Die EU tritt auf der Stelle
Von Axel Troost
Der EU-Sondergipfel in Italien zum Thema Arbeitslosigkeit war von der italienischen Präsidentschaft auf Anfang Oktober festgesetzt worden. Bei dem Gipfel in Italien soll über die stockende Konjunkturerholung und den Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit beraten werden. Der Hintergrund für diesen Gipfel ist die wirtschaftliche Entwicklung in der EU und vor allem der Euro-Zone. Die EU-Kommission stellt in ihrem Quartalsbericht zurecht heraus: es gibt verschiedentlich Ansätze einer wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung, aber die Verbesserungen blieben doch recht bescheiden. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden hat zugenommen und zum ersten Mal seit 2011 sind eine geringfügige Zunahme bei der Vollzeitbeschäftigung und eine Verbesserungen der Situation junger Menschen zu beobachten. Viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze sind jedoch Teilzeit- oder befristete Stellen.
Die Arbeitslosenzahlen bewegen sich aber noch immer nahe an den historischen Höchstständen. Dabei machen die Langzeitarbeitslosen einen großen und wachsenden Anteil der Gesamtarbeitslosenzahl aus: fast 13 Millionen Menschen sind seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Jeder dritte Arbeitslose ist sogar seit mehr als zwei Jahren ohne Arbeit.
Für junge Menschen hat sich die Lage in den letzten Monaten kaum verbessert. Vor allem ist die Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Griechenland und Spanien nach wie vor sehr hoch. Fast die Hälfte der jungen Menschen in Arbeit hat einen befristeten Vertrag und fast ein Viertel arbeitet Teilzeit. Über fünf Millionen arbeitslose Jugendliche in Europa können auch nach Einschätzung der deutschen Arbeitsagentur nicht mit einer raschen Besserung ihrer Lage rechnen. „Der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit braucht noch Zeit“, ist die wenig optimistische Einschätzung des Chefs der Bundesagentur Arbeit Frank-Jürgen Weise. Die EU-Kommission fordert von den Mitgliedstaaten das Konzept der Jugendgarantie umzusetzen und jungen Menschen zu helfen, entweder einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden oder eine Ausbildung, ein Berufspraktikum oder eine berufsrelevante Weiterbildung zu machen. Seit Monaten steht ein Sonderfonds von 6 Mrd. Euro für entsprechende Projekte bereit, aber die konkrete Umsetzung ist bescheiden geblieben. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel nutzt diesen Umstand und verweigert weitere Finanzaufstockungen: Auch Geld allein werde das Problem ohnehin nicht lösen. Sie rät jungen Leuten auch im Ausland ihr Glück zu versuchen. Bevor man über neue Gelder rede, solle man erst einmal Bilanz ziehen, wie die beschlossenen Maßnahmen wirkten. Die bisherigen Ergebnisse seien „verbesserungsfähig“.
Wird sich dies jetzt mit der neuen EU-Kommission ändern und wird es in Mailand einen Aufbruch geben? „Die Arbeitslosigkeit sei heute in der EU viel zu hoch, vor allem bei den Jugendlichen, unterstreicht erneut der künftige Vizepräsident der EU-Kommission für Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und Wettbewerb Jyrki Katainen . Dies sei inakzeptabel. „Wir dürfen nicht zulassen, Talente einer ganzen Generation zu verschwenden.“ In seiner Heimat Finnland habe er einen Jugendgarantieplan ausgearbeitet, der im Prinzip auf EU-Ebene verbreitet werden solle.
Auch der neue Kommissar beeindruckt mit einer Sonntagsrede: Es gehe darum, „den Menschen wieder Zukunftshoffnungen zu geben, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken und durch Investitionen mehr Beschäftigung auszulösen“. Dabei unterstrich er auch die Notwendigkeit des vom künftigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker angekündigten 300-Mrd.-Euro-Investitionsplans. „Wir brauchen eine noch nie dagewesene Mobilisierung von privaten und öffentlichen Sektoren.“ Allerdings gehe es nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. „Es geht nicht darum, einfach 300 Milliarden auf den Tisch zu legen, sondern tatsächlich zu investieren, damit mehr Wachstum und Arbeitsplätze entstehen. Wir brauchen frischen Schwung für Beschäftigung, Wachstum und Investitionen, ohne dafür neue Schulden zu machen.“ Deshalb müssten neue Wege gegangen werden, deren Details er aber noch nicht ausführen könne.
