"Konzerne wollen Kogesetzgeber sein"
Interview mit Pia Eberhardt
Den Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Stopp der Verhandlungen über das EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP finden Sie hier... und den Antrag zur Veröffentlichung des Vertragstext können Sie hier... nachlesen. Beide Anträge werden Heute, am 22.05.2014 im Bundestag verhandelt.
Die EU-Kommission verhandelt ein Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA und gibt so gut wie kein einziges Verhandlungsdokument an die Öffentlichkeit. Warum diese Geheimniskrämerei?
Pia Eberhardt: Die Kommission begründet das offiziell damit, dass man ein Klima des Vertrauens bräuchte, um bei den Verhandlungen zu Ergebnissen zu kommen. Tatsächlich geht es aber eher darum, Widerstand und öffentliche Debatten zu verhindern, denn diese können sich gewöhnlich erst dann entwickeln, wenn Inhalte von Verhandlungen bekannt sind. Hinzu kommen Misstrauen und Arroganz den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber. Die Verhandlungen werden von nicht gewählten Technokraten geführt, die sich nicht um die Interessen der Bürger, sondern um die der Konzerne kümmern. Sie wollen einfach ungestört sein.
Mittlerweile kursieren einigeTTIP-Dokumente im Internet. Woher kommen die?
Alle wichtigen Verhandlungstexte und selbst das Verhandlungsmandat der EU-Kommission wurden geleakt.
Das Wichtige erfährt die Öffentlichkeit also nur, weil einzelne Menschen Geheimnisverrat begehen?
Und ein hohes Risiko eingehen, denn immer mehr durchgesickerte Dokumente enthalten Markierungen, etwa Wasser-zeichen oder andere nicht einfach zu erkennende Signaturen, die bei unbear-beiteter Veröffentlichung Rückschlüsse darüber zulassen, wer es war. Aber in der Tat, erst so wurden einige der gefährlichen Inhalte von TTIP bekannt. Darauf weisen aber auch die Wunschlisten der trans-nationalen Konzerne hin.
Was beinhalten diese?
Konzerne sehen in den TTIP-Verhandlungen die einmalige Chance, auf beiden Seiten des Atlantiks all das aus dem Weg zu räumen, was ihnen nicht passt und ihre wirtschaftlichen Interessen behindert, vom Umweltschutz bis zum Verbraucherschutz.
Für besonders viel Kritik sorgen die im Freihandelsabkommen geplanten Investorschutzklauseln für Konzerne, worum geht es da?
Den EU- und US-Konzernen sollen zukünftig stärkere Rechte zum Schutz von Privateigentum und Investitionen gegeben werden, als wir das bisher in nationalen Verfassungen haben – gewissermaßen eine Ausweitung von Privateigentums-schutz.
Wie lässt sich das verstehen?
Am besten anhand aktueller Klagen. Vattenfall zum Beispiel verklagt Deutschland wegen des Atomausstiegs auf fast 4 Milliarden Euro Schadensersatz, weil zwei Kernkraftwerke geschlossen werden mussten. Die Vattenfall-Klage zeigt, dass eine politische Veränderung wie der Atomausstieg, die auch durch den langjährigen Druck der Zivilgesellschaft initiiert wurde, sehr teuer werden kann, weil Konzerne das Recht haben, dagegen zu klagen. Es ist eine Art Droh-kulisse, die diszipliniert, und das weltweit, denn jede Regierung, die künftig beispielsweise aus der Atomenergie aussteigen oder stärkere Antitabak-gesetze einführen will, wird sich das nun dreimal überlegen.
Aber wie kann das denn sein, dabei geht es doch ums Eingemachte der Demokratie?
Es sind ganz bestimmte Teile des Staats-apparats, die diese Verträge aushandeln. In Deutschland ist es das Wirtschafts-ministerium. Das agiert ganz klar als Dienstleister der deutschen Wirtschaft und will dieser noch mehr Rechte im internationalen Handel bescheren. Interessant ist, die Stimmung fängt sich immer erst dann an zu drehen, wenn der eigene Staat verklagt wird, so wie jetzt von Vattenfall.
