vortrag!)