Ich habe starke Zweifel, ob von dem Mailänder Gipfel mit der startbereiten neuen Kommission auch ein Aufbruch verbunden ist. Meine Argument: Von einem Abrücken der neoliberalen Austeritätspolitik ist noch nichts zu sehen. Im Gegenteil. Vermutlich wird die EU-Kommission Ende Oktober die Budgetpläne von Frankreich und von Italien zur Überarbeitung zurückweisen. Alle Euro-Staaten müssen – laut beschlossenem Reglement – bis zum 15. Oktober ihre Haushalts-Pläne für 2015 und darüber hinaus der Kommission vorlegen, die bis Ende November Zeit zur Stellungnahme hat. Stellt die Kommission „einen besonders schwerwiegenden Verstoß“ gegen die im EU-Stabi-litätspakt fixierten haushaltspolitischen Vorgaben fest, kann sie laut den einschlägigen Regeln den Mitgliedstaat auffordern, in drei Wochen einen überarbeiteten Budgetplan vorzulegen. Diese Überprüfung der Budgetpläne der Euro-Staaten ist 2013 eingeführt worden. Die politische Diskussion der letzten Monate drehte sich darum, ob Frankreich und Italien mehr Zeit für die Rückführung des Budget-Defizits erhalten und ob durch Wachstumsimpulse der müden Ökonomie auf die Sprünge geholfen werden kann.
Frankreich hat der EU im Rahmen eines laufenden Defizitverfahrens versprochen, das nominale Staatsdefizit bis 2015 unter die Maastricht-Grenze von 3% des Bruttoinlandprodukts (BIP) zurückzuführen. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die sozialistische Regierung das Defizit 2014 und 2015 um je 0,8% zu reduzieren. Faktisch weigert sich die französische Regierung dies umzusetzen; Frankreich will das nominale Defizit lediglich von 4,4% des BIP im Jahr 2014 auf 4,3% im Jahr 2015 senken und erst 2017 unter 3% bringen. Der Stabilitätspakt ermöglicht der Kommission auch eine Verlängerung der Frist für den Defizitabbau zu empfehlen. Politisch ist sehr hoher Druck aufgebaut worden, dass die Kommission Frankreich keine Verlängerung bewilligt.
Auch Italien ist im Schussfeld: sein Haushaltsdefizit liegt unter der 3 Prozentschranke. Doch wegen der hohen Bestandes an Staatsverschuldung von rund 136% des BIP (erstes Quartal 2014) wird die EU-Kommission gedrängt, auch Italien zu massiveren Einsparungen zu zwingen, um damit den Schuldenabbau zu befördern.
Die deutsche Bundeskanzlerin pocht auf eine Einhaltung der Verträge: sie ermahnt den Defizitsünder Frankreich und den Schuldenkönig Italien zur Einhaltung des verabredeten Sparkurses. Davon hänge auch die dauerhafte Gesundung der Euro-Zone ab. „Mir geht es darum, dass Europa glaubwürdig ist. Das heißt, dass wir uns an das halten, was wir miteinander vereinbart haben.“
Von der Kanzlerin fordern die französische und italienische Führung eine flexible Haushaltspolitik und eine Investitionsoffensive in Europa. Der neue EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker plant dazu ein Investitionspaket von 300 Milliarden Euro, dessen Finanzierung allerdings weitgehend offen ist. Einen Zugriff auf nicht genutzte Gelder aus dem Euro-Rettungsfonds ESM lehnt Berlin ab. Auch der neue Kommissar Katainen will eine „beispiellose Mobilisierung“ für ein geplantes Investitionspaket. „Wir brauchen produktive, wirkliche Investitionen …Wir brauchen einen frischen Anstoß für Jobs, Wachstum und Investitionen, ohne neue Schulden zu schaffen.“
Auch der Internationale Währungsfonds ist über seinen eigenen Schatten gesprungen: der Fonds empfiehlt den kapitalistischen Hauptländern über Infrastruktur-Investitionen eine Belebung ihrer Wirtschaft einzuleiten – auf Pump. In den Industriestaaten ist der Anteil der Infrastrukturinvestitionen seit den 1980er Jahren von vier auf drei Prozent des BIP zurückgegangen; der Infrastruktur-Stock, gemessen am BIP, sinkt laufend. Gesteigerte Infrastruktur-Investitionen steigern sowohl kurz- als auch langfristig den Output der Wirtschaft – insbesondere während Perioden wirtschaftlicher Flaute. Schuldenfinanzierte Projekte können stärkere Output-Effekte haben ohne die Schuldenquote zu erhöhen.
Faktisch hat sich eine beeindruckende Koalition zusammengefunden, die auch für Europa einen Politikwechsel will. Natürlich geht es nicht um simple Quantität. Wir sollten den Verfall der öffentlichen Infrastruktur bremsen und über verschiedene Projekte die sozialökologische Konversion der Wirtschaftsstrukturen beflügeln. Es geht nicht darum, einfach 300 Milliarden Euro auf den Tisch zu legen, sondern tatsächlich zu investieren für eine bessere Zukunft und Beschäftigungsperspektiven der jüngeren Generation. Wir brauchen Schwung für Beschäftigung, Wachstum und Investitionen.
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