In den TTIP-Verhandlungen geht es auch um eine neue Institution den Regulatory Cooperation Council. Was ist das?
Ein ebenso disziplinierendes Element und ein weiteres Herzstück der Verhandlungen. Dabei soll ein institutionelles Gerüst gebaut werden, über das sich die EU und die USA lange nach Abschluss des TTIP-Abkommens in allen Gesetzen und Regulierungen transatlantisch abstimmen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Geplant ist, dass Gesetzgebungs- und Regulierungsprozesse den Parlamenten weitgehend entzogen und einem kleinen Kreis aus EU- und US-Technokraten überlassen werden, einer Art Gremium, das diese zusammen mit den Konzernen und Lobbygruppen vorher abstimmt.
Damit würde man den Unternehmen, die ohnehin schon sehr stark an allen Gesetzgebungsprozessen beteiligt sind, doch noch mehr Macht geben?
Ja, und sie können dann dringend not-wendige Gesetze wie etwa zur Regulierung der Finanzmärkte, zum Verbraucherschutz oder Arbeitnehmerschutz abschwächen, verzögern oder ganz verhindern. Es ist sogar möglich, dass all die Sachen, die jetzt in der öffentlichen Debatte sind, wie Chlorhühnchen, Fracking oder Klonfleisch, vielleicht gar nicht im Abkommen stehen werden. Der Clou für die Unter-nehmen aber ist, dass sie mit TTIP die Instrumente in die Hand bekommen, solche Sachen in Zukunft für sich zu entscheiden und durchzusetzen.
Bei TTIP geht es also auch sehr stark um die Zukunft, quasi um die Etablierung von neuen politischen Entscheidungsstrukturen, in die Konzerne noch direkter einbezogen werden?
Die Unternehmensseite ist sehr offen in dem, was sie sich von TTIP wünscht: Sie will Kogesetzgeber werden und am Gesetzgebungstisch sitzen. Und ginge es nur nach den Unternehmen, dann würden sie da am liebsten allein sitzen.
Fast alles, was Sie bisher beschreiben, nützt Konzernen, den Menschen eher nicht. Warum wird so etwas denn überhaupt von Politikern verhandelt?
Die EU-Kommission ist ein hoch inter-nationalisierter Staatsapparat, der für das transnational agierende Kapital arbeitet. Man kann das sehr schön daran sehen, wie sie im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen agierte. Die Kommission hat sich so gut wie gar nicht mit Gewerkschaften oder Verbraucherschutzverbänden zusammengesetzt, wohl aber mit allen möglichen Lobby- und Unternehmensverbänden. Hat diese sogar aufgefordert, sich aktiv an der Vorbereitung der Verhandlungen zu beteiligen, um besser in deren Interesse verhandeln zu können.
Wie könnte eigentlich die Perspektive eines erfolgreichen Widerstands aussehen?
Man muss wissen, dass die EU-Kommission und ihre Institutionen sehr gut gegen öffentlichen Druck abgeschirmt sind und auch institutionell viele Möglichkeiten haben, um selbst bei großem Widerstand ihre Vorhaben durchzuziehen. Aber die jüngste Vergangenheit zeigt, etwa beim ACTA-Abkommen, dass es möglich ist.
Auch das wurde ähnlich wie TTIP jahrelang hinter verschlossenen Türen verhandelt, und die Kommission wollte es mit aller Macht durchdrücken, scheiterte dann aber am EP …
… aber das ist nur passiert, weil es einen erfolgreichen Widerstand der Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen Ländern gab und es dann politisch nicht mehr möglich war, das Abkommen dennoch durchzu-setzen. Wenn es jetzt gelingt, wieder europaweit öffentlich Druck zu erzeugen, kann man nicht nur Sand ins Getriebe der TTIP-Verhandlungen streuen, sondern sie schlussendlich kippen. Das ist ein zäher und langer Weg. Es ist aber ein wunderbares Zeichen, dass sich bis jetzt schon so viel Widerstand aufgebaut hat – vor einem Jahr hätte ich das nicht
für möglich gehalten.
Das Interview führte Benjamin Wuttke